Die Türkei bleibt hartnäckig: Trotz der Vermittlungsgespräche mit Angela Merkel – noch vor der EU-Sondersitzung am 14. August – und trotz des Aufrufs des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zur Deeskalation hat die Türkei im Gasstreit mit Griechenland ihre Präsenz im östlichen Mittelmeer weiter verstärkt.
Bereits am zweiten Tag nach der Sondersitzung schickte die Türkei nach dem Forschungsschiff "Oruç Reis" nun die Fregatte "Kemal Reis", um gemeinsame Übungen mit der Küstenwache der nur von Ankara anerkannten Republik Nordzypern durchzuführen. Die Fregatte begleitet zudem das Forschungsschiff "Barbaros Hayrettin Paşa", das ebenfalls bereits südöstlich der Republik Zypern nach Erdgas sucht.
Auch Sanktionsdrohungen gegenüber der Türkei zeigen inzwischen keine Wirkung mehr. Bereits vor einem Jahr hatte die EU für diejenigen Personen, die nachweislich in die seismischen Forschungen der Türkei am östlichen Mittelmeer und in "illegale Bohrungen" involviert waren, Einreiseverbote verhängt und auch Konten eingefroren. Der Zugriff auf EU-Hilfsgelder wurde verwehrt. Auch Verhandlungen über ein Luftfahrtabkommen wurden ausgesetzt – alles ohne Erfolg.
Entweder denken außenpolitische Kreise in der Türkei, dass die EU keine weiteren Sanktionen verhängen wird – aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Türkei, die sich vertraglich zur Flüchtlingseindämmung nach Europa verpflichtet hat, die jedoch je nach Umstand auch damit gedroht hat, trotzdem ihre Grenzen nach Europa für die Geflüchteten zu öffnen. Oder es steht sehr viel mehr für die Türkei auf dem Spiel als nur die Würdigung eines türkischen Beitrags zur Deseskalation der Lage.
Aus türkischer Sicht befinden sich die unter dem Meeresboden südwestlich von Zypern, an der griechischen Insel Kreta und der kleineren Insel Kastellorizo vermuteten Erdgasvorkommen auf dem türkischen Festlandsockel. Die Bohrungen, die Griechenland mit Israel dort betreibt, sind nach dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nichts anderes als "Banditentum".
Überschneidung der Konfliktlinien am östlichen Mittelmeer
Die NATO-Partner Türkei und Griechenland sowie die Republik Zypern, inzwischen EU-Mitglied, streiten sich seit Langem um die Gasvorkommen. Beide Länder betrachten das Gebiet als ihre Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) nach Art. 55 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ/UNCLOS) der Vereinten Nationen. Die rechtliche Lage ist relativ unklar, sodass eigentlich Verhandlungen zwischen den beiden Ländern mehr Klarheit, mehr Transparenz und vor allem mehr Sicherheit in die hochexplosive, kriegsträchtige Konstellation bringen sollten. Doch weit gefehlt.
Die Situation spitzte sich vergangene Woche weiter zu, als Ankara das Forschungsschiff "Oruç Reis", begleitet von der Marine, zu Erkundungen südlich der griechischen Inseln Rhodos und Kastellorizo schickte. Dieser Einsatz soll noch bis 23. August andauern. Erst danach sei die Türkei eventuell zu Gesprächen bereit. Griechenland andererseits lässt auf der außenpolitischen Ebene nichts unversucht, die Türkei für ihre Aufdringlichkeit im östlichen Mittelmeer bestrafen und aus "seinem Revier" vertreiben zu wollen.
Im Juli dieses Jahres schien es eine kleine Auszeit in den Streitereien zu geben, als Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte, den Streit in Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis zu schlichten. Und tatsächlich: Die Türkei stellte ihre Bohrungen zunächst ein, und die Militärschiffe und die Flotten beider Länder entfernten sich teilweise von dem Gebiet. Bis ein Vertrag zwischen Griechenland und Ägypten offenkundig wurde.
Denn mittlerweile hat der Streit um die Ressourcen und Bohrungsrechte längst neben Ankara und Athen weitere Interessenten angezogen. Länger schon ist Israel involviert, was ein ganzes Bündel weiterer Konfliktlinien einbringt. Und spätestens seit dem Seeabkommen zwischen Athen und Kairo ist auch Ägypten Teil dieser Auseinandersetzung; Ägypten, das in puncto Muslimbrüder – seit dem Militärputsch von Abd al-Fattah as-Sisi gegen Mohammed Mursi, einer Führungsperson der Muslimbrüder – mit der Türkei, mit Muslimbruderschaft eng verbandelt, über Kreuz liegt.
