Nach elf Tagen gegenseitiger Angriffe gilt seit Freitagmorgen eine Waffenruhe zwischen der israelischen Regierung und der Hamas. Am Mittwoch holte dann der Chef des politischen Fügels der Hamas im Gazastreifen Jahja al-Sinwar verbal gegen Israel aus. Sollte Israel seine "Aggression gegen al-Aqsa" fortsetzen, werde man reagieren, zitiert die israelische Tageszeitung Haaretz den Hamas-Anführer.
"Der Feind muss wissen, dass alles, was bisher geschehen ist, eine kleine militärische Übung war, verglichen mit dem, was passieren wird, wenn die Aggression gegen den al-Aqsa-Moschee-Komplex weitergeht."
Am Sonntag war Sinwar das erste Mal seit dem gegenseitigen Raketenbeschuss öffentlich im Gazastreifen aufgetreten. Bei dieser Gelegenheit hatten Dutzende der oftmals als "radikalislamisch" bezeichneten Kämpfer der Hamas den Sieg über Israel erklärt. Während seiner ersten Ansprache erklärte Sinwar am Mittwoch zudem, dass "mehr als 10.000 Märtyrer" bereitstünden, um Vergeltung zu üben, sollte Israel "versuchen, die al-Aqsa-Moschee zu schänden". Bei diesen handele es sich nach Angaben anderer Quellen um Selbstmordkommandos innerhalb Israels.
"Die Widerstandsgruppen sind in der Lage, Hunderte von Raketen in einer Minute abzuschießen, mit einer Reichweite von 100 bis 200 Kilometern."
Bei der al-Aqsa-Moschee handele es sich um eine "rote Linie". Den Worten des Hamas-Chefs nach zu urteilen, sei die militärische Infrastruktur der Hamas nach wie vor "intakt". Die "politische Instabilität" Israels verhindere derweil einen Gefangenenaustausch.
"Was wir im Mai 2021 gesehen haben, war beispiellos, und wir sind auf dem Höhepunkt unserer Bereitschaft, die al-Aqsa-Moschee zu schützen."
Während der elftägigen Kampfhandlungen war nach Angaben der israelischen Armee auch das Haus des Hamas-Chefs im Gazastreifen angegriffen worden. Doch Jahja al-Sinwar und sein Bruder Muhammad al-Sinwar entkamen dem Luftangriff.
Zuletzt wurde berichtet, dass die Spannungen in unmittelbarer Nähe der Moschee seit der Waffenruhe keineswegs beendet sind. So seien demzufolge erst vor wenigen Tagen "etwa 50 jüdische Siedler in Begleitung von israelischen Polizisten in die Innenhöfe der al-Aqsa-Moschee eingedrungen". Trotz der Waffenruhe würden zudem Palästinenser unter 45 Jahren daran gehindert, das entsprechende Gelände zu betreten. Jugendlichen würde der Zutritt zur Moschee von israelischen Sicherheitskräften untersagt.
Laut Jahja al-Sinwar habe man sich nicht auf einen Waffenstillstand mit Israel geeinigt. Vielmehr handele es sich um eine von der Hamas eingelegte "Pause". Nun werde man beobachten, wohin sich die Dinge entwickeln.
"Es ist nicht unsere Aufgabe, den militärischen Sieg in einen diplomatischen zu übersetzen. Es ist die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, diplomatische Schritte für das palästinensische Volk zu unternehmen, bevor alles wieder in die Luft fliegt."
Zu den mutmaßlichen Versuchen Israels, eine große Anzahl von Hamas-Kämpfern zu töten, indem sie sie vor einem Angriff in deren unterirdische Tunnel locken, erklärte Sinwar:
"Unser Geheimdienst wusste von dem israelischen Plan und entlarvte ihren Plan und hielt unsere Kämpfer davon ab, in den Untergrund zu gehen."
Laut israelischen Angaben bestand der Schwerpunkt der eigenen Militäroperation darin, das ausgedehnte Tunnelnetzwerk der Hamas zu zerschlagen. Wie das Wall Street Journal berichtet, will die israelische Regierung etwa 100 Kilometer der Tunnelinfrastruktur zerstört haben. Hamas-Kommandeur Sinwar bestätigte die Zerstörung, erklärte aber, dass die Hamas über insgesamt 500 Kilometer Tunnelsystem verfüge. Die aktuellen Schäden an der sogenannten Hamas-Metro könnten innerhalb von "einigen Tagen" wieder repariert werden.
Nach Beendigung der Luftangriffe auf den Gazastreifen im Rahmen der Operation "Guardian of the Walls" hatte das Mitglied des israelischen Sicherheitskabinetts Zachi Ha-Negbi nach Angaben der Onlinenachrichtenseite Al-Monitor erklärt, dass es die Hamas für die kommenden 15 Jahre nicht mehr wagen werde, Israel anzugreifen.
Gegenüber der regionalen Nachrichtenseite gaben israelische Quellen unter Wahrung der Anonymität an, dass neben dem Tunnelsystem der Hamas zudem die Marineeinheiten der militärischen Organisation vernichtet worden seien, einschließlich unbemannter U-Boote, die möglicherweise entwickelt worden sein, um israelische Gasplattformen vor der Küste anzugreifen. Auch das Hamas-Arsenal an "Selbstmorddrohnen" sei demzufolge zerstört worden.
Darüber hinaus sei die Hamas dazu gezwungen worden, ihr Elitekommando "Nukhba" zu "verstecken", nachdem die israelische Armee (IDF) zwei ihrer Einheiten in den Hamas-Tunneln getötet habe.
"Alles, was sie noch haben, sind die Raketen, die [das Raketenabwehrsystem] Iron Dome mit einer zufriedenstellenden Rate abgewehrt hat. Alles in allem hat sich das Gleichgewicht in Richtung einer Hamas-Niederlage und eines israelischen Sieges geneigt."
Derweil erklärte Sinwar, dass die Hamas weiterhin in engem Kontakt mit der Hisbollah im Libanon stehe und dass die Demonstrationen entlang der Grenze zum Gazastreifen bald wieder aufgenommen würden – unter dem Schutz des militärischen Flügels der Hamas. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, warnte Israel in einer Fernsehansprache am Dienstag, dass "jede Schädigung der heiligen Stätten im besetzten Jerusalem" zu einem regionalen Krieg und zur "Zerstörung des Regimes" in Tel Aviv führen würde.
In den elf Tagen der Kämpfe zwischen der Hamas und Israel starben nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten 242 Palästinenser. Auf israelischer Seite seien laut der Organisation Magen David Adom zwölf Menschen durch die Raketen der Hamas getötet worden.
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