von Ali Özkök
RT Deutsch hat mit Professor Doktor Mehmet Seyfettin Erol gesprochen. Er ist Präsident des Ankara Forschungszentrums für Krisen und Politikstudien. Erol, der sich auf Themen der internationalen Politik spezialisiert hat, ist Kolumnist und unterrichtet an mehreren türkischen Hochschulen, darunter an der Haci Bayram Veli Wirtschaftsuniversität in Ankara und der Boğaziçi Univserität in Istanbul.
Was ist nach ihrer Meinung das Ziel der USA, die nun zwei türkische Minister sanktioniert haben?
Das Hauptziel der US-Sanktionen gegen die Türkei ist, die Türkei wieder "auf Linie zu bringen" und sie dazu zu zwingen, ihre Außenpolitik in Einklang mit den Zielen der aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik zu bringen. Die Sanktionen werden als operatives Instrument verwendet, um eine starke Außenpolitik zu Gunsten eigener Interessen durchzusetzen. Dies ist gleichbedeutend mit der Auflösung des ausgewogenen, mehrdimensionalen außenpolitischen Verständnisses Ankaras.
Können sie genauer werden?
Mit anderen Worten, die USA wollen die Türkei von ihrem wachsenden multipolaren Weltverständnis und vom damit einhergehenden eurasischen Kurs abbringen. Die Zusammenarbeit mit Russland, Iran und China im Rahmen des Seidenstraßen-Projekts gewinnt jeden Tag mehr an Gewicht. Für die USA ist dabei Iran das vorrangige Ziel. Eine Operation gegen Iran ist ohne die Türkei jedoch fast unmöglich. Trump möchte deshalb die Türkei von einer zu vermutenden Iran-Operation überzeugen. Die USA streben an, über die Türkei größeren Einfluss auszuüben, über ihr islamisches Gewicht und in der übrigen Turkstaaten-Welt.
Gibt es für die Türkei Optionen, um die US-Sanktionen zu kontern?
Die Türkei wird schrittweise auf diese Sanktionen reagieren. Zunächst wird die Methode der Gegenseitigkeit angewendet. Deshalb wird der Reaktions- und Krisenprozess symmetrisch zu den Schritten verlaufen, die die USA einschlagen. Trump steht mit den wichtigsten Staaten auf der Welt mehr oder weniger im Konflikt. Das ist der größte Vorteil der Türkei. Eine Seite in diesem globalen Geflecht stellen Russland und China dar. Die andere Seite ist Deutschland mit der Europäischen Union. Diese Akteure könnten bei einer Zuspitzung der Spannungen mit den USA aktive und effektive Bündnisprozesse initiieren.
Aus der Perspektive der genannten Staaten kann die Türkei im Sinne einer multipolaren neuen Weltordnung zur vertieften Zusammenarbeit beitragen. Aus türkischer Sicht kann man je nach Ausgang der Krise auch von einer großen Chance für den türkischen Staat sprechen, die neue Geschäfte und Hoffnung bietet.
Hat die Türkei Alternativen zu einer Allianz mit den USA?
BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Eurasische Wirtschaftsunion und die Astana-Friedensgespräche stellen "aufkommende Alternativen" dar. Die Mitglieder und Gründer dieser diversen Organisationen sind sich ebenfalls der Bedeutung der Türkei bewusst. Jede dieser genannten Organisationen ist eine potenzielle Plattform für Ankara. Die Krise mit den USA schafft die Voraussetzungen dafür, dass diese Optionen noch schneller und energischer durchgesetzt werden können.
Was ist der Grund für die Verhaftung von Andrew Brunson in der Türkei und warum reagieren die USA darauf so empört?
Der Fall Andrew Brunson ist keine Frage der Religion. Das kann man auch an den Reaktionen der führenden US-Beamten ablesen. Pastor Brunson wurde auf frischer Tat ertappt, wie er Putschisten unterstützte. Das wissen die USA und sie wissen auch um die Bedeutung dieser Aktivitäten. Die Sprecherin des US-Außenministeriums Heather Nauert verwendete kürzlich für dieses Problem den Begriff "sensibles Thema". Nun müssen wir uns hier fragen, warum ist das Thema "sensibel", wenn der Priester nur seiner religiösen Pflicht nachgegangen ist? Oder warum sonst ist das Thema "sensibel"? Es gibt also einige Dinge, die die USA nicht erklären möchten oder können. Nun wurden die USA auf frischer Tat ertappt. Man muss hinter den jüngsten Sanktionen und Drohungen der Vereinigten Staaten vor allem diese Psychologie erkennen. Washington will vertuschen.
Wer ist von wem mehr abhängig: Die Türkei von den USA oder andersherum?
Ankara kann seinen Platz in einer zunehmend von den USA wegdriftenden Welt einnehmen. Schulden kann die türkische Regierung ausgleichen. Im Gegensatz dazu haben die USA ein regionales Problem. Keine Regionalmacht zwischen Europa, Afrika und Asien bietet auch nur ähnliche Vorzüge wie die Türkei. In diesem Sinn ist Anatolien geopolitisch und strategisch unersetzlich, auch wenn einige Versuche der USA mit einem Projekt Kurdistan gab. Die USA ohne die Türkei, eine NATO ohne die Türkei - das kommt einem sehr empfindlichen Schlag gegen die globalen Machtinteressen der USA gleich. Die USA werden kein Interesse daran haben, die Türkei wirklich zu verlieren.