Macron auf Nahost-Konferenz in Bagdad: Frankreich will als Mandatsmacht in der Region mitreden

Eine "Konferenz für Kooperation und Partnerschaft" in Bagdad hat die Außenminister des Iran und Saudi-Arabiens zusammengebracht. Bagdad will sich als regionaler Vermittler etablieren. Doch was wollte der französische Präsident Emmanuel Macron am Tigris?

von Karin Leukefeld

Ursprünglich hatte der Irak Anfang August zu einer "Konferenz der Nachbarstaaten des Irak" eingeladen, um regionale Spannungen auszugleichen, Probleme zu erörtern und einen Mechanismus der Kooperation untereinander einzuleiten. Dann aber war aus Paris zu hören, dass auch der französische Präsident Emmanuel Macron nach Bagdad kommen und die Konferenz mit ausrichten wolle.

Obwohl Frankreich nachweislich über keine gemeinsame Grenze mit dem Irak verfügt, traf Macron offenbar in Absprache mit den USA, der EU und der NATO bereits am Freitag am Tigris ein. Mit dem irakischen Präsidenten Barham Saleh als auch mit Ministerpräsident Mustafa Al-Kadhimi absolvierte Macron ein umfangreiches Besuchsprogramm und eine Pressekonferenz. Mit Kadhimi besuchte er den Schrein von al-Kazimiyya, der an den schiitisch-muslimischen Imam Mūsā al-Kāzim erinnert. Beim "Familienfoto" aller Konferenzteilnehmer war Macron in der ersten Reihe zwischen dem irakischen Ministerpräsidenten und dem Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani platziert.

Bei der Konferenz am Samstag ergriff Macron als einer der ersten das Wort und betonte, die Stabilität des Irak sei wichtig für die "Stabilität in der gesamten Region". Der Irak müsse gute Bedingungen für die Jugend schaffen, um zu verhindern, dass diese "in Extremismus und Terrorismus" abdrifte. Frankreich werde seine Militärpräsenz im "Kampf gegen den Terror" im Irak so lange fortsetzen, wie die irakische Regierung darum bitte, und so lange, wie es noch aktive Terrorgruppen im Irak gebe, sagte Macron. Wichtig sei, dass Frankreich unabhängig von der US-Armee die "operationellen Kapazitäten" und Fähigkeiten für so einen Einsatz habe. Derzeit sind 800 französische Soldaten im Irak und in Jordanien stationiert.

Beobachter bewerteten den Auftritt Macrons einerseits als westliches Statement, den Irak als Schlüsselland gegenüber dem Iran nicht zu verlassen. Der Westen überschreibt dieses Interesse mit der Notwendigkeit des "Antiterrorkampfes" im Irak. Gleichzeitig habe Macron mit seinem Auftritt am Tigris seinen Anspruch bekräftigt, auch nach dem Ende des US-Kampfeinsatzes im Irak eine westliche und französische Militärpräsenz in dem Land aufrechtzuerhalten. Demonstrativ besuchte er nach Abschluss der Konferenz die französischen Spezialkräfte in Camp Grenier im Nordirak und traf in Mossul mit Christen zusammen. In Erbil wurde er vom kurdischen Präsidenten Nidschirfan Barzani und von dessen Vorgänger Masud Barzani empfangen.

Weniger wurde über die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in der Region berichtet. Der französische Ölriese Total hatte sich Ende März 2021 mit dem irakischen Ölministerium auf ein Investitionsprogramm für vier umfangreiche Energieprojekte geeinigt. Demnach soll Total mit dem Projekt Artway Energy die Gasförderung ausbauen und ein Ölfeld entwickeln. Meerwasser soll in Brunnen gepumpt werden, um die Ölförderung zu beschleunigen. Ein weiteres Projekt wurde mit dem irakischen Energieministerium unterzeichnet. Total soll demnach eine Solarenergieanlage mit einer Kapazität von 1.000 MW bauen.

Bereits Ende Dezember 2020 hatte der französische Flughafenbetreiber ADP Ingénierie einen türkischen Mitbieter aus dem Rennen geschlagen und sich mit der irakischen Luftfahrtbehörde auf den Wiederaufbau des Flughafens von Mossul verständigt. Die französische Firma hat seit 2010 schon die Flughäfen in Bagdad und Basra renoviert. Zusammen mit einer britischen Firma wurde ADP Ingénierie auch mit der Entwicklung des Flughafens Mittlerer Euphrat beauftragt, über den schiitische Pilger nach Nadschaf und Kerbala einreisen sollen.

Nach dem Abzug von US- und britischen Firmen hofft Frankreich offenbar auf weitere lukrative Aufträge im Irak. Nicht zuletzt, um China auszuschalten. China hatte kürzlich ein umfangreiches und langjähriges Investitionsabkommen mit dem Iran abgeschlossen.

