Von der drohenden Hungersnot ist mittlerweile eine Rekordzahl von 22,8 Millionen Menschen in dem Land mit schätzungsweise 37 Millionen Einwohnern betroffen. Das geht aus einem am Montag von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und dem Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht hervor. Demnach erlebten bereits im September und Oktober fast 19 Millionen Menschen in Afghanistan ein hohes Maß an akuter Ernährungsunsicherheit – ein Anstieg von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Diese Zunahme sei auf eine anhaltende Dürre, den Zusammenbruch öffentlicher Dienstleistungen, eine schwere Wirtschaftskrise und steigende Lebensmittelpreise in dem Land zurückzuführen.
Im weltweiten Vergleich sei Afghanistan sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen eines der Länder, wo die meisten Menschen von Hunger bedroht seien, hieß es in dem Bericht. In diesem Zusammenhang riefen die Vereinten Nationen zu dringender Hilfe auf. Der FAO-Generaldirektor Qu Dongyu erklärte:
"Es geht um Leben und Tod. Wir können nicht warten und zusehen, wie sich humanitäre Katastrophen vor unseren Augen entfalten – das ist inakzeptabel."
Um das Ausmaß des Bedarfs zu decken, müssten die UN finanzielle Mittel in noch nie dagewesener Höhe mobilisieren. Der Plan für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen sei bisher nur zu einem Drittel finanziert.
Darüber hinaus warnte der Exekutivdirektor des WFP, David Beasley, dass in diesem Winter Millionen Afghanen dazu gezwungen sein werden zwischen Migration und Hunger zu wählen, wenn die lebensrettende Hilfe nicht verstärkt und die Wirtschaft nicht wiederbelebt werden könne. Er betonte:
"Wir befinden uns in einem Countdown zur Katastrophe."
Der Bericht legt außerdem nahe, dass erstmals auch die städtische Bevölkerung in ähnlichem Maße Hunger leidet wie die Menschen in ländlichen Gebiete. Unter den Gefährdeten seien 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die bis Ende des Jahres an akuter Unterernährung leiden dürften.
Die Taliban hatten nach Beginn des Abzugs der internationalen NATO-Truppen weite Teile Afghanistans erobert. Am 15. August zogen sie kampflos in die Hauptstadt Kabul ein und erklärten sich de facto zu Alleinherrschern des Landes. Internationale Hilfs- und Entwicklungsgelder wurden seither zu einem großen Teil eingestellt, im Ausland geparkte Reserven der afghanischen Zentralbank eingefroren. Die Gehälter von Lehrern oder Beamten werden seit mehreren Monaten nicht mehr bezahlt. Die sich zuspitzende Situation führt zu immer größerer Verzweiflung und zu Protestaktionen in dem Land.
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(rt/dpa)