Der Bericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zum angeblichen Giftgaseinsatz im syrischen Duma am 7. April 2018, bei dem Dutzende Menschen getötet worden sein sollen, ist weiterhin höchst umstritten und beschäftigte am Montag den UN-Sicherheitsrat in New York.
Dort gab der ehemalige OPCW-Inspekteur Ian Henderson eine Erklärung in Form einer aufgezeichneten Videoansprache ab, nachdem sein Visumantrag auf persönliche Teilnahme an der Sitzung von den USA abgelehnt worden war.
Laut Henderson, der der sogenannten Fact Finding Mission (FFM) angehörte, die für die OPCW die Vor-Ort-Untersuchung durchführte, wurden wichtige Erkenntnisse des Inspektionsteams im Duma-Abschlussbericht außer Acht gelassen. Diese hätten ernsthafte Zweifel daran aufkommen lassen, dass überhaupt ein Giftgasangriff stattgefunden hat.
Die Ergebnisse im FFM-Abschlussbericht waren widersprüchlich, sie stellten eine völlige Kehrtwendung der Erkenntnisse dar, zu denen das Team während und nach den Einsätzen in Duma gelangt war", sagte Henderson.
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Auch wenn mehrere Mitglieder des Untersuchungsteams bereits im Juli 2018 "ernsthafte Bedenken hatten, dass ein chemischer Angriff stattgefunden hat", kam der Abschlussbericht der OPCW dennoch zu dem Schluss, dass es "berechtigte Gründe" für die Annahme gebe, dass es in Duma zu einem Angriff mit Chlorgas kam. Der Abschlussbericht, der nicht von der FFM erstellt wurde, sondern von einer Gruppe, die den mutmaßlichen Tatort nicht einmal besucht hatte, machte indirekt die syrische Armee für den Vorfall verantwortlich.
Von jeder abweichenden Meinung bereinigt, ignorierte der Bericht laut Henderson "Erkenntnisse, Fakten, Informationen, Daten oder Analysen", die sein Team in den Arbeitsbereichen toxikologische Studien, chemische Analysen, Ballistik sowie Zeugenaussagen gesammelt hatte.
"Von Hand platziert": Analyse der mutmaßlichen Tatwaffen spricht für Inszenierung
Westliche Politiker und Medien behaupteten damals auf der Grundlage von Videoaufnahmen und Zeugenaussagen aus dem Umfeld der mit islamistischen Terrorgruppen kooperierenden "Weißhelme", dass die syrische Armee "mit hoher Wahrscheinlichkeit" zwei Zylinder mit Chlorgas auf Wohngebäude fallen ließ, wodurch zahlreiche Zivilisten getötet worden seien.
Henderson führte eine genauere Analyse dieser Zylinder durch, die er in einem internen Bericht für die OPCW zusammenfasste. Seine "technische Bewertung" war im Mai letzten Jahres an die Öffentlichkeit gelangt.
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Diese beschäftigte sich unter anderen mit der Frage, wie die mutmaßlichen Tatwaffen dorthin gelangten: Entweder wurden die Zylinder aus der Luft abgeworfen, was für die Täterschaft der syrischen Luftwaffe sprechen würde. Oder sie wurden dort von Hand platziert, was hingegen für die Täterschaft der Aufständischen sprechen würde. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass es "wahrscheinlicher ist, dass beide Zylinder an diesen beiden Standorten von Hand platziert wurden, als dass sie von einem Fluggerät abgeworfen wurden".
Ich hatte weitere sechs Monate lang technische und ballistische Studien zu den Zylindern durchgeführt, deren Ergebnis die Ansicht bekräftigte, dass es keinen chemischen Angriff gegeben hatte", erklärte Henderson.
Jüngste WikiLeaks-Veröffentlichungen hätten gezeigt, dass ein hochrangiger OPCW-Mitarbeiter anordnete, "alle Spuren" seiner Einschätzung aus den Archiven zu entfernen, führt Henderson aus. Doch trotz des internen Streits, der die Glaubwürdigkeit der OPCW untergrabe, besteht der Ex-Inspekteur darauf, dass die Auseinandersetzung um den Duma-Bericht nicht eine Frage der "politischen Debatte" sein darf. Henderson drängte in seinem Statement darauf, dass alle Unstimmigkeiten "ordnungsgemäß gelöst werden (...) durch die Strenge der Wissenschaft und der Ingenieurskunst".
