Der Befehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, General Austin Scott Miller, gab am Montag im Zuge des internationalen Truppenabzugs sein Kommando ab. Bei einer Zeremonie in Kabul übergab Miller seine bisherigen Aufgaben an General Kenneth "Frank" McKenzie, also den Chef des sogenannten Zentralkommandos (CENTCOM) der US-Streitkräfte, berichtet AP. Miller hatte seit September 2018 die Koalitionstruppen in Afghanistan befehligt.
Die CENTCOM-Zentrale hat ihren Sitz im US-Bundesstaat Florida. McKenzie wird nun von der Einrichtung des CENTCOM in Florida aus operieren. Von Florida aus werden bereits alle militärischen Aktivitäten der USA in 20 Ländern im Nahen Osten sowie in Zentral- und Südasien koordiniert. So soll nunmehr von dort aus auch über mögliche Luftangriffe zur "Verteidigung der Truppen der afghanischen Regierung" entschieden werden, zumindest bis der vollständige US-Abzug am 31. August abgeschlossen sein wird. Die Bedingungen, unter denen solche Angriffe eingesetzt werden könnten, sind derweil nicht klar, und es ist auch nicht bekannt, wie lange McKenzie diese Position als Kommandeur noch innehaben soll.
In der Zeremonie zur Übergabe des Kommandos erinnerte Miller an die US- und NATO-Soldaten, die in dem fast 20-jährigen Krieg getötet wurden, sowie an Tausende von Afghanen, die dabei ihr Leben verloren. Er warnte davor, dass die unerbittliche Gewalt in ganz Afghanistan eine politische Einigung immer schwieriger mache.
Afghanistans nationaler Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, der an der Übergabezeremonie teilnahm, sagte, der Rückzug der USA und der NATO habe ein Vakuum hinterlassen und der Schritt werde dazu führen, dass die nationalen Sicherheitskräfte Afghanistans ohne Nachschub und Nahrung auf dem Schlachtfeld stehen.
Die Übergabe des Kommandos fand zu einer Zeit im Hauptquartier der NATO-Vertretung in Kabul statt, als die Taliban-Milizen bereits in ganz Afghanistan, insbesondere im Norden, rasche Gebietsgewinne verzeichnen. Mittlerweile kontrollieren die Taliban rund ein Drittel aller 421 Bezirke und Bezirkszentren in Afghanistan. In den letzten Wochen nahmen die Taliban mehrere strategische wichtige Gebiete ein, insbesondere entlang der Grenzen zu Iran, Usbekistan und Tadschikistan. Diese Taliban-Offensive veranlasste jene drei Nachbarländer, ihre Truppen an der Grenze zu Afghanistan zu verstärkten. Die Taliban eroberten zudem nach eigenen Angaben zwei strategische Grenzübergänge Afghanistans. Dazu gehört der Grenzübergang Islam Qala, der besonders wichtig für den Warenverkehr zwischen Iran und Afghanistan ist. Zudem soll es ihnen gelungen sein, einen entscheidenden Zollposten nahe Turkmenistan einzunehmen.
Ein lokaler Machthaber in Nordafghanistan und wichtiger Verbündeter der USA bei der Niederlage der Taliban 2001 machte die zerstrittene Lage der afghanischen Regierung und einen "unverantwortlichen" US-amerikanischen Rückzug für die jüngsten raschen Gebietsgewinne der Taliban im Norden verantwortlich. Ata Mohammad Noor, der hinter dem jüngsten Versuch steht, den Vormarsch der Taliban durch die Schaffung weiterer neuer Milizen zu stoppen, sagte gegenüber The Associated Press, dass das reguläre afghanische Militär stark demoralisiert sei. Noor erklärte, Washingtons schneller Abzug habe das schlecht ausgerüstete afghanische Militär einer Offensive der Taliban ausgesetzt.
Die Streitkräfte der afghanischen Regierung scheinen den Kampf gegen die Taliban weitgehend aufgegeben zu haben, obgleich sie in manchen Landesteilen noch Widerstand gegen die Taliban-Milizen leisten. Im Zuge der Taliban-Offensive haben sich in den letzten Tagen in manchen Gebieten Regierungssoldaten kampflos ergeben oder ihre Ausrüstung dem Feind überlassen.
Mehr zum Thema - Taliban-Offensive in Nordafghanistan: Russland sichert Tadschikistan Unterstützung zu