Westliche Staaten beschleunigen ihre Bemühungen, um ihr eigenes Personal und afghanische Ortskräfte vor den rasch vorrückenden Taliban in Sicherheit zu bringen. Das US-Außenministerium kündigte an, dass die dazu gedachte Verstärkung für die US-Truppen in Afghanistan von rund 3.000 Soldaten bis Sonntag größtenteils in Kabul sein werde.
Der britische Premierminister Boris Johnson sagte, Mitarbeiter der britischen Botschaft sollten Kabul binnen Tagen verlassen. Kanada erklärte sich bereit, bis zu 20.000 afghanische Bürger aus den von den Taliban bedrohten Gruppen aufzunehmen. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas teilte mit, Deutschland werde das Botschaftspersonal auf das "absolute Minimum" reduzieren. Das Personal und Ortskräfte sollten ihm zufolge mit zwei Flugzeugen ausgeflogen werden.
Vor diesem Hintergrund warf die US-Regierung der afghanischen Führung und den örtlichen Sicherheitskräften angesichts des Vormarsches der Taliban mangelnde Kampfbereitschaft vor. Wie der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, dem Fernsehsender CNN sagte, sei es "beunruhigend" zu sehen, dass die politische und militärische Führung nicht den "Willen" gehabt habe, sich dem Vormarsch der militanten Islamisten zu widersetzen. Die USA hätten den "fehlenden Widerstand" durch die afghanischen Streitkräfte nicht vorhersehen können. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban in Bezug auf Ausrüstung, Training und Truppenstärke überlegen und verfügten über eine eigene Luftwaffe.
Der Pentagon-Sprecher betonte, die US-Streitkräfte könnten täglich Tausende Menschen aus Kabul evakuieren. Die Kapazität für den Lufttransport sei "kein Problem". Kabul sei momentan nicht "unmittelbar bedroht". Die Taliban versuchten, die Hauptstadt zu isolieren.
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UN-Generalsekretär António Guterres forderte zugleich die Taliban zur sofortigen Einstellung ihres gewaltsamen Vormarsches in Afghanistan auf. Die Macht durch militärische Gewalt an sich zu reißen, sei ein zum Scheitern verurteiltes Vorgehen. Es könne nur zu einem verlängerten Bürgerkrieg oder der kompletten Isolation von Afghanistan führen. Die Situation bereite ihm große Sorge, sagte Guterres am Freitag vor Journalisten in New York. Afghanistan gerate außer Kontrolle.
Die militant-islamistischen Taliban haben mittlerweile mehr als die Hälfte der 34 Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle gebracht. Am Donnerstag und Freitag fielen mit Herat und Kandahar auch die dritt- und zweitgrößte Stadt des Landes an die Islamisten. Mit Pul-i Alam in der Provinz Logar nahmen die Taliban auch eine Provinzhauptstadt nur rund 70 Kilometer südlich der Hauptstadt Kabul ein.
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(rt/dpa)