Aus Protest gegen massive israelische Luftangriffe auf den heute sehr dicht besiedelten Gazastreifen gingen am Dienstag Tausende anderer Palästinenser in allen besetzten Gebieten in auf die Straßen. Tausende zogen von Ramallah aus in Richtung der Siedlung Bet El. Obwohl der Generalstreik an vielen Orten wie auch in Ostjerusalem friedlich verlief, brach in Städten im Westjordanland jedoch Gewalt aus. Die Stimmung schaukelte sich dort solange hoch, bis Reifen brannten und Steine in Richtung der israelischen Siedlung flogen. Die israelischen Sicherheitskräfte antworteten mit Wurfgeschossen und Tränengas. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden bei Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften in Ramallah, Bethlehem, Hebron und anderen Städten drei Demonstranten getötet und mehr als 140 verletzt. Die israelische Armee sagte, zwei Soldaten seien dabei verletzt worden, meldet AP.
Die Demonstranten hatten nach einem Aufruf der Fatah zum Generalstreik ihre Arbeit im Westjordanien niedergelegt. Bei den anschließenden Protesten an einer israelischen Militärsperre wurden auch sie mit Tränengas zum Rückzug gezwungen. Laut dem Nachrichtensender Al Jazeera erfolgten die Abwürfe von Drohnen aus.
Der Generalstreik war "ein ungewöhnliches Zeichen der Einheit der palästinensischen Bürger Israels", die 20 Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, und zugleich all derjenigen Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten, kommentiert das AP. Der Organisator des Generalstreiks, Muhammad Barakeh, erklärte, die Palästinenser stehen gegen die israelische "Aggression" in Gaza und Jerusalem sowie gegen die "brutale Unterdrückung" durch die israelische Polizei.
Unterdessen setzen die Israelis weiterhin ihre Luftangriffe auf den Gazastreifen fort, wenn auch auf anscheinend niedrigerem Niveau als in den vergangenen Tagen. Die humanitäre Lage im Gazastreifen spitzt sich nach einer Woche fortdauernder israelischer Angriffe zugleich dramatisch zu. Es gibt Zehntausende Binnenflüchtlinge. Mehr als 40.000 Binnenflüchtlinge haben sich aus den besonders heftig bombardierten Teilen des Küstenstreifens versucht, in Sicherheit zu bringen. Viele von ihnen haben sich in Schulen der Vereinten Nationen begeben, die darauf allerdings gar nicht vorbereitet sind, meldet FAZ.
Ein Waffenstillstand ist zwar näher gerückt, und US-Präsident Joe Biden habe in einem Telefonat mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montagabend erstmals klar seinen Willen nach einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ausgedrückt, aber Biden wiederholte zugleich abermals das "israelische Recht auf Selbstverteidigung" gegen den Raketenbeschuss. Netanjahu sagte zudem am Dienstag, dass die Angriffe auf Gaza "so lange wie nötig fortgesetzt" würden. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza wurden bei israelischen Luft- und Artillerieschlägen bislang mindestens 213 Menschen getötet, 61 von ihnen waren Kinder. Auch zwei bekannte Ärzte kamen ums Leben.
Die israelische Armee habe mit ihrer aktuellen Operation mehrere Erfolge gegen die Hamas erzielt. Dass sich die Hamas nicht mehr in dem unterirdischen Tunnelsystem, in dem sie sich vor Angriffe versteckt hätten, sicher fühlen können, sei wohl der größte Durchbruch gewesen. Der Armee sei es gelungen, das unterirdische Tunnel-Netz der Hamas in Gaza zu beschießen, kommentiert Haaretz. Der Autor warnt jedoch zugleich, dass die Zahl der zivilen Opfer weiter drastisch steige. Insbesondere, seit Israel auch Journalistenbüros in Gaza bombardierte hatte, gefährde das Land spürbar sein "internationales Ansehen".
Die Fortsetzung der israelischen Angriffe beeinflusse zudem die Situation an anderen Fronten, wo Palästinenser im Westjordanien sich mit denjenigen in Gaza solidarisierten. "Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Sicherheitskoordination mit der PA. Präsident Mahmoud Abbas steht angesichts der wachsenden Unterstützung der Hamas im Westjordanland unter immensem Druck", kommentiert der Autor bei Haaretz weiter zu den Bemühungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA).
Inzwischen belastet die Eskalation in Israel und den besetzten Gebieten zunehmend auch Israels Verhältnis zu den Nachbarstaaten. Das Parlament in Amman forderte die jordanische Regierung am Montag auf, den israelischen Botschafter auszuweisen und den eigenen aus Tel Aviv abzuziehen. Das Parlament bekräftigte die Forderung nach einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 und mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Aus dem Libanon wurden am Montag erneut Raketen abgefeuert. Die Geschosse landeten jedoch auf libanesischem Territorium, lösten im Norden Israels aber dennoch Raketenalarm aus. Hisbollah-Vizechef Naim Kassim traf sich kürzlich mit führenden Köpfen der Hamas und des Islamischen Dschihad und versicherte ihnen die "volle Unterstützung für das palästinensische Volk und den Widerstand im ehrenvollen Kampf gegen den israelischen Feind", hieß es auf al-Manar.
Die Eröffnung neuer Fronten aufgrund der Proteste im besetzten Gebieten im Inneren und auch Angriffe auf Israel aus den Nachbarländern wären eine weitere Eskalationsstufe. Vor allem war der gestrige Generalstreik aber ein Zeichen dafür, dass die Spannungen ungeachtet einer möglichen Einstellung der israelischen Luftangriffe innerhalb Israels noch eine Weile verschärfen könnten.
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