Business as usual: London liefert trotz Sanktionen potenziell militärische Güter an Russland

Großbritannien gehört zu den lautesten Staaten in Europa, wenn es darum geht, Sanktionen gegen Russland zu fordern. Wenn es aber ums Geschäft geht, zeigt sich London weit weniger zimperlich und schreckt selbst vor Exporten nicht zurück, die eigentlich verboten wären.

Bereits vor dem Anschlag mit dem hochtoxischen Nervengift Nowitschok auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter Julia in Salisbury im März 2018, fiel Großbritannien mit besonders scharfer antirussischer Rhetorik auf. Der Anschlag, für den umgehend Russland verantwortlich gemacht wurde, und der zu einer beispiellosen Welle an Ausweisungen russischer Diplomaten aus verschiedenen EU-Ländern führte, trug zumindest in der medialen Wahrnehmung zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen zwischen London und Moskau bei. 

Tatsächlich gehörte Großbritannien nach dem Putsch in der Ukraine im Februar 2014 und der Wiedereingliederung der Krim in die Russische Föderation zu den führenden Verfechtern von Sanktionen gegen Moskau, die von der Europäischen Union schließlich auch beschlossen wurden. Darin wurde nebst Wirtschaftssanktionen auch ein Waffenembargo verhängt, das ein Verbot von "Lieferungen von Dual-Use (doppelter Verwendungszweck/Anm.) Gütern, die zur militärischen Endnutzung bestimmt sind oder sein könnten" mit einschließt.

Das hinderte die Regierung in London aber offensichtlich nicht, Güter im Wert von mindestens 232 Millionen britische Pfund (ca. 254,67 Millionen Euro) zwischen April 2018 und April 2020 nach Russland zu liefern, die in diese Kategorie fallen. Auffällig sind insbesondere die Lizenzen für "Informationssicherheitsequipment" und "Cyberverteidigung". Allein im ersten Quartal dieses Jahres exportierte Großbritannien Güter im Wert von 61,4 Millionen britischer Pfund (ca. 67,4 Millionen Euro), die zu dieser Kategorie zählen, aber nicht entsprechend klassifiziert werden. Dabei stehen Produkte aus dem Bereich "Informationssicherheit" auf der Liste der "Dual-Use"-Güter der EU und dürften demnach nicht exportiert werden. 

Laut der US-Definition von "Informationssicherheit" gehören dazu unter anderem Produkte für Kryptoanalyse, Angriffserkennungssysteme, Netzwerkforensik oder Netzwerküberwachung. 

Insgesamt gehörte Russland im Jahr 2019 zu den Top-5-Ländern, in die "strategische Exportlizenzen" vergeben wurden, noch vor Frankreich oder Deutschland. 

Während man angesichts der Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland erwarten würde, dass sich diese auch auf die Handelsbeziehungen auswirkt, ist das Gegenteil der Fall. Die Exporte sind gestiegen und für Unternehmen in gewissen Segmenten, wie beispielsweise Automotive, Pharmazeutische Produktion, Agrotechnologie und natürlich Öl und Gas, "könnte Russland ein guter Markt sein", wirbt etwa das Ministerium für Internationalen Handel. Das bestätigt auch die russische Botschaft in London. Demnach gehört Großbritannien mit 23,8 Milliarden US-Dollar zu den Top-10-Investoren des Landes.

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