Fast ein Jahr lang hatte es keinen vergleichbaren Vorfall mehr gegeben. Nun ereignete sich am Montagabend erneut ein Raketenangriff auf einen US-Stützpunkt im Irak. Diesmal traf es einen US-Militärstützpunkt auf dem Flughafen Erbil in der gleichnamigen nordirakischen Stadt, bei dem laut aktuellen Informationen ein "ziviler Auftragnehmer" getötet und fünf weitere Personen verletzt wurden, darunter ein US-Soldat.
Auch ein nahe gelegenes Wohngebiet sei demzufolge getroffen worden. Auf dem von den Raketen getroffenen Teil des Flughafens sollen sich Kräfte der US-Koalition im "Kampf gegen den Islamischen Staat" untergebracht sein.
Eine Gruppierung "Aulidschaa al-Dam" (Wächter des Blutes) übernahm umgehend die Verantwortung für den Raketenangriff, der sich gegen 22 Uhr Ortszeit ereignet hatte. Man habe mit dem Angriff ein Zeichen gegen die "amerikanische Besatzung des Irak" setzen wollen.
Die angeblich der schiitischen Miliz Kata'ib Hezbollah nahestehende Gruppe will bei dem nun durchgeführten Angriff 24 Raketen eingesetzt haben. Zuletzt wurden in den Jahren 2019 und 2020 Angriffe auf US-Basen im Irak verübt, bei denen mehrere US-Amerikaner getötet wurden.
Der neue US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich in einer Erklärung empört:
"Wir sind empört über den heutigen Raketenangriff in der irakischen Region Kurdistan."
Blinken versprach, den Ministerpräsidenten der kurdischen Regionalregierung Mansur Barzani bei "allen Bemühungen zu unterstützen, die Verantwortlichen zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen". Ein Sprecher der US-geführten Koalition schrieb auf Twitter:
"Ersten Berichten zufolge wurden die Koalitionstruppen in Erbil heute Nacht mit indirektem Feuer angegriffen."
Ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst bezog auch Barzani Stellung zu dem jüngsten Raketenangriff:
"Ich verurteile die heutigen Raketenangriffe auf Erbil auf das Schärfste. Ich fordere alle Kurden dazu auf, Ruhe zu bewahren. Ich habe die Sicherheitsdienste angewiesen, eine umfassende Untersuchung einzuleiten."
Zudem habe er mit dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi Möglichkeiten der Zusammenarbeit erörtert, um die "Verbrecher hinter diesem Terroranschlag" zu identifizieren. Sollte der Angriff tatsächlich auf das Konto einer dem Iran nahestehenden Miliz gehen, würden dadurch auch die Bemühungen, das Iranabkommen wiederzubeleben, einen massiven Rückschlag erleiden.
Allerdings hatte US-Präsident Joe Biden die Wiederaufnahme entsprechender Verhandlungen ohnehin an Vorbedingungen geknüpft. So hatte Biden erklärt, dass Teheran zunächst auf die jüngst wieder aufgenommen Anreicherung von Uran verzichten müsse.
Die iranische Führung hatte den Schritt damit begründet, dass es die USA und die mit ihnen verbündeten Vertragsparteien des Atomabkommens (JCPOA) sein, die sich nicht an das Regelwerk hielten. Der Iran würde nunmehr nur an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die von den USA eingeführten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufgehoben werden. Als US-Präsident hatte Donald Trump das Atomabkommen 2018 einseitig aufgekündigt.
Wie viel direkte Befehlsgewalt und Kontrolle Teheran über die im Irak operierenden Milizen ausübt, ist unter Experten umstritten. Wie der Chef des "United States Central Command" (CENTCOM) Frank McKenzie im vergangenen Monat jedoch erklärte, sei zumindest Kata'ib Hezbollah gegenüber Teheran "im Allgemeinen weisungsgebunden".
"Sie haben bedeutende militärische Fähigkeiten. In den letzten Jahren hat der Iran bedeutende Kampfkraft in den Irak und auch nach Syrien importiert, die von der Kataib Hisbollah eingesetzt werden könnte."
Es existiere laut McKenzie "eine Vielzahl an Front-Organisationen, die mit ihm [dem Iran] verbunden sind, die er verwendet, um zu steuern, zu kontrollieren oder den Beitrag zu Kata'ib zu verschleiern, wenn sie sich dazu entscheiden zuzuschlagen".
Im Zuge des Raketenangriffs meldete sich auch das türkische Außenministerium in Ankara zu Wort.
"Wir glauben, dass die irakischen Behörden diejenigen, die hinter den abscheulichen Angriffen stehen, umgehend identifizieren und sicherstellen, dass sie vor der Justiz Rechenschaft ablegen."
Der Vorfall habe erneut gezeigt, dass die Existenz jeder Art von "Terrororganisation auf irakischem Boden inakzeptabel" sei. Die Türkei drücke der Bevölkerung, der kurdischen Regionalregierung in Erbil und der US-geführten Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat ihr Beileid aus. Ankara geht, ohne das Einverständnis Bagdads, immer wieder militärisch gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak vor. Am Mittwoch hatte die Türkei eine Militäroperation in der nordirakischen Provinz Dohuk begonnen, die am Sonntag endete.
Das türkische Militär barg dabei nach offiziellen Angaben die Leichen von 13 türkischen Gefangenen der PKK, darunter türkische Soldaten und Polizisten, die vor Jahren von der PKK entführt worden seien. Ankara wirft der PKK vor, die Gefangenen exekutiert zu haben. Die PKK dagegen erklärte, sie seien durch türkische Bombardements gestorben. Wie später bekannt wurde, habe der türkische Militäreinsatz auch das Ziel gehabt, die Entführten zu befreien.
In einer Rede in der Schwarzmeerprovinz Rize erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag, dass nach dem "Blutbad" weder ein Land noch eine Person oder Institution "die Operationen der Türkei im Irak und in Syrien hinterfragen, kritisieren und sich gegen sie stellen" könne.
Und während Erdoğan den USA durch deren Unterstützung der syrischen Kurdenmiliz YPG vorwarf, "Terroristen" zu fördern, bekundete US-Außenminister Blinken am Montag in einem Telefonat seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu seine Anteilnahme. Der Sprecher des US-Außenministeriums Edward Price machte "PKK-Terroristen" für den Tod der türkischen Geiseln verantwortlich.
Derweil gab der iranische Botschafter im Irak Iradsch Masdschedi die gemeinsame Einrichtung eines Sondergerichts bekannt, um die Ermordung des iranischen Kommandanten der Al-Quds-Brigaden, General Qassem Soleimani, und des stellvertretenden Chefs der irakischen al-Haschd asch-Schaʿbī (Volksmobilisierungskräfte) Abu Mahdi al-Muhandis zu untersuchen.
Soleimani und Muhandis waren am 3. Januar 2020 bei einem US-Drohnenangriff in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad getötet worden. Muhandis galt als Kopf der irakischen Miliz Kata'ib Hezbollah. Anschließend forderte das irakische Parlament den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Zweistromland.
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