Im Namen des seit 2003 eskalierten "Kriegs gegen den Terror" haben auch britische Soldaten Kriegsverbrechen begangen, Zivilisten ermordet und Unschuldige gefoltert.
Nach der völkerrechtswidrigen Irak-Invasion im Jahr 2003 hatten britische Soldaten irakische Gefangene zu Tode geprügelt oder ertränkt, und das britische Verteidigungsministerium zahlte Millionen zur Begleichung von Klagen wegen rechtswidriger Tötung und Folter sowohl im Irak als auch in Afghanistan. Im Jahr 2017 hieß es in einem Bericht des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, dass Angehörige der britischen Streitkräfte im Irakkrieg zwischen 2004 und 2008 Kriegsverbrechen an Personen in ihrem Gewahrsam begingen. Selbst das eigens von der britischen Regierung unter Gordon Brown ins Leben gerufene Iraq Historic Allegations Team (IHAT) sowie Operation Northmoor, die jahrelang 52 Morde untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass Zivilisten ermordet wurden. Das britische Verteidigungsministerium jedoch unterstellte den Ermittlern Lügen, sodass es zu keiner einzigen Verurteilung für die Tötung unter anderem von Kindern durch britische Soldaten kam. Dennoch taten eine Reihe konservativer Kommentatoren in Großbritannien die Ermittlungen als Hexenjagd ab.
Wohl auch um solcherlei Schmach gar nicht erst mit höchst umstrittenen Methoden bekämpfen zu müssen, ist für dieses Jahr ein Gesetz in Planung, das britischen Soldaten für Kriegsverbrechen und Folter, sofern sie vor mehr als fünf Jahren begangen wurden, quasi Straffreiheit zusichert.
Die sogenannte Overseas Protection Bill, mit der nach Ablauf von fünf Jahren seit dem Datum eines Vorfalls im Ausland gegen britische Soldaten höchstens in Ausnahmefällen Anklage erhoben werden kann, ruft sowohl NGOs als auch ehemalige Militärangehörige auf den Plan, die darin eine Art historische Wende und faktische Aushebelung der britischen Gesetzgebung nach dem Zweiten Weltkrieg sehen.
Neben der Fünfjahresregelung sieht das Gesetz vor, dass Ermittler selbst bei Vorliegen stichhaltiger Beweise für Folter und öffentlichem Interesse einer Strafverfolgung davon ausgehen, dass eine Strafverfolgung nicht durchgeführt wird. Die Staatsanwälte – die in einem Rechtsstaat eigentlich unabhängig von der Regierung handeln – würden zudem durch das Gesetz gezwungen, den Gründen "gegen" eine Strafverfolgung "besonderes Gewicht" beizumessen – selbst wenn es sich um Folter handelt. Dabei werden bereits jetzt auch Faktoren berücksichtigt, die einen Schuldigen entlasten, sodass eine solche Klausel wohl klar auf Straffreiheit abzielt. Darüber hinaus soll der Generalstaatsanwalt anhand des geplanten Gesetzes eine Strafverfolgung auch noch durch ein Vetorecht der Minister blockieren können.
Mehrere nicht-staatliche Organisationen befürchten, dass mit einer solchen Schwächung der Strafverfolgung das Engagement Großbritanniens für die Genfer Konventionen untergraben würde. Nach Auffassung der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation Reprieve würden somit durch das Gesetz Hunderte von Jahren britischen Rechts sowie das internationale Recht gegen Folter negiert – dieselben Gesetzesrahmen, die die britische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg mit verfasst hat.
Auch die NGO Redress, die mit Folteropfern arbeitet, meint, dass durch das Gesetz Missbrauchsfälle "unter den Teppich gekehrt" werden könnten. Laut Chris Esdaile, dem Rechtsberater von Redress, würde damit eine Art Amnestie für schwere Straftaten einschließlich Folter geschaffen. Eine weitere in London beheimatete NGO, Rights and Security International, warnte, dass das neue Gesetz "eine Kultur der Straflosigkeit" für britische Streitkräfte schaffen könnte, die außerhalb Großbritanniens dienen.
Während NGOs, Aktivisten, Rechtswissenschaftler, Labour-Abgeordnete und sogar britische Folteropfer sich gegen das Gesetz aussprechen, plädieren einige Veteranen und Konservative für das Gesetz und gegen "unfaire Strafverfolgung".
Doch auch einige britische Militärangehörige sehen in dem Gesetz eher eine Gefährdung britischer Soldaten und militärischer Operationen im Ausland. Ex-Feldmarschall Charles Guthrie, der von 1997 bis 2001 Chef des Verteidigungsstabes der britischen Streitkräfte war, warnte öffentlich davor, dass der Gesetzentwurf "Raum für eine De-facto-Entkriminalisierung der Folter bietet" und die Bestimmungen "einen Schandfleck auf Großbritanniens Ansehen in der Welt darstellen würden". In einem Brief an die Sunday Times schrieb Guthrie: "Meine militärische Erfahrung hat mich den Schrecken der Folter gelehrt. Sie ist böse und muss bestraft werden, wo immer die Täter zu finden sind. Jeder gute Soldat weiß, dass das wahr ist."
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Der Oberstleutnant im Ruhestand Nicholas Mercer, der während des Irakkrieges ranghöchster Militäranwalt war, meint: "Diese Gesetzesvorlage ist ein tiefer Rückschritt der britischen Regierung. Sie untergräbt nicht nur die UN-Konvention gegen Folter, sondern auch die Genfer Konventionen von 1949. Dies ist einfach beispiellos."
Reprieve zitiert Oberstleutnant Mark Goodwin-Hudson, der meint, dass "es irreführend ist zu behaupten, dass dieses Gesetz unsere Soldaten schützen soll". Vielmehr "bringt es britische Soldaten in größere Gefahr", wo Großbritannien in Missbrauchsfälle verwickelt ist.
Laut Mercer geht es in dem Gesetzentwurf stattdessen darum, "die Regierung zu schützen". Nachdem die britische Regierung während des Irak-Konflikts "unmenschliche und erniedrigende Verhörmethoden" angewandt habe, versuche sie wohl, Gesetze zu erlassen, um eine Haftung zu vermeiden. Mercer verweist unter anderem auf geheime Wüstengefängnisse im Irak und das Schicksal der Gefangenen, die von britischen Streitkräften dorthin gebracht wurden. Dieser Gesetzentwurf könnte bedeuten, dass solche Fälle nie aufgearbeitet würden.
Die britische Regierung kündigte an, dass das Gesetz am 23. September im Unterhaus behandelt wird, wo Abgeordnete die wichtigsten Grundsätze des Gesetzentwurfs diskutieren können.
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