Die Taliban haben in den letzten Wochen Dutzende Gebiete erobert. Sie stehen vor der Metropole Mazar-e Sharif und drangen schon in die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Kunduz ein. In den sozialen Medien zirkulieren auch Videos, in denen zu sehen ist, wie Regierungssoldaten sich kampflos den Taliban ergeben und ihre Ausrüstung dem Feind überlassen. Die Taliban sollen allein im Juni mindestens 700 Lastwagen und Humvee-Militärfahrzeuge der afghanischen Sicherheitskräfte sowie Dutzende gepanzerter Fahrzeuge und Artilleriesysteme aus US-Produktion erbeutet haben.
Die Bilanz stammt aus einem Open-Source-Investigativ-Bericht, der im Blog Oryx veröffentlicht wurde. Die ständig aktualisierte Liste hat Hunderte Fotos von zerstörter oder beschlagnahmter afghanischer Militärausrüstung katalogisiert, die von den Taliban online gepostet worden waren. Der Blog war für seinen detaillierten Investigativjournalismus über Geräteverluste im Bergkarabach-Konflikt 2020 ausgezeichnet worden.
Am Abend des 30. Juni fanden die Blogger Hinweise darauf, dass 715 leichte Fahrzeuge in die Hände der Taliban gefallen und 65 weitere zerstört worden seien. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr verlorene Fahrzeuge, die nicht gezählt wurden, da sie nicht auf Fotos oder Videos aufgezeichnet wurden. Insgesamt 25.000 Humvee-Fahrzeuge sollen bis 2021 nach Afghanistan verlegt worden sein. Während intensiver Gefechte soll die afghanische Regierung in der Regel 100 Humvee-Fahrzeuge pro Woche verloren haben.
Die Verluste an gepanzerten Fahrzeugen umfassen dem Bericht zufolge eine Handvoll alter, leicht gepanzerter M113-Mannschaftstransporter und sowjetischer Panzer – aber auch M1117-Truppentransportpanzer, die mit einem Maschinengewehr und automatischen Granatwerfern MK 19 bewaffnet sind. Was die Artillerie betrifft, sollen die Taliban neben 13 Mörsern mit kürzerer Reichweite, insbesondere siebzehn 122-Millimeter-Haubitzen D-30 erbeutet haben. Die Taliban haben im Juni zudem drei Mi-17- und einen UH-60A-Transporthubschrauber zerstört.
Diese schockierenden Zahlen in einem so kurzen Zeitraum zeigen, dass die lokalen Verteidigungskräfte sich in einigen Bezirken angesichts der Taliban-Offensive manchmal kampflos ergeben – teilweise aufgrund der Wahrnehmung, dass die Regierung im Zuge des vollständigen US-Abzugs aus Afghanistan im Laufe dieses Jahres zum Scheitern verurteilt sei.
Das Wall Street Journal berichtete vor Kurzem unter Berufung auf US-Sicherheitsbeamte, dass die Regierung in Kabul bereits ein halbes Jahr nach dem NATO-Abzug zusammenbrechen könnte. Einige US-Truppen werden auch nach dem Abschluss des Truppenabzugs in Afghanistan bleiben. Mindestens 1.000 reguläre Soldaten sollen den massiven Gebäudekomplex der US-Botschaft in Kabul sowie den internationalen Flughafen der Hauptstadt bewachen.
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