US-Pastor nur Vorwand: USA wollen mit Sanktionen Türkei politisch auf Linie bringen

Ankara "protestiert" gegen die Sanktionierung zweier Minister durch die USA und fordert, die "falsche Entscheidung" rückgängig zu machen. RT Deutsch sprach mit dem türkischen Geopolitik-Forscher Mehmet Erol über mögliche Hintergründe der US-Entscheidung.

von Ali Özkök

"Die Entscheidung, die auf zwei Minister abzielt, entspricht nicht der staatlichen Gepflogenheit und lässt sich nicht mit den Begriffen Recht und Gerechtigkeit erklären", heißt es in der Erklärung des türkischen Außenministeriums.

Das US-Finanzministerium verhängte am Mittwoch als Vergeltung für die Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson Sanktionen gegen türkische Beamte, darunter Justizminister Abdülhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu.

Das türkische Außenministerium kritisierte, dass die "aggressive Haltung der USA keinen Sinn hat", und fügte hinzu, dass die Türkei in gleichem Maße reagieren werde.

Der Schritt der USA werde als "respektlose Einmischung" in das türkische Justizsystem angesehen, da es den konstruktiven Bemühungen zur Lösung der Probleme zwischen den beiden Ländern schade.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu schloss sich in einer Stellungnahme auf seiner offiziellen Twitter-Seite seinem Amt an. Er betonte, dass die US-Sanktionen nicht ohne Vergeltung bleiben würden.

"Wir können unsere Probleme nicht lösen, solange die USA ihre rechtswidrigen Forderungen nicht aufgeben", fügte Çavuşoğlu hinzu.

Mehmet Seyfettin Erol, Direktor des Krisen- und Politik-Forschungszentrums in Ankara, kurz ANKASAM, und Professor an mehreren türkischen Universitäten, sagte auf Anfrage von RT Deutsch:

Das Hauptziel der US-Sanktionen gegen die Türkei ist, die Türkei wieder auf Linie zu bringen und sie dazu zu zwingen, ihre Außenpolitik in Einklang mit den Zielen der neuen US-amerikanischen Außenpolitik zu bringen. Die Sanktionen werden als operatives Instrument verwendet, um eine starke Außenpolitik zu Gunsten eigener Interessen durchzuführen.

Der Chefredakteur der einflussreichen regierungsnahen Tageszeitung Yeni Şafak, İbrahim Karagül, ging noch weiter. Er stellte einen Elf-Punkte-Aktionsplan auf, dem die Erdoğan-Regierung im Vorgehen gegen die US-Regierung folgen sollte. Darin fordert Karagül unter anderem die Schließung der strategisch wichtigen Militärbasis İncirlik für die US-Armee. Auf der Basis befinden sich Dutzende US-amerikanische Atombomben. Aus dem Aktionsplan stechen vor allem drei Punkte hervor:

1. Die USA haben die Türkei angegriffen und fördern seit 40 Jahren die Tötung Hunderttausender Türken durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und andere terroristische Organisationen.

2. Sie haben die Türkei offen angegriffen; sie haben am 15. Juli 2016 mittels FETÖ-Terroristen die Besatzung unseres Landes, die Entfesselung eines Bürgerkriegs und die Ermordung des Präsidenten unseres Landes versucht.

4. Die USA versuchen, die Annäherung der Türkei an aufstrebende Mächte wie Russland und China zu unterminieren. Die neuen Wirtschaftsinitiativen der Türkei mit diesen Mächten beunruhigen sie.

Ein anderer Beamter der türkischen Regierung gab sich bezüglich des traditionellen Verbündeten versöhnlicher. Er sagte der Tageszeitung Habertürk, die eskalierenden Spannungen mit den USA könnten durch einen Dialog gelöst werden, doch Ankara sei bereit, bei Bedarf Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen.

