von Maria Müller
Das Oberste Wahlgericht Brasiliens hat eine erneute Schikane gegen den inhaftierten früheren Präsidenten Luiz Iñacio Lula da Silva beschlossen. Diesmal entziehen ihm die Richter sein verfassungsmäßig verbrieftes Recht, seine Stimme bei den Wahlen am kommenden Sonntag abzugeben.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der UN-Menschenrechtsausschuss Brasilien aufforderte, Lulas politische und zivile Rechte zu respektieren. Demgemäß hätte er trotz seiner Inhaftierung Zugang zu den Medien erhalten müssen und sich über Skype an den Fernsehdebatten der Präsidentschaftskandidaten beteiligen können. Doch der noch amtierende Präsident Michel Temer erklärte die Beurteilung der UNO als nicht bindend und verweigerte Lula jedwede Kampagnen-Aktivität.
Die Begründung des obersten Wahlgerichts ist zynisch. Einerseits bestätigen die Richter, dass Lulas Wahlrecht unveräußerlich ist, argumentieren aber andererseits, dass er sich aus rein technischen Gründen nicht beteiligen könne. Grund: Um eine Wahlurne im Polizeigefängnis in Curitiba aufzustellen, müssten mindestens 20 Gefangene an diesem Wahltisch abstimmen. Wobei weder das Gericht noch die Polizei Angaben darüber machten, wie viele Inhaftierte dort wählen möchten. Es sei zu spät, das noch zu klären, hieß es seitens der Richter. Das Gericht hat seine Entscheidung bis vier Tage vor dem Termin verzögert. Warum Lula nicht in einem der Wahllokale der Stadt seine Stimme abgeben kann, wird erst gar nicht erwähnt.
An solchen Manövern wird überdeutlich, dass die Justiz tatsächlich mit allen Mitteln den bis vor Kurzem aussichtsreichsten Kandidaten politisch verfolgt. Die Stimmabgabe als öffentlicher Akt hätte seinen Anhängern sicherlich Mut gemacht und womöglich unschlüssige Wähler noch mobilisiert.
Das oberste Wahlgericht beschneidet auch die Beteiligung der untersten Schichten am Urnengang. Es hat 3,6 Millionen Brasilianern das Recht auf Wahlbeteiligung entzogen – die meisten davon im verarmten Nordosten des Landes, der Hochburg der Arbeiterpartei (PT) Lulas. Grund dafür sei die Tatsache, dass ein großer Teil seine Fingerabdrücke seit 2016 nicht hat registrieren lassen, um mit dem biometrischen digitalen System zu wählen. Auch diese Entscheidung kommt fünf Tage vor dem Wahltermin, so dass die Betreffenden keine Zeit mehr haben, dagegen noch wirksam Einspruch zu erheben. Kritiker führen an, dass die Bevölkerung nicht genügend informiert worden sei. Doch auch die abgeschnittene Situation in den fernen Regionen des Nord-Osten Brasiliens spielt dabei eine Rolle.
Die Fernsehdiskussionen der Präsidentschaftskandidaten zeigen eine klare Strategie, um den Kandidaten der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, zu blockieren. Von den insgesamt acht Kandidaten erhalten laut Umfragen vier nur zwischen ein und zwei Prozent, doch alle sind bei den Diskussionen dabei und bombardieren Haddad mit Anschuldigungen. Auf diese Weise ist er gezwungen, sich zu verteidigen und kann sein politisches Programm wenig oder gar nicht erklären.
Die bei einem zweiten Wahlgang möglichen Bündnisse mit Ciro Gomes (konservativer Sozialdemokrat), Geraldo Alckmin (konservativer Neoliberaler) und Marina da Silva (Grüne) sind noch unsicher. Sie könnten gemeinsam mit Haddad einen Sieg des als Faschisten bezeichneten Jair Bolsonaro verhindern.
Doch während die Wähler der rechten Splitterparteien inzwischen begriffen haben, dass ihre Kandidaten keine Chance haben und sich nun hinter Jair Bolsonaro formieren, scheinen die Mitte-links-Wähler diesen Prozess (noch) nicht so klar vollzogen zu haben.
Das hat auch Gründe in der Wahlkampfbeeinflussung durch den unsäglichen Richter Moro, der Lula zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er bislang geheime Aussagen eines Kronzeugen in den Untersuchungen gegen Lula, was verfahrenstechnisch unkorrekt ist. Selbst die Staatsanwaltschaft hatte das Material verworfen, weil keinerlei Beweise dafür vorhanden sind. Doch das Manöver reichte für neuerliche Schlagzeilen in den Massenmedien, die in der Endphase des Wahlkampfes die öffentliche Meinung beeinflussen.
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All diese gut orchestrierten Manöver verhelfen dem rechtsextremen Jair Bolsonaro, einem Reserveoffizier der Luftwaffe, zu Stimmenzuwachs. Das brasilianische Militär soll ebenfalls überwiegend hinter ihm stehen.
Am vergangenen Dienstag wurden die neuesten Umfrageergebnisse, diesmal von Red Globo, bekannt gegeben. Danach verbesserte Bolsonaro seine Chancen überraschend und kam von 28 Prozent auf 31 Prozent. Sein Widersacher Fernando Haddad (PT) stagnierte hingegen bei rund 22 Prozent. Als dritter Kandidat kommt Ciro Gomes, der einen Punkt verlor und nun elf Prozent erhält. Geraldo Ackmin von der PSDB hat weiterhin acht Prozent, Marina da Silva (Grüne) fiel von sechs auf vier Prozent.
In der Umfrage wird auch das Ergebnis einer möglichen zweiten Runde berechnet. Demnächst gäbe es ein technisches Patt zwischen Bolsonaro und Haddad mit jeweils 42 Prozent. Vor knapp einer Woche überrundete Haddad mit 42 Prozent Bolsonaro, der 39 Prozent erhalten hätte.
Die Wahlen in Brasilien, dem größten Land Lateinamerikas, werden das weitere Schicksal des Kontinents entscheiden. Wenn sich in Brasilien eine von faschistischen Vorstellungen und dem Militär geprägte Regierung installiert, wächst damit auch die Gefahr eines Krieges gegen Venezuela. Die Kräfteverhältnisse in den Nachbarländern Brasiliens stehen dann unter noch größerem Druck von rechts.