Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in einem Interview seine Forderung nach niedrigeren Zinsraten trotz der starken Inflation der Landeswährung Lira erneuert. Daraufhin stürzte die Lira gegenüber dem Dollar auf einen neuen Tiefstwert. Der türkische Zentralbankchef sah sich gezwungen, sich von den Erwartungen zu distanzieren, dass die Zinsraten demnächst gesenkt werden würden.
Erdoğan erklärte am Dienstagabend im türkischen Staatssender TRT, dass er eine Zinssenkung als "Notwendigkeit" betrachte. Diese könne im Juli oder August erfolgen. Am Mittwochvormittag fiel dann die türkische Lira um drei Prozent auf etwa 8,8 Lira gegenüber dem Dollar und 10,75 Lira gegenüber dem Euro. Beides markieren neue Tiefstwerte der Lira.
Daraufhin erklärte Şahap Kavcıoğlu, der Zentralbankchef, vor Investoren, dass Erwartungen an eine frühzeitige Änderung der Geldpolitik falsch seien. Er bezeichnete diese Erwartungen sogar als "nicht auf gesunden Überlegungen beruhend". Erdoğan hatte Kavcıoğlu erst im März dieses Jahres für diesen Posten bestimmt. Zuvor hatte er den vorherigen Zentralbankchef wegen seiner straffen Fiskalpolitik, die sehr im Widerspruch zu den eigenen Vorstellungen des türkischen Präsidenten stand, abgesetzt.
Das konnte die Anleger nur moderat beruhigen. Am Mittwochnachmittag verzeichnete die Lira gegenüber dem Dollar auf dem Devisenmarkt in Istanbul immer noch einen Verlust von etwa 0,5 Prozent. Die Lira zählt zu den Währungen von Schwellenländern mit der negativsten Entwicklung in diesem Jahr. Seit der Absetzung von Kavcıoğlus Vorgänger verlor die Lira mehr als 16 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar.
Esther Reichelt, Devisenexpertin der Commerzbank, erklärte gegenüber dem Manager Magazin, sie sei überrascht, wie offen und deutlich Erdoğan Kavcıoğlu "die Pistole auf die Brust setzt". Entgegen der herrschenden Meinung von Wirtschaftsexperten scheine der türkische Staatschef tatsächlich zu glauben, dass eine Senkung der Zinsraten die Türkei von ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten befreien könnte. Ihrer Einschätzung nach laufe er mit seiner Haltung "sehenden Auges in eine neue Lira-Krise". Ein Kurs von zehn Lira gegenüber dem Dollar sei inzwischen realistisch.
Andere Experten befürchten, dass die türkische Wirtschaft sich überheizen könnte, sollte die niedrige Zinspolitik anhalten. Die Türkei zählt zu den großen Volkswirtschaften, die derzeit am schnellsten wachsen: Sie liegt mit sieben Prozent direkt hinter China. Die hohen Inflations- und Arbeitslosigkeitsraten wirken sich aber unter dem Strich für die Bevölkerungsmehrheit negativer aus als mögliche positive Effekte durch die künstlich hochgetriebenen Wachstumsraten. Einschränkungen durch Corona-Maßnahmen erschweren die Lage zusätzlich.
Laut mehreren Umfragen sind die Zustimmungswerte von Erdoğan und seiner Regierungspartei in den letzten Montan stark gesunken. Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Rückgang mit der problematischen wirtschaftlichen Lage verbunden ist.
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