Im Schatten von Shinzō Abe: Japans Premier erklärt überraschenden Rückzug

Nach nur einem Jahr im Amt erklärt Japans Premier seinen Verzicht auf eine Kandidatur bei Parteiwahlen und damit faktisch auf das Amt. Yoshihide Suga wurde für eine vorsichtige Vorgehensweise in der COVID-19-Pandemie und für das Festhalten an Olympia kritisiert.

Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga hat am Freitag erklärt, bei der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) Ende September nicht wieder zu kandidieren. Sein faktischer Rückzug kam überraschend. Er bedeutet, dass auch das Amt des Regierungschefs neu besetzt werden wird.

Suga hat dieses Amt weniger als ein Jahr inne. Spätestens im November wählt Japan ein neues Unterhaus. Nach Sugas tiefem Absturz in Wählerumfragen hofft die LDP nun, mit einem neuen Parteichef ihre absolute Mehrheit in der mächtigeren der beiden Parlamentskammern zusammen mit ihrem Koalitionspartner Kōmeitō verteidigen zu können.

Sein Vorgänger Shinzō Abe war der japanische Ministerpräsident mit der längsten Amtszeit. Er regierte 2006/2007 sowie von 2012 bis 2020. Nach Sugas kurzer Amtszeit kann das Land nach Einschätzung von politischen Beobachtern möglicherweise in eine Periode kurzer Amtszeiten von Regierungen eintreten. Vor der langen Amtszeit von Abe, der als hohe Autorität galt, ging Japan bereits durch eine solche Periode.

Zu Beginn seiner Amtszeit galt Suga als Garant für Kontinuität. Mit wirtschaftlichen Reformen strebte er Fortschritte in der Digitalisierung an. Zudem wollte er Japan bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen. Zuletzt musste er bei Regionalwahlen Niederlagen einstecken.

Mit seinem Rücktritt ermöglicht der 72-jährige Suga einen innerparteilichen Wettbewerb. Als ein möglicher Nachfolger gilt Ex-Außenminister Fumio Kishida (64). Der stets reserviert und ruhig auftretende Kishida hat seine eigene innerparteiliche Machtgruppe und wird innerhalb der Partei gemocht. Trotz seiner Erfahrung als Top-Diplomat gilt er nicht als starker Kandidat. Auch im Volk weckt er keine große Begeisterung.

Beliebter in Umfragen ist der frühere Außen- und Verteidigungsminister Tarō Kōno, der als Reformminister zuständig für Japans Impfkampagne gegen das Coronavirus ist. Nach spätem Start hat er dafür gesorgt, dass sein Land über ein äußerst schnelles Impfprogramm verfügt. Neben Kōno hat auch Sanae Takaichi Interesse an einer Kandidatur bekundet. In der Regierung Abe war sie Innenministerin.

Die Umfragewerte von Amtsinhaber Suga waren im Laufe des Sommers drastisch gesunken. Er wurde für eine langsame Herangehensweise in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie kritisiert, dann vor allem für ein stures Festhalten an den Olympischen Spielen. Am Tag seines Rückzuges stiegen die Börsenkurse in Tokio rasant.

Beobachter rechnen damit, dass die LDP bei der Parlamentswahl im Herbst zwar Sitze einbüßen könnte. Doch halten es viele angesichts der Zersplitterung der Opposition für eher unwahrscheinlich, dass die Koalition von LDP und Kōmeitō die Mehrheit im Unterhaus einbüßen wird.

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(dpa/rt)