Die Unruhen im Iran weiten sich aus. Bei den Protesten starb in der Nacht zum Dienstag erstmals ein Revolutionswächter. Die Revolutionswächter sind Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden, einer paramilitärischen Organisation zum Schutz des Systems. Bis zum Montag starben nach Angaben des Staatsfernsehens im Zentral-, West und Südwestiran mindestens zehn Demonstranten. Zudem kamen ein alter Mann und ein Kleinkind bei einem Unfall während der Proteste im westiranischen Dorud um.
Präsident Hassan Ruhani räumte ein, dass die Regierung die Lage nicht mehr völlig kontrolliere. Die USA und Israel unterstützten die Proteste und äußerten ihre Hoffnung auf einen Regime Change in Teheran. Die EU, Großbritannien und Deutschland appellierten an die Regierung des Irans, eine öffentliche Debatte zuzulassen.
Das staatliche Fernsehen Irib berichtete, der Revolutionswächter sei in Nadschafabad im Zentraliran von Demonstranten erschossen worden. Nach Angaben des Senders beweist die Tat, dass einige der Demonstranten bewaffnet seien. Die Nachrichtenagentur Tasnim hatte zuvor berichtet, bei dem Toten habe es sich um einen Polizisten gehandelt, zudem habe es drei Verletzte gegeben.
In sozialen Netzwerken wird behauptet, dass die Polizei in Dutzenden Städten auf die Demonstranten schieße; es habe am Montag erneut Tote gegeben. Diese Berichte ließen sich allerdings nicht unabhängig überprüfen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tasnim wurde in der Nähe von Nadschafabad eine Polizeiwache von Demonstranten in Brand gesetzt. Dem Staatsfernsehen zufolge wurden zudem in mehreren Städten staatliche Einrichtungen von Bewaffneten attackiert. Auch diese Berichte ließen sich nicht unabhängig verifizieren.
Bei einer Krisensitzung am Montag im Parlament erklärte Präsident Ruhani, es wäre ein Fehler, die Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. "Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten." Er kritisierte damit indirekt die Hardliner im Klerus, die seine Reformen blockieren. Ruhani zufolge sollten die Proteste nicht als Gefahr, sondern als Chance angesehen werden.
In seiner ersten Reaktion am Sonntag hatte der Präsident aber auch vor Ausschreitungen gewarnt, die die Sicherheit des Landes gefährden könnten. Er rief die Regimekritiker dazu auf, Proteste über legale Kanäle zu beantragen. In sozialen Netzwerken wurde der Vorschlag als Rhetorik bewertet. Das Innenministerium würde nach Meinung vieler Iraner niemals Anträge auf systemkritische Kundgebungen genehmigen.
Die Proteste hatten am Donnerstag begonnen. Sie richteten sich zunächst gegen die Wirtschafts- und Außenpolitik der Regierung, wurden aber zunehmend systemkritisch. Am Samstag griffen die Proteste auch auf die Hauptstadt Teheran über. Nach Augenzeugenberichten griff die Polizei in Teheran mit Wasserwerfern und Tränengas ein.
Ein iranischer Abgeordneter sprach von zwei Demonstranten, die in der Nacht zum Montag in der Stadt Iseh im Südwestiran getötet worden seien. Es habe auch Verletzte und Festnahmen gegeben, sagte Hodschatollah Chademi der Nachrichtenagentur Ilna. Bei einigen der Festgenommenen seien auch Waffen, Munition und Sprengstoff entdeckt worden. Nach unbestätigten Berichten in sozialen Netzwerken soll Iseh kurzfristig sogar von Regimegegnern besetzt gewesen sein. Zwei weitere Menschen wurden in Dorud getötet, jeweils drei im zentraliranischen Schahinschar und in Toserkan (Westiran). Es gab zudem zahlreiche Festnahmen. Nach Berichten in sozialen Netzwerken reichte die Zahl landesweit von 100 bis 800.
Am Montag funktionierte das zwischenzeitlich gestörte Internet im Iran wieder normal. Da iranische Medien über die Proteste selbst kaum berichten, werden viele Berichte und Videos über soziale Netzwerke verbreitet.
Die Proteste im Iran sorgen auch für neuen Zündstoff in den Beziehungen zu den USA und Israel. US-Präsident Donald Trump twitterte, die Menschen im Iran würden nicht länger hinnehmen, "wie ihr Geld und ihr Wohlstand zugunsten von Terrorismus gestohlen und vergeudet wird". Ruhani nannte im Gegenzug Trump am Sonntagabend einen Heuchler. Der US-Präsident konterte am Neujahrstag wiederum per Twitter, das "große iranische Volk" sei über Jahre unterdrückt worden. Seinen Tweet beendete er in Großbuchstaben mit: "ZEIT FÜR EINEN WECHSEL!"
Irans Verteidigungsminister Amir Hatami sagte Medienberichten zufolge am Montag in Richtung USA, die Feinde des Landes hätten die Proteste angefacht, um die islamische Republik zu destabilisieren.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte ebenfalls die Hoffnung auf einen Regierungswechsel in Teheran. "Das Regime hat Angst vor seinem eigenen Volk, deswegen werfen sie Studenten ins Gefängnis, deshalb verbieten sie soziale Medien", erklärte er.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich besorgt über die Entwicklung. "Wir appellieren an die iranische Regierung, die Rechte der Demonstranten zu respektieren, sich zu versammeln und frei und friedlich ihre Stimme zu erheben", sagte er.
Der britische Außenminister Boris Johnson rief zu einer ernsthaften Debatte über die "legitimen und wichtigen Belange" der Demonstranten im Land auf. Großbritannien hoffe, dass die iranischen Behörden eine solche Debatte zuließen. "Die Menschen sollten die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung haben und auf legale Weise friedlich demonstrieren dürfen", sagte Johnson am Montag auf Facebook. Auch die EU äußerte die Erwartung, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von der iranischen Führung garantiert werde.
(rt deutsch/dpa)