von Maria Müller
"Die Regierung von Nicolás Maduro will verhindern, dass Hilfslieferungen nach Venezuela gelangen" (Tagesspiegel), "Maduro lässt Hilfsgüter mit Gewalt stoppen" (Deutsche Presse-Agentur), "Venezuela ist eine Festung: Dringend benötigte Hilfsgüter oder Medikamente kommen nicht in das Land" (SWR), "Hilfslieferungen erreichen das Land nicht. Die EU verlangt von Staatschef Maduro, dass er die Lieferungen ins Land lässt" (BR24) – so und ähnlich fiel der Tenor in der Berichterstattung der Mainstreammedien zu den Ereignissen in der venezolanisch-kolumbianischen Grenzregion aus, wo die Lage am vergangenen Wochenende eskalierte.
Doch diese Darstellung ist falsch. Denn Caracas lässt nicht nur Hilfsgüter ins Land, sondern fordert diese sogar an. So schickten China, Kuba und die Pan American Health Organization (PAHO) auf Ersuchen der venezolanischen Regierung 933 Tonnen humanitäre Hilfe ins Land. Die Container kamen am 14. Februar über den Karibikhafen von La Guaira in Venezuela an. Sämtliche Lieferungen wurden zwischen den UN-Hilfsagenturen und dem venezolanischen Staat in Hinblick auf ihre Ankunft und anschließende Verteilung im Land nach den üblichen internationalen Formalitäten vereinbart.
Russland sandte 300 Tonnen humanitäre Hilfe, die am 20. Februar den Flughafen Maiquitia erreichten. Weitere 7,5 Tonnen an russischen Medikamenten trafen am 21. Februar in dem Karibikstaat ein.
Bei einem Treffen mit der Delegation der Internationalen Kontaktgruppe (GIC) für den Dialog in Caracas übermittelte die venezolanische Vizepräsidentin Delcy Rodriguez am 21. Februar eine Liste von Medikamenten und medizinischem Gerät. Venezuela bat dabei um günstige Finanzierungsmodalitäten für die Lieferungen, die über die UNO abgewickelt werden sollen.
Die jeweilige Ankunft der humanitären Hilfe wurde von der venezolanischen Regierung öffentlich bekannt gegeben, aber nur wenige Medien berichteten darüber. Die Organisatoren der gewalttätigen Vorfälle an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze in Cúcuta hatten davon jedoch zweifellos Kenntnis. Dort hatten sich Anhänger des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Gaidó versammelt, um einen US-Konvoi mit proklamierten Hilfsgütern nach Venezuela zu bringen. Die Regierung unter Präsident Maduro ließ die Grenze jedoch abriegeln, da es sich bei der Aktion aus ihrer Sicht um eine Intervention unter humanitärem Deckmantel handelte.
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Durch den Umfang und die Qualität der humanitären Hilfe, die am 22. Februar bereits im Land war, konnten die Bedürfnisse der von der Krise gefährdeten Bevölkerungsschichten zumindest eine Zeit lang abgedeckt werden. Dabei ist nicht zu vergessen, dass wöchentlich Grundnahrungsmittel an sozial Bedürftige verteilt werden.
Am vergangenen Wochenende gab es in Venezuela keine Situation, die es erforderlich gemacht hätte, die Grenzen des Landes gewaltsam zu überschreiten, um die umstrittenen "humanitären Ladungen" aus den Vereinigten Staaten ins Land einzuschleusen.
Die Tatsache, dass die Regierung in Caracas solch umfangreiche Hilfslieferungen für die Bevölkerung von ihren Partnern angefordert hatte, zeigt ihr Bemühen, die Krise zu lindern. Die umgehend eingetroffenen Hilfslieferungen zeugen von der Unterstützung der Geberländer Russland, China und Kuba gegenüber den Menschen in Venezuela – die in der Berichterstattung westlicher Medien jedoch kaum Beachtung findet. Gleichzeitig verschweigen diese zumeist, dass die prekäre Versorgungslage etwa bei medizinischen Gütern eine direkte Folge der US-Sanktionen ist, die laut dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Venezuela, Alfred de Zayas, für den Tod "vieler Menschen" verantwortlich sind.
Die Zusammenarbeit der venezolanischen Behörden mit humanitären Organisationen ist nicht neu, sie läuft schon seit Jahren. Im November 2018 hatten die Vereinten Nationen zusammen mit dem Common Emergency Response Fund (CERF) rund 9,2 Millionen US-Dollar für humanitäre Programme in Venezuela bereitgestellt. Ziel war es, die Gesundheits- und Ernährungsversorgung von schwangeren Frauen, von stillenden Müttern nach Risikoschwangerschaften sowie von Kindern unter fünf Jahren zu verbessern.
Im Januar 2019 hatte der CERF den venezolanischen Behörden Medikamente für rund 3.000 Patienten zur Verfügung gestellt, zusätzlich zu drei Millionen Tabletten zur antiretroviralen Therapie. Im Zuge der Kooperation wurde auch eine Impfungsrate gegen Masern und Diphtherie von über 95 Prozent erreicht. Venezuela pflegt seit einigen Jahren eine enge Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation.
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Am 7. Oktober 2018 unterzeichnete das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) einen Aktionsplan mit der venezolanischen Regierung in Höhe von 32 Millionen US-Dollar. Damit will man die Mütter- und Kindersterblichkeit senken und die Bedingungen für den Schutz und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen verbessern.
Am 27. November unterzeichnete Venezuela mit der UNICEF eine Vereinbarung über die Lieferung von mehr als 130 Tonnen Nahrungsmittel und Medikamenten. Die Lieferung erfolgte im Rahmen eines gemeinsam mit der Regierung entwickelten Programms zur Verbesserung der bereits bestehenden Sozialprogramme.
Davon profitierten rund 350.000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, die mit einer speziellen medizinischen Versorgung und Ernährungshilfe bedacht wurden. Darüber hinaus hat UNICEF in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium rund 30 Tonnen Arzneimittel und medizinische Geräte ins Land geschickt, um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen und in Gemeinden mit geringen Ressourcen den ärztlichen Versorgungsgrad zu verbessern. Nach den Angaben von UNICEF sollen mit diesen Mitteln etwa 25.000 schwangere Frauen, rund 10.000 Neugeborene und etwa 2.300 an Aids erkrankte Kinder behandelt werden.
An demselben Tag, an dem die umstrittene humanitäre Hilfe der USA "über See, Land und Luft" nach Venezuela eindringen sollte, berichtete der venezolanische Außenminister Jorge Arreaza über ein neuerliches Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres, um sich über die Zusammenarbeit im Bereich der humanitären Hilfe zu verständigen. Man bestätigte die technische Unterstützung der Vereinten Nationen beim Kauf von Lebensmitteln, Medikamenten und Krankenhausausstattungen. Die venezolanische Regierung will die Lieferungen selbst finanzieren. Aufgrund der von den USA verhängten Sanktionen sind die Möglichkeiten äußerst begrenzt, den Bedarf des Landes an Lebensmitteln und Medikamenten auf dem internationalen Markt zu erhalten.
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