Nach Angaben von russischen und chinesischen Strafverfolgungsbehörden fliehen zunehmend IS-Kämpfer aus Syrien nach Afghanistan, um sich in der Provinz Nangarhar zu sammeln, analysiert der russische Think Tank Katheon.
Seit geraumer Zeit verliert der IS in Syrien immer mehr an Boden. Längst nicht alle Kämpfer werden jedoch getötet, gefangen oder kehren in ihr Heimatland zurück. Anführer des Islamischen Staates haben bis zu 500 ihrer Mitglieder außer Landes geschafft. Russische Geheimdienste schätzen die Stärke des IS in Afghanistan derzeit auf 2.500 bis 4.000 Kämpfer.
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Die Route führt üblicherweise von Syrien aus über den Irak, weiter über den Golf von Oman nach Karatschi und schließlich in die pakistanische Stadt Peschawar, wo sie die Grenze nach Afghanistan übertreten. Die größte Konzentration an solchen Wanderdschihadisten liegt in der Provinz Nangarhar, in welcher der Islamische Staat die Produktion und den Schmuggel von Drogen ausbaut, eine Infrastruktur für die Ausbildung weiterer Terroristen schafft und Einheimische rekrutiert.
Die zwei größten US-Basen in Afghanistan, Kabul und Bagram, befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Provinz. Die US-Luftwaffe fliegt in letzter Zeit verstärkt Angriffe in dem Gebiet, das seit dem Sturz der Taliban lange Zeit relativ ruhig gewesen war.
Norden Afghanistans ist das Ziel
Das Hauptziel des IS in Afghanistan ist den Erkenntnissen des Think Tanks zufolge nicht nur die Destabilisierung des Landes, sondern auch die vollständige Invasion der postsowjetischen zentralasiatischen Republiken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan mit dem Ziel, Spannungen an die russische Südgrenze zu bringen.
Die nördlichen Nachbarn Afghanistans zeigen sich über die Entwicklungen besorgt. Der tadschikische Außenminister Sirodschiddin Aslow sagte auf der internationalen Afghanistan-Konferenz, die im März in Taschkent stattfand:
Die Aktivierung terroristischer Gruppen in den nördlichen Regionen Afghanistans, insbesondere in den an Tadschikistan angrenzenden Gebieten, sowie die Beteiligung einer bestimmten Anzahl an Bürgern der postsowjetischen Republiken an terroristischen Organisationen in Afghanistan bereiten uns große Sorgen.
Seit langem gibt es Zugriffe tadschikischer und usbekischer Taliban auf die Nordprovinzen Afghanistans. Auch dies könnte ein möglicher Einfallspunkt für die IS-Kämpfer sein.
Waleri Korowin, Direktor des Zentrums für Geopolitische Expertise, sieht hier eine Reihe von Risiken:
Erstens kann Washington auf diese Weise Moskau und Teheran von Syrien ablenken. Zweitens: Wenn die Operation erfolgreich ist, wird ein Schwerpunkt der Instabilität auf dem Weg des One-Belt-One-Road-Projekts geschaffen, das die wirtschaftliche und logistische Integration Eurasiens stärken soll. Afghanistan grenzt auch im Westen an den Iran, was eine neue Front gegen Teheran eröffnet.
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"Chaos in Syrien und Afghanistan hängen zusammen"
Der Schauplatz Syrien verschränke sich auf diese Weise mit dem Schauplatz Afghanistan. Dies würde teilweise die erlahmende Initiative der USA in Syrien erklären, meinen die Autoren. Diese nehmen nicht an den Konferenzen von Astana teil. Ihr Ziel sei nicht die Rettung des Landes, sondern dessen Aufteilung. Auch soll die anhaltende Präsenz der Amerikaner in Deir ez-Zor die Verbindung zum Iran erschweren. Die Verlust wichtiger Ölfelder sei zudem ein hoher Preis für Frieden im Rest des Landes. Die USA, so mutmaßen die Autoren der Studie weiter, hätten auch nie ernsthaft daran gedacht, in Afghanistan eine Demokratie zu errichten, sondern wollten "ein Sprungbrett für die Schaffung terroristischer Netzwerke [schaffen], mit deren Hilfe die USA eine Aggression gegen den Iran und Russland vorbereiten".
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