Das französische Interesse an der Region reicht historisch weit zurück. Mit Großbritannien ist Frankreich für die Aufteilung der Region im geheimen Sykes-Picot-Abkommen (1916) verantwortlich. Das Sykes-Picot-Abkommen und die 1917 veröffentlichte Erklärung des britischen Außenministers Arthur Balfour, eine "jüdische Heimstatt in Palästina" zu unterstützten, wurden gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung, wie er der King-Crane-Kommission in mehr als 1.800 persönlich überbrachten Resolutionen erklärt worden war, vom damaligen Völkerbund abgesegnet. Seitdem ist die Region bis auf kurze Phasen nicht zur Ruhe gekommen.

Frankreich wurde Mandatsmacht in Syrien und dem Libanon und zieht bis heute daraus Legitimation, in der Region mitzureden. Paris finanziert französische Schulen, und besonders im Libanon betrachten manche Christen Frankreich als ihre Schutzmacht. Der französische Einsatz für die Christen im Irak sei "zivilisatorisch, aber auch geopolitisch" von Bedeutung, sagte Macron zu mitreisenden Journalisten. Es werde keine Balance im Irak geben, "wenn diese Gemeinschaft nicht respektiert wird".

Der Irak als regionaler Vermittler

Unabhängig vom Auftritt des französischen Präsidenten konnte der irakische Ministerpräsident Kadhimi mit der Konferenz positive Schlagzeilen verbuchen. Dem Aufruf, nach Bagdad zu kommen, waren fast alle Nachbarländer und darüber hinaus nahezu alle Mitglieder der Arabischen Liga gefolgt. Ägypten, Jordanien und Katar waren mit den Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, König Abdullah und Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani vertreten. Aus Kuwait kam Regierungschef Sabah al-Khaled al-Hamad as-Sabah, und die Vereinigten Arabischen Emirate waren durch Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum vertreten. Die Türkei schickte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu.

Zum ersten Mal seit dem Abbruch ihrer diplomatischen Beziehungen 2016 trafen auch die Außenminister aus dem Iran, Hossein Amir-Abdollahian, und aus Saudi-Arabien, Faisal bin Farhan, aufeinander. Berichten zufolge ist ein bilaterales Treffen der beiden nicht erfolgt. Der Irak bemüht sich seit Langem, die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu lösen, die für zahlreiche Konflikte in der Region, einschließlich der Kriege in Syrien und im Jemen, mit verantwortlich gemacht werden.

Bereits unter der Vermittlung des früheren irakischen Ministerpräsidenten Adil Abd al-Mahdi hatte ein schriftlicher Austausch zwischen Riad und Teheran begonnen. Auf iranischer Seite war General Qassem Soleimani dafür verantwortlich, der ranghöchste Vertreter der iranischen Revolutionsgarden. Die USA ermordeten Soleimani Anfang 2020 mit einem Drohnenangriff am Flughafen von Bagdad. Bei dem Angriff kamen auch Abu Mahdi al-Muhandis, der Führer der irakischen Volksmobilmachungskräfte (al-Haschd asch-Schaʿbī) und weitere Personen ums Leben. Die US-Administration hatte behauptet, Soleimani habe Angriffe auf US-Ziele im Irak besprechen wollen. Abd al-Mahdi stellte jedoch vor dem irakischen Parlament klar, dass Soleimani sich mit ihm treffen wollte, um einen Brief aus Teheran zu überbringen, den er nach Riad weiterleiten sollte. Erst im April 2021 wurden auf der Ebene der Geheimdienste direkte saudisch-iranische Gespräche in Bagdad aufgenommen.

Kämpfen oder kooperieren?

Allein das hochrangige Politikertreffen aus arabischen Staaten, aus dem Iran und der Türkei sei ein Erfolg, hieß es in Bagdad. Alle an einen Tisch zu bringen, sei ein Fortschritt. Erwartet wurde, dass lange vorbereitete Wirtschafts- und Handelsabkommen unterzeichnet werden sollten, unklar ist allerdings, ob es dazu kam. Themen waren der Krieg im Jemen und die schwierige wirtschaftliche und politische Lage im Libanon. Auch die Gespräche in Wien über das Atomabkommen mit dem Iran wurden erörtert. Darüber hinaus dürften die Lage in Syrien und die Auswirkungen westlicher Sanktionen auf der Tagesordnung gestanden haben.

Vorrangig sei es allerdings um den Irak gegangen, hieß es aus Veranstalterkreisen. Gastgeber Kadhimi wehrte sich in seinem Eingangsstatement dagegen, dass der Irak weiterhin "Schauplatz für regionale und internationale Konflikte" sein solle. Für die Staaten der Region sei Zusammenarbeit erforderlich, die ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten müsse aufhören. Der Irak solle nicht mehr Kampfzone, sondern Brücke für regionale Kooperation sein. Für zehn Jahre voller Kriege und Konflikte haben alle Staaten der Region einen hohen Preis bezahlt.