"Derselbe Aktions-Algorithmus": Moskau zieht Parallelen zu früherem Chemiewaffenvorfall
Die informelle Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Montag wurde auf Antrag Moskaus einberufen. Die USA und ihre Verbündeten werfen Russland vor, damit "die angesehene OPCW und ihre Mitarbeiter zu diskreditieren". Moskau erwiderte, sein Ziel bestehe im Gegenteil darin, das Vertrauen in die Organisation wiederherzustellen.
Der Chemiewaffenvorfall im syrischen Duma. Warum ist er so wichtig? Weil er eine Rechtfertigung für die Raketenangriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens im April 2018 lieferte, die die syrische Regierung sofort schuldig gesprochen hatten", sagte der Ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen Wassili Nebensja.
Eine Woche nach dem Vorfall in Duma hatten die USA, Frankreich und Großbritannien als "Vergeltung" syrische Einrichtungen mit Marschflugkörpern angegriffen und damit die Aufnahme der Arbeit der OPCW-Inspektoren verzögert.
Nebensja zog in seiner Erklärung eine Parallele zum angeblichen Chemiewaffenangriff in Chan Schaichun am 4. April 2017, bei dem durch den Einsatz von Sarin über 80 Menschen getötet worden sein sollen. Der Westen machte unverzüglich Damaskus verantwortlich, die USA feuerten Dutzende Marschflugkörper auf einen syrischen Luftstützpunkt ab, von dem aus der Giftgasangriff erfolgt sein soll.
Die OPCW bestätigte den Sarineinsatz in einem Bericht und machte dafür das syrische Militär verantwortlich. Doch die Ermittler der UN-Kontrollbehörde hatten den Tatort nie selbst untersucht und sich allein auf die Aussagekraft von vermeintlichen Beweismitteln verlassen, die ihr vom Al-Qaida-Ableger "Nusra-Front" und den mit ihm verbündeten Weißhelmen zugespielt worden war. Es war das erste Mal im Laufe des Syrien-Kriegs, dass die OPCW eine Konfliktpartei als Schuldigen für einen Giftgaseinsatz benannte.
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Trotz unschlüssiger und gefälschter Beweise, bei denen Menschen ungeschützt um den Sarin-Bombenkrater herumliefen und keine Überreste der Fliegerbombe gefunden wurden, und trotz vieler anderer Ungereimtheiten wurde die syrische Regierung für schuldig befunden", führte Nebensja aus.
Was bei Chan Schaichun noch gelungen war, nämlich die Schuld "automatisch Damaskus zuzuschieben", ließ sich laut dem russischen OPCW-Vertreter im Fall von Duma nicht wiederholen, weil die Aufständischen die Kontrolle über die Stadt verloren hatten. Der Ständige Vertreters Russlands bei der OPCW Alexander Schulgin erklärte dazu:
Die syrischen Regierungstruppen und das russische Militär trafen wenige Tage nach dem sogenannten Chemiewaffenangriff in Duma ein. In einer eifrigen Suche gelang es ihnen, die Syrer zu finden, die in dem berüchtigten Video der Weißhelme als Opfer der Einwirkung giftiger Substanzen zu sehen sind. Es stellte sich heraus, dass sie nicht vergiftet wurden, sondern vielmehr zu unfreiwilligen Komparsen in einer weiteren Provokation der Weißhelme wurden.
Schulgin wies darauf hin, dass diese 13 Zeugen, einschließlich des Jungen Hassan Diab, am 26. April 2018 in einer Pressekonferenz im OPCW-Hauptquartier der Öffentlichkeit ihre Erfahrungen schilderten.
Danach verschwand das verhängnisvolle Videomaterial der Weißhelme plötzlich, und westliche Medien verzichteten darauf, es zu senden. Ich möchte betonen, dass das Gleiche mit den denkwürdigen Fotos von angeblich vergifteten Kindern aus Chan Schaichun geschah. Es gab Fotos, dann verschwanden sie. Es sieht wie ein und derselbe Aktions-Algorithmus aus", so Schulgin.
Vor dem UN-Sicherheitsrat sprach auch Maxim Grigoriew, Leiter der NGO "Foundation for the Study of Democracy". Diese hatte in Duma über 300 Einwohner befragt, deren Aussagen die westliche Darstellung erschütterten.
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