Die Zeit wird knapp: Istanbul zwanzig Jahre nach Gölcük weiterhin Erdbeben schutzlos ausgeliefert

Vor über 20 Jahren starben 18.000 Menschen bei dem Erdbeben in Gölcük in der türkischen Provinz Kocaeli. Das Beben mit der Stärke 7,6 am 17. August 1999 mit seinem Epizentrum in Gölcük südöstlich von Istanbul war eines der folgenreichsten Beben in der Türkei.

Doch nach der Meinung von Experten von der Kammer der türkischen Ingenieure und Architekten (TMMOB) hat das Land – und insbesondere die Metropole Istanbul – nicht die notwendigen Konsequenzen aus dieser Katastrophe gezogen. Der Stadtverwaltung werden bis heute schwerwiegende Vorwürfe gemacht.

Der Vorsitzende der Istanbuler Kammer der Bauingenieure, Nusret Suna, teilte zum 21. Jahrestag des Erdbebens von Gölcük am Montag mit:

Selbst die optimistischsten Szenarien zeigen, dass bei einem möglichen Erdbeben in Istanbul das Leben hunderttausender Bürger bedroht ist.

Die Bauten in Istanbul seien nicht erdbebensicher. Dass die Metropole in einem Erdbebengebiet liegt, würde bei Bauvorhaben überhaupt nicht berücksichtigt.

Auch in dem letzten Bericht zur Erdbebensicherheit der Stadt heißt es, der Baubestand sei nicht erdbebensicher. Waldgebiete, Wasserbecken und Flussbetten wurden zu Baugelände deklariert.

Der Stadtverwaltung wird vorgeworfen, wissenschaftliche, architektonische und stadtplanerische Disziplinen nicht beachtet und technische Prinzipien nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Auf Wälder, Ufer und natürliche Ressourcen würde keine Rücksicht genommen, Kultur sei vernichtet worden und dies alles sei während der letzten zwanzig Jahre unter dem Motto der "städtischen Erneuerung" geschehen. Hätten sich die Verantwortlichen wirklich an den mit diesem Motto verbundenen Masterplan, nämlich zur Schaffung einer erdbebensicheren Stadt gehalten, dann wäre Istanbul heute eine sichere Stadt. So ist es dem Bericht zu entnehmen.

Häuser, die ohne Baugenehmigung errichtet worden waren, erhielten im Nachhinein eine "Amnestie". So wurde auch das "schwarz" Bauen permanent begünstigt.

Die 16-Millionen-Metropole Istanbul ist nachweislich besonders erdbebengefährdet. Die neue Verwaltung der Metropole, die erst seit Juni 2019 im Amt ist, hat daher kürzlich den Erdbeben-Etat von 2019 um das Zweieinhalbfache erhöht. Forscher erwarten ein weiteres starkes Beben im Raum Istanbul, wann genau ist jedoch unklar. Die Zeit werde knapp, so warnen daher die Experten.