Ägypten will Gas in die Region exportieren, Jordanien ist dringend auf Investitionen im Handel und Investitionen in der Infrastruktur angewiesen und könnte als Zwischenhändler für Stromlieferungen in die Nachbarländer punkten. Der Irak steht unter westlichem Druck, sich von Öl- und Gaslieferungen aus dem Iran unabhängiger zu machen. Die USA drängen offenbar darauf, dass Jordanien – das seit 2011 vor allem als Militärbasis westlicher Interventionstruppen nach Syrien diente – wirtschaftlich als Transitland eine größere Rolle spielen soll. Ein Ausbau irakischer Infrastruktur Richtung Westen über Jordanien ans Mittelmeer und nach Ägypten soll demzufolge die Abhängigkeit von Seerouten durch den Persischen Golf reduzieren. Die bisherigen Verbindungen des Irak über Syrien und den Libanon, an die auch der Iran angeschlossen ist, werden von US-Truppen an den irakisch-syrischen Grenzen blockiert und sollen nach westlichem Willen offenbar auch gekappt bleiben.

Politisch bleiben die jeweiligen Interessen der regionalen Staaten konträr, sollen aber offenbar nicht mehr vorrangig militärisch ausgetragen werden. Der Irak will sich als Vermittler der Region positionieren. Wenn das gelingt, dürften die anderen Staaten zukünftig davon absehen, auf irakischem Territorium selbst oder durch Stellvertreter militärische Konfrontationen auszutragen. Doch noch ist der Irak Kampfzone, politische Lösungen sind in weiter Ferne.

Die Türkei will ihren Einfluss im Norden des Irak wie in Syrien gegen den Einfluss der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausweiten. Ein Vordringen der Türkei wiederum wollen die arabischen Golfstaaten verhindern. Ägypten und Jordanien, die beiden einzigen Staaten, die mit Israel einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, agieren unter erheblichem Einfluss des Westens. Dessen Interesse ist gespalten. Die USA und einige europäische Länder wollen vor allem ihren Partner Israel stärken. Andere drängen auf Kooperation mit der Region, um Druck auf ihre eigenen Länder zu reduzieren. Für den Iran ist es wichtig, seinen Einfluss im und durch den Irak nicht zu verlieren. Saudi-Arabien wiederum will ebendiesen Einfluss zurückdrängen.

Ob die regionalen Staaten wirklich zu einem friedlichen Miteinander finden, dürfte maßgeblich davon abhängen, ob der Westen seine Politik der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Einmischung in der Region einstellt. Dasselbe gilt für den Schatten- oder hybriden Krieg, der – unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges - mit Sanktionen, Drohungen, Isolation, Medien und "zivilgesellschaftlichen" Interventionen gegen die Staaten der Region und untereinander geführt wird.

Im Abschlusskommuniqué wurden schöne Worte gefunden: Die Staaten der Region sollten gemeinsam den Herausforderungen begegnen, hieß es. Um regionale Stabilität zu erreichen, müsse man sich koordinieren und kooperieren. Grundlage dafür seien Austausch und Zusammenarbeit auf Basis gegenseitiger Interessen. Gedankt wurde dem Irak für seine Initiative, die Konferenz auszurichten. Alle teilnehmenden Staaten stünden an der Seite der irakischen Regierung und des irakischen Volkes.

Syrien nicht dabei

An dem Treffen in der "Grünen Zone" in Bagdad nahm Syrien nicht teil, Gründe dafür wurden nicht bekannt. Vor der Konferenz hatte der iranische Außenminister Abdollahian kritisiert, dass Syrien als "wichtiger Nachbar" des Irak nicht eingeladen worden war. Der Iran stehe mit der syrischen Führung in Sachen "Sicherheit und nachhaltige Entwicklung der Region" in Verbindung, sagte er. "Wir werden uns direkt nach dem Bagdad-Gipfel mit Damaskus beraten." Syrien spiele bei jeder regionalen Initiative eine wichtige Rolle.

Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete, dass irakische Präsident Saleh sich am Rande der Konferenz mit dem syrischen Botschafter im Irak Sattam Dschadaan al-Dandah getroffen habe. In einer anschließenden Erklärung des Präsidentenpalastes hieß es, man habe über die bilateralen Beziehungen gesprochen. Sicherheit und Stabilität werde es in der Region nur geben, wenn Syrien und der Irak sicher und stabil seien. Auch die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga war demnach ein Thema.

Noch am Abend der Bagdader Konferenz flog der iranische Außenminister zu einem Treffen mit seinem syrischen Amtskollegen Faisal Miqdad nach Damaskus weiter. Man werde über die wirtschaftlichen, kulturellen und Handelsbeziehungen sprechen, sagte Abdollahian vor Journalisten nach seiner Ankunft. "Gemeinsam werden wir Schritte gegen den Wirtschaftsterrorismus unternehmen, um den Druck auf unsere beiden Völker zu beseitigen." Die Beziehungen zwischen Teheran, Damaskus und Bagdad bezeichnete er als "strategisch". Auf der Tagesordnung der beiden Minister stand auch die Entwicklung in Afghanistan.

Mehr zum Thema - Salz in die Wunden: Wie einige Staaten die Schwäche des Libanon für eigene Interessen ausnutzen