"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" – Kritik an Vertreibung von Palästinensern aus Ostjerusalem

In den frühen Morgenstunden am Mittwoch stürmten israelische Streitkräfte ein Haus in Scheich Dscharrah im israelisch besetzten Ostjerusalem. Die Anwohner wurden teils geschlagen, verhaftet oder bei kaltem Wetter obdachlos. Menschenrechtler sprechen von Kriegsverbrechen.

Die israelische Polizei hat am Mittwochmorgen das Haus einer palästinensischen Familie im Scheich Dscharrah im israelisch besetzten Ostjerusalem geräumt und dann zerstört. Die Familie hatte zuvor versucht, dies abzuwenden, und damit gedroht, das Haus in die Luft zu sprengen. Um 3 Uhr oder 5 Uhr morgens stürmten zahlreiche israelische Polizisten und Spezialeinheiten das Haus und riegelten die Umgebung ab. Laut Al Jazeera drangen Dutzende schwer bewaffneter Kräfte in das Haus der Familie ein, während sie schlief, schlugen noch unbekleidete Familienmitglieder und verhafteten mehrere von ihnen.

Schon am Montag hatten israelische Streitkräfte versucht, die Familie Salhiya aus ihrem Haus zu vertreiben, indem sie das Grundstück, auf dem das Haus steht, stürmten und das Geschäft der Familie zerstörten. Daraufhin verbarrikadierte sich der Familienvater Mahmoud auf dem Dach des Hauses und drohte, sich und das Haus in Brand zu setzen. Nach einer zehnstündigen Pattsituation verließen die israelischen Streitkräfte das Gebiet, und Unterstützer sammelten sich dort, um gegen den absehbaren Einsatz der israelischen Kräfte zu protestieren.

Er wolle in Würde leben oder sterben, sagte Mahmoud am Montag gegenüber Middle East Eye. "Ich wollte mich selbst anzünden, weil ich jeden Tag sterbe, ich sterbe seit 25 Jahren", fügte er hinzu und bezog sich dabei auf den jahrzehntelangen Druck, sein Haus zu verlassen. "Der Tod ist besser, als zuzusehen, wie dein Zuhause zerstört wird ... wir sterben jeden Tag. Wir sind immer wieder aus unserer Heimat vertrieben worden. Wir sind bereits tot. Wir sind innerlich tot. Wir sind schon seit 1948 tot", zitiert Middle East Eye den Familienvater. Das nun zerstörte Haus gehörte seiner Familie seit Generationen, nachdem sie 1948 während der Gründung Israels von Milizen aus ihrem damaligen Heimatort Ain Karem vertrieben wurde. Demnach besaß die Familie das Haus also schon vor der israelischen Annexion Ostjerusalems.

Laut Al Jazeera wurde die Familie so in einer der kältesten Nächte der diesjährigen Wintersaison obdachlos. Augenzeugen berichteten, dass am Mittwoch etwa 25 Palästinenser, darunter sechs Familienmitglieder, festgenommen wurden. Nach Angaben der israelischen Polizei soll an der Stelle des Hauses eine Schule und Kindergärten entstehen, bereits 2017 habe es dafür einen Räumungsbescheid gegeben. Das Jerusalemer Bezirksgericht habe die Familie vor rund einem Jahr darüber informiert, dass sie das Haus räumen müsse. Nun setzte die Stadtverwaltung den Räumungsbescheid des Gerichts um, hieß es. Ahmad al-Qadmani, der Anwalt der Familie, erklärte gegenüber Middle East Eye, dass beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt worden wäre, um die Abrissverfügung zu stoppen. Die israelischen Streitkräfte hätten aber die Ruhe der Nacht ausgenutzt, um den Abriss durchzuführen. "Das ist ein aggressiver Angriff, der gegen Gesetze und Vorschriften verstößt", so der Anwalt. Etwa 200 weitere Familien in Ostjerusalem sind von ähnlicher Vertreibung aufgrund von Räumungsbefehlen bedroht.

Scheich Dscharrah, wo auch ausländische Konsulate und Luxushotels angesiedelt sind, wurde im vergangenen Jahr durch die Familie Salhiya zu einem Brennpunkt und Symbol dessen, was die Palästinenser als israelische Kampagne zur Verdrängung aus Ostjerusalem betrachten. Vielen Familien in diesem Viertel droht die Vertreibung durch die israelischen Behörden. Das am Mittwoch zerstörte Haus lag etwa einen Kilometer nördlich von den Altstadtmauern Jerusalems, wo im vergangenen Jahr ein schwerer Konflikt seinen Ausgang nahm, nachdem jüdische Gruppen versuchten, Besitzansprüche gegen die Grundstücke dort lebender Palästinenser gewaltsam durchzusetzen und zusammen mit israelischen Sicherheitskräften durch aggressive Aktionen die Anwohner vor Ort drangsalierten. Die im Gazastreifen herrschende Hamas nannte diese Vorgehensweise als einen Auslöser für den Raketenbeschuss auf Israel im Mai des vergangenen Jahres, den wiederum Israel als Anlass für den elftägigen bewaffneten Konflikt erklärte, bei dem die Region durch massive militärische Gewalt Israels stark zerstört wurde und viele Zivilisten getötet und verletzt wurden.

Die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels ist eine kaum übersehbare und somit auch für Israels Verbündete unangenehme Kontroverse, hat aber gemessen an der sonstigen Rhetorik westlicher Regierungen über vermeintliche und wirkliche Annexionen anderswo vergleichsweise wenig Konsequenzen. Das betroffene Haus befand sich gegenüber dem britischen Konsulat in Ostjerusalem, das am Montag erklärte, dass Räumungen in besetzten Gebieten – abgesehen von außergewöhnlichsten Umständen – gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Es forderte die israelische Regierung auf, "solche Praktiken einzustellen, die die Spannungen vor Ort nur noch verstärken".

Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fanden dagegen deutlichere Worte. Sophie McNeill von HRW Australien forderte:

"Die gewaltsame Vertreibung der Familie Salhiyeh und der Abriss ihres Hauses in Scheich Dscharrah im besetzten Ostjerusalem sind Kriegsverbrechen. So sehen Apartheid und Verfolgung aus. Die Verantwortlichen für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollten strafrechtlich verfolgt und bestraft werden."

Israel hatte 1967 unter anderem das Westjordanland und Ostjerusalem annektiert, mittlerweile haben sich dort mehr als 600.000 israelische Bewohner seither angesiedelt. Die Palästinenser wollen die Gebiete dagegen für einen unabhängigen Staat Palästina mit Ostjerusalem als dessen Hauptstadt. Schon im Jahr 2016 hatte der UN-Sicherheitsrat Israel zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich dem annektierten Ostjerusalem aufgefordert.

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