Saudischer Politikwissenschaftler zum Ukraine-Krieg: Auf die USA ist kein Verlass

Der saudische Politikwissenschaftler Mansour Almarzoqi erklärt im Interview mit dem Spiegel, warum Saudi-Arabien nicht die russische Operation in der Ukraine verurteilt hat. Er kritisierte die Doppelmoral des Westen auf der internationalen Ebene im Zuge der Ukraine-Krise.

Der saudi-arabische Politikwissenschaftler und Direktor des Center for Strategic Studies am Prince Saud Al-Faisal Institut for Diplomatic Studies in Riad Mansour Almarzoqi sprach mit dem Spiegel über die "zurückhaltende" Kritik seines Landes an Russland, die westliche Arroganz und die US-Außenpolitik.

Auf die Frage, warum Saudi-Arabien es bislang vermied, die russische Operation in der Ukraine zu verurteilen, antwortete Almarzoqi, Riad teile die Position einiger westlicher Hauptstädte nicht. Diese meinen, Saudi-Arabien müsse Teil dieses Konflikts sein, und zwar auf der Seite des Westens: "Riad ist nicht Teil dieses Konflikts und will nicht Teil dieses Konflikts werden", unterstrich der saudische Politikwissenschaftler. 

Almarzoqi kritisierte im Interview mit dem Spiegel die Doppelmoral des Westen im Zuge der Ukraine-Krise auf der internationalen Ebene. Die Ukraine-Krise offenbare doch einmal mehr die "Heuchelei des Westens", wenn es um den Wert menschlichen Lebens gehe, um Migration oder die Souveränität von Nationalstaaten. Es gebe hier absolut keinen Unterschied zwischen George Bushs Invasion im Irak 2003 und dem Ukraine-Krieg. Derselbe Westen, der die israelische Besatzung Palästinas akzeptiere, empöre sich nun über die russische "Besetzung" ukrainischer Städte, füge er hinzu.

Auf die Frage, wie wichtig Peking heute für das Königreich ist, entgegnete Almarzoqi, einige wissenschaftliche Untersuchungen deuteten darauf hin, dass China die USA in einem Jahrzehnt als Nummer eins der Weltwirtschaft ablösen werde. "Unser Handel mit China belief sich im Jahr 2019 auf 76 Milliarden Dollar, während er mit den USA nur 32 Milliarden Dollar betrug."

"Ein Hauptunterschied zwischen Geschäften mit Washington und mit Peking besteht darin, dass die USA andauernd hegemoniale, expansionistische Ziele in der ganzen Welt verfolgen und dann von uns verlangen, diese Ziele mit ihnen gemeinsam anzustreben. Mit China dagegen geht es nur ums Geschäft."

Angesprochen auf die strategische Partnerschaft zwischen den USA und Saudi-Arabien, erklärte der saudische Politikwissenschaftler, die USA seien nicht verlässlich. "Nur ein Narr würde Washington vertrauen. Und nur ein Naiver würde sich darauf verlassen. Das Königreich Saudi-Arabien ist beides nicht."

"Die Geschichte lehrt uns, dass die USA selbst den engsten Verbündeten, das Vereinigte Königreich, im Zweiten Weltkrieg fast im Stich gelassen hätten. Winston Churchill hatte den damaligen US-Präsidenten Franklin Roosevelt eindringlich um Hilfe gebeten – ohne Erfolg. Washington griff erst gegen Ende des Krieges ein, als die eigenen strategischen Interessen in Gefahr waren."

Almarzoqi kritisierte anschließend, dass der Westen versuche noch immer, dem Rest der Welt sein Wertesystem aufzuzwingen, "auf eine Art und Weise, die keine Rücksicht auf kontextuelle, historische oder zivilisatorische Grenzen nimmt".

Die Saudis signalisierten kürzlich, dass sich ihre Beziehung zu Washington unter der Biden-Regierung verschlechtert hatte, und sie wollen mehr Unterstützung für ihre Intervention im Jemen-Konflikt. Die Ansarollah (besser bekannt als "Huthis") intensivierten in letzter Zeit ihre Vergeltungsangriffe auf Ölfördereinrichtungen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. US-Präsident Joe Biden zog aber bereits einige militärische Fähigkeiten und Streitkräfte aus der Golfregion, einschließlich Saudi-Arabien, ab, um sich mehr auf China zu fokussieren.

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