Dieses griechisch-ägyptische Abkommen war eine griechische Reaktion auf die türkische Unnachgiebigkeit – eine Reaktion nicht nur auf das Explorationsschiff "Oruç Reis", das am 10. August in das fragliche Gebiet eindrang. Die Türkei ihrerseits hatte nämlich bereits im November 2019 ein ähnliches Seeabkommen mit Libyen geschlossen. Jenes Abkommen erlaubt es der Türkei, in einem Meeresgebiet nach Ressourcen aus dem Meeresboden zu suchen, das sich praktisch mit dem beiderseitig beanspruchten Gebiet im Ostmittelmeer überlappt. Im Gegenzug hatte die Türkei Truppen in das Bürgerkriegsland geschickt, in dem sie selbst als Unterstützerin der international anerkannten Regierung unter Fayiz as-Sarradsch Teil des Bürgerkrieges ist – gemeinsam mit Katar und Italien.
In Libyen setzt sich diese Kette von regionalen Allianzen weiter fort: so befinden sich auf der Gegenseite dieses Bürgerkriegs, angeführt von General Khalifa Haftar, Saudi-Arabien, Bahrein, Frankreich, die Vereinigten Arabischen Emirate und – Ägypten.
Die Rolle Frankreichs im östlichen Mittelmeer
Nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut am 4. August machte Frankreich deutlich, dass es seine Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer verstärken wolle. Dies ist als mehr zu verstehen denn nur eine symbolische Geste.
Frankreich ist ein weiteres NATO- und EU-Mitglied, das sich demonstrativ und mit viel mehr Verve als Angela Merkel auf die Seite Griechenland stellt – und sowohl an den Erdölreserven Libyens als auch an vermuteten Erdgaslagern im östlichen Mittelmeer interessiert ist. Dementsprechend hat Frankreich seine Militärpräsenz vor Ort verstärkt und hält südlich von Kreta auch ganz offen gemeinsame Militärmanöver mit Griechenland ab.
Auch die verstärkte Einflussnahme Frankreichs auf seinem historischen Aktivposten Libanon bleibt im Visier dieser ehemaligen Mandatsmacht. Libanon als Anliegerstaat des Mittelmeeres würde mit Sicherheit in Erkundungsbohrungen integriert werden können – selbstverständlich in einer Weise, dass Frankreich möglichst ausgiebig davon profitiert. Aus diesem Grund wird sich auch Frankreich sehr für ein "freundliches" Regime in Libanon einsetzen, möglichst ohne die Hisbollah, mit der solch entgegenkommende Deals nicht machbar wären.
Anfang Juli dieses Jahres wurden wir Zeugen eines Zwischenfalls vor der libyschen Küste: Ein türkisches Kriegsschiff habe mehrfach sein Feuerleitradar auf ein französisches Kriegsschiff gerichtet; dies wurde von Frankreich als "extrem aggressiv" gewertet, da solches Vorgehen standardmäßig zum Anvisieren militärischer Ziele benutzt wird. Frankreich wirft der Türkei vor, trotz UN-Embargo und trotz der Vereinbarungen der Libyen-Konferenz im Januar dieses Jahres in Berlin Waffen an Libyen zu liefern.
Aus diesem Grund ist die nun verstärkte Präsenz Frankreich als ein Schachzug in diesem regionalen Machtgerangel zu werten.
Ausblick
Damit sich der Kreis schließt, noch eine kleine Anmerkung: Die Vereinigten Arabischen Emirate, die letzte Woche ein "historisches" Abkommen mit Israel geschlossen haben – nämlich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Gegenzug zum erhofften Aussetzen des israelischen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten – und die in Libyen mit Frankreich zusammen General Haftar unterstützen, reihen sich ein an die Seite Griechenlands und unterstützen die griechischen Forderungen im östlichen Mittelmeer gegen die Türkei.
Der US-amerikanische Präsident Donald Trump, der eben dieses Israel-VAE-Abkommen vermittelt hatte, war inzwischen gestern Seite an Seite mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan zu sehen, den er als einen "Schachspieler erster Klasse" und als "jemand, der mich versteht" lobte. Die Versuche der französischen Regierung, Trump in dieser Sache auf ihre Seite zu ziehen, haben wahrscheinlich nicht gefruchtet. Der US-Präsident schlug sich betont und medial sehr demonstrativ auf die Seite der Türkei. Dies ist der Grundwiderspruch in dieser machtpolitischen Konstellation, den es zu lösen gilt, wenn er denn lösbar ist. Möglich bleibt, dass die USA hinsichtlich des östlichen Mittelmeeres ein augenfälliges Gegengewicht zur EU bilden wollen.
An den beiden Polen, den Hauptkontrahenten Griechenland und Türkei, kristallisieren sich derzeit Allianzen – auch militärisch – heraus, die die Zukunft nicht nur der Mittelmeerregion, sondern der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens prägen werden.
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