"Wir befinden uns derzeit in Verhandlungen mit unseren US-amerikanischen Kollegen, die sich in einer positiven Atmosphäre fortsetzen. Beide Seiten haben ihre Bereitschaft bekräftigt, gute diplomatische Beziehungen aufrechtzuerhalten", bekräftigte der Beamte, der sich nur unter Wahrung seiner Anonymität äußern wollte. ANKASAM-Direktor Erol konkretisierte gegenüber RT Deutsch die mögliche türkische Reaktion. Er sagte:

Die Antwort der Türkei auf diese Sanktionen wird schrittweise erfolgen. Zunächst wird die Reziprozitätsmethode angewendet. Daher wird der Reaktions- und Krisenprozess parallel zu den Schritten verlaufen, mit denen die USA angefangen haben.

Aus Erols Sicht ist die NATO für die Türkei, die das zweitgrößte Militärkontingent  innerhalb des US-geführten Bündnisses stellt, nicht alternativlos. Der Krisenberater betonte, dass Formate wie BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Eurasische Wirtschaftsunion für die Türkei als Gegenpol zum immer größer werdenden Druck der USA und anderer westlicher Staaten zunehmend wichtiger werden.

Von der Brunson-Debatte weitgehend überschattet, verabschiedete der US-Senat am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit ein Gesetz zur Verteidigungspolitik der USA in Höhe von 717 Milliarden US-Dollar. Das Gesetz benötigt noch die Unterschrift von Präsident Donald Trump. Es enthält auch eine Änderung, die den Verkauf von F-35-Kampfjets an die Türkei verbietet, bis das Pentagon in 90 Tagen einen neuen Bericht über die türkisch-amerikanischen Beziehungen herausgibt. Der Bericht soll eine Bewertung der Teilnahme der Türkei am F-35-Programm sowie der Risiken enthalten, die sich aus dem Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400 ergeben würden.

Der Washington-Korrespondent der türkischen Tageszeitung Sabah, Ragıp Soylu, gab in einer Kolumne ebenfalls Entwarnung. Darin heißt es:

Trump stieß unzählige Drohungen gegen viele Nationen aus, aber am Ende saß er mit ihnen zusammen, um neue Geschäfte auszuhandeln. Erdogans beträchtliche Zurückhaltung in seinen öffentlichen Reaktionen bezüglich Trump impliziert, dass er auf die nächste Runde direkter Gespräche wartet, die wahrscheinlich am Rande der UN-Generalversammlung stattfinden werden.

Justizminister Gül sagte später, er besitze weder Eigentum noch Geldvermögen außerhalb der Türkei, daher hätten Versuche des US-Finanzministeriums, Vermögenswerte unter US-Gerichtsbarkeit zu "blockieren", keine Auswirkungen auf ihn.

Der ebenfalls sanktionierte Innenminister Soylu teilte mit, das einzige Geschäft, das er mit den USA habe, sei die Auslieferung des Führers der Gülenisten-Bewegung, Fethullah Gülen, der seit Jahren im US-Exil lebt. Die Türkei beschuldigt Fethullah Gülen, seine Gefolgschaft zum gescheiterten Putschversuch 2016 angestiftet zu haben.

Der aus North Carolina stammende Brunson, der zuvor wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülenisten-Bewegung und zur verbotenen kurdischen PKK inhaftiert war, wandelte ein Gericht am 25. Juli nach Berufung seines Anwalts die Untersuchungshaft in Hausarrest um. Der Anwalt führte gesundheitliche Probleme an, unter denen der 50-jährige Angeklagte leide.

Der Streit um Brunson und den türkischen Erwerb des hochmodernen russischen S-400-Luftabwehrsystems erreichte den Siedepunkt, als US-Präsident Donald Trump und sein Vize-Präsident Mike Pence die endgültige Freilassung von Brunson forderten und der Türkei andernfalls mit harten Sanktionen drohten. Die türkische Regierung teilte Washington wiederholt mit, dass der Fall Brunson von den Gerichten behandelt werde und die Regierung nicht eingreifen könne.