Rekrutierung neuer Kämpfer in Idlib – Islamisten-Chef hofft auf Anerkennung durch den Westen

Der Anführer von Haiʾat Tahrir asch-Scham Abu Muhammad al-Dschaulani hofft auf die Anerkennung der Gruppe durch die Weltgemeinschaft. Er plädierte in einem Interview erneut für die Rekrutierung ausländischer Dschihadisten zur Bekämpfung des syrischen Staates.

Jüngste Äußerungen des Anführers der Terrororganisation Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) Abu Muhammad al-Dschaulani beweisen wieder, dass die radikal islamistische Terrorgruppe nicht bereit ist, die Rekrutierung ausländischer Kämpfer in der nordwestlichen Provinz Idlib einzustellen. In einem Interview mit der türkischen Version des Independent am 5. September sprach Dschaulani über ausländische Kämpfer in Idlib und die Aktivitäten des Islamischen Staates (IS) in Syrien sowie die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan.

Auf die Frage, ob es in Syrien einen Platz für ausländische Kämpfer gibt, lobte Dschaulani die Unterstützung dieser Kämpfer im Kampf gegen den syrischen Staat und versprach, sie nicht im Stich zu lassen.

"Diese Kämpfer sind nun ein Teil von uns. Sie sind ein Teil des Volkes. Sie stellen keine Bedrohung für ihre eigene Länder dar. Sie sind hier unter der von uns festgelegten Politik, die nicht auf Feindseligkeit gegenüber irgendeinem Land basiert. Wir haben Feindschaft mit denen, die Syrien besetzt und Syrer getötet haben. Unsere Einwandererbrüder sind nun ein Teil von uns, und wir werden sie gemäß unserer Religion und Kultur schützen."

Mit den "Besatzern" meint er natürlich nicht die USA oder die Türkei, die ohne UN-Mandat in Syrien unterwegs sind, sondern es geht dabei um Staaten wie Russland und Iran, die auf Einladung des syrischen Staates zur Bekämpfung des Terrorismus in Syrien interveniert haben.

Der HTS-Anführer glaubt, dass der "Islamische Staat" (IS) der einzige Grund für "die schlechte Sicht des Westens auf den Islam" gewesen sei. Er warf dem IS im Interview mit dem Independent vor, Islamophobie zu schüren, die der sogenannten "syrischen Revolution" sehr geschadet habe.

Dschaulani hofft längst auf die Anerkennung seines Mini-Kalifats in Idlib durch den Westen. Der Terrorchef hatte unlängst PBS versichert, das HTS keine Gefahr für die USA darstelle und Washington die Gruppe von der Terrorliste streichen sollte.  

Nach dem Ausbruch der Konflikte in Syrien im Jahr 2011 expandierte die irakische Al-Qaida–Filiale in den Staat in der Levante. Auf Befehl von IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi gründete Dschaulani dort den Ableger Dschabhat an-Nusra (an-Nusra-Front). Die Streitigkeiten zwischen Baghdadi und Al-Qaida-Anführer Aiman az-Zawahiri führten schließlich zur Spaltung.

Abbas Sharifa, Forscher für die Angelegenheiten der dschihadistischen Gruppen beim Jusoor Center for Studies in Istanbul, erklärte Al-Monitor, dass die jüngsten Äußerungen Dschaulanis im Kontext einer erwarteten Schlacht um Idlib gesehen werden sollten, "insbesondere nach der jüngsten Bombardierung von Dschebel Zawiya".

HTS bräuchte bei einem möglichen bevorstehenden Kampf um Idlib mehr Terrorkämpfer, um der syrischen Armee entgegentreten zu können. In den letzten Tagen lancierten die syrische und die russische Luftwaffe Angriffe auf Terrorziele in der von HTS-Dschihadisten kontrollierten Provinz Idlib. Die syrische Armee eroberte mit russischer Unterstützung kürzlich den Stadtteil Darʿā al-Balad im Südwesten Syriens von den Islamisten zurück. Die Befreiung von Darʿā ist von großer Bedeutung, da die Stadt lange ein Zentrum der sogenannten Rebellen bzw. Terroristen war.

"Dschaulani möchte die Karte der ausländischen Kämpfer im Ärmel behalten und versucht, dem Westen zu signalisieren, dass er sich bemüht, diese Kämpfer in Schach zu halten. Aber er könnte diese große Anzahl von Kämpfern auch als Hebel nutzen, um den Weltfrieden zu bedrohen, wenn er mit einem internationalen Versuch konfrontiert wird, ihn zu eliminieren oder ihn nicht einmal anzuerkennen", fügte Sharifa hinzu.

HTS erwartet im Grunde, dass auch sein Vorgehen gegen andere dschihadistische Gruppen in Idlib, die dieser Gruppe gegenüber feindlich eingestellt sind, vom Westen als Zeichen des guten Willens betrachtet wird.

HTS hat sich darauf konzentriert, jede Gelegenheit zu nutzen, um sich regional und international bei westlichen Akteuren als die einzige Gruppe zu präsentieren, die in der Lage ist, das Gebiet Idlib zu verwalten. HTS versucht dabei auch, sich die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan als Beispiel zu nehmen. Dazu ist anzumerken, dass die US-Amerikaner diejenigen waren, die die Taliban im Jahr 2020 durch Friedensgespräche in Doha faktisch als politische Akteure in Afghanistan anerkannt hatten. Die Machtübernahme durch die Taliban hat die Moral der Dschihadisten in Syrien gestärkt. Denn der Sieg der Taliban-Milizen in Afghanistan hat bewiesen, dass sich bewaffnete Milizen besser durchsetzen können als andere sunnitische Gruppen, die den politischen Weg eingeschlagen hatten. HTS gratulierte den Taliban in einer Erklärung vom 18. August zu ihrer "Eroberung" Afghanistans.

Die Hilfe, die unter Vermittlung des Westens durch die Grenzübergänge nach Syrien weiterhin kommt, wird auch von HTS als indirekte Anerkennung ihrer Herrschaft in Idlib angesehen.

In Jahr 2015 eroberte die Nusra-Front im Verbund mit anderen islamistischen Kampfgruppen wie der Ahrar asch-Sham die nördliche Provinz Idlib, die heute die letzte Bastion der Dschihadisten in Syrien ist. Das Branding "Al-Qaida" wurde für die Nusra-Front jedoch zunehmend hinderlich, da es eine offene Unterstützung durch ausländische Staaten unmöglich machte, die den Regime-Change in Syrien vorantreiben wollten. Daher benannte sich die Nusra-Front im Jahr 2017 in Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) um, weiterhin befehligt von Dschaulani. 

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