Eine Analyse von Victor L. Bacchetta
In Südamerika plant besonders Chile mit seinen geografischen Vorteilen hinsichtlich der Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie, ein großer Exporteur von "grünem" Wasserstoff zu werden. "Wenn wir es richtig machen", sagte Energieminister Juan Carlos Jobet der Zeitschrift Electricidad, "kann die grüne Wasserstoffindustrie in Chile so wichtig werden wie einst der Bergbau, die Forstwirtschaft oder der Lachsfang".
Auch die uruguayische Regierung definierte eine nationale Strategie für grünen Wasserstoff. "Uruguay hat die Vision, ein Exporteur von Wasserstoff und Derivaten zu werden", so das Ministerium für Industrie, Energie und Bergbau. Eine spezielle Arbeitsgruppe aus mehreren Ministerien und staatlichen Stellen begann, die Hafenanlagen des Landes unter dem Blickwinkel der Transportmöglichkeiten für eine großformatige Ausfuhr zu prüfen. Eine offizielle Broschüre preist den Standort Uruguay an – und verschweigt die Probleme.
Es gibt bis jetzt keine in sich stimmige Energiepolitik. Die Regierungen versuchen lediglich, ausländische Investitionen zu fördern, wenn sie kommen. Egal ob konventionelles oder unkonventionelles Öl und Gas, Biokraftstoffe, Wind- und Solarenergie, "grüner" Wasserstoff. Es geht darum, sie mit größtmöglichen Vorteilen ins Land zu holen.
Die größten Verursacher bestimmen "Energieumbau"
Die am stärksten industrialisierten Länder, die für die größten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, übernehmen auch jetzt wieder die Führungsrolle und entscheiden, wie die Maßnahmen für eine neue globale Energieversorgung auszusehen haben. Dazu gehört der "grüne" Wasserstoff. Allen voran China, die Vereinigten Staaten, Japan und die Europäische Union (EU) mit Deutschland an der Spitze. Die Ölmultis wie BP, Shell und Repsol finanzieren dort Großprojekte. Es geht um Energie, die sie als "sauber" bezeichnen und von der viele glauben, dass sie der Schlüssel zur "Dekarbonisierung" des Planeten sein wird.
Der "Green Deal"
Der europäische "Green Deal" schlägt vor, die EU solle "der erste klimaneutrale Kontinent im Jahr 2050" sein. Mit diesem Ziel startete Europa eine globale Initiative zur Förderung von grünem Wasserstoff. Mit einer Investition von 430 Milliarden Dollar in Elektrolyseanlagen soll das Ziel bis 2030 erreicht sein.
Auch der US-Kongress genehmigte im Jahr 2021 eine Investition von 9,5 Milliarden Dollar zur Förderung von "grünem" Wasserstoff. Die US-Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass der Markt dafür bis 2050 die 11 Milliarden Dollar überschreiten wird. Die Finanzoffensive führt weltweit zu einer Reihe von Megaprojekten, von denen die meisten noch in der Planungsphase sind.
Die reichen Länder konzentrieren sich auf die sogenannten erneuerbaren Energien, die jedoch bei ihrer Herstellung große Mengen an Materialien und Energie verbrauchen und darüber hinaus auch erhebliche soziale und ökologische Auswirkungen haben.
Mögliche Risiken von H2
Man stellt sich vor, Wasserstoff könnte verwendet werden, um Häuser und Gebäude zu beheizen, Züge oder schwere Fahrzeuge und Schiffe in Bewegung zu setzen und selbst Flugzeuge, für die elektrische Batterien nicht geeignet sind.
Doch Wasserstoff hat auch Probleme, die jetzt bei ersten Versuchsprojekten zutage treten. Denn als Ersatz für fossile Brennstoffe wäre eine Herstellung in riesigen Ausmaßen notwendig. Damit würden die umweltschädlichen Wirkungen noch verstärkt.
Wasserstoff ist ein Treibhausgas
Laut einer Studie des britischen Department for Business, Energy and Industrial Strategy (BEIS) wirkt Wasserstoff als Treibhausgas doppelt so stark, wie bisher angenommen. Sein Treibhauseffekt ist größtenteils indirekt, da er mit anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre chemisch reagiert und sein "Erderwärmungspotenzial" (GWP) dadurch erhöht.
Das "Erderwärmungspotenzial" (GWP) ist ein relatives Maß für die Wärme, die von einem Treibhausgas im Vergleich zu einem Referenzgas, normalerweise Kohlendioxid (CO2), abgegeben werden kann. Somit ist das GWP von CO2 gleich 1 (eins) und das GWP von Methan (CH4) ist 25. Mit anderen Worten, die Emission von 1 Million Tonnen Methan entspricht 25 Millionen Tonnen CO2.
Es wurde festgestellt, dass Wasserstoff mit troposphärischen Hydroxylradikalen reagiert, sodass seine Emissionen in die Atmosphäre die Verteilung von Methan und Ozon, dem zweit- und drittwichtigsten Treibhausgas nach CO2, stören.
Wasserstoffbasierte Wirtschaft könnte zu Klimaschocks führen
Die Ozonschicht filtert die ultraviolette Strahlung der Sonne, die ansonsten lebensgefährlich wäre. Man hat bis vor Kurzem nicht bemerkt, dass Wasserstoff zu den aggressivsten Faktoren bei ihrer Zerstörung gehört.
Obwohl die großtechnische Herstellung von Wasserstoff ein hohes Maß an Emissionen erzeugen würde, wird das globale Erwärmungspotenzial dieses Gases in Diskussionen über die zukünftige Wasserstoffinfrastruktur selten erwähnt. Es fällt auf, dass das Erwärmungspotenzial GWP von Wasserstoff in der wissenschaftlichen Forschung noch starke Unsicherheitsfaktoren aufweist. Angesichts der wachsenden Bedeutung dieser Daten für künftige politische Entscheidungen wirft das große Fragezeichen auf. Man kann nicht von gesicherten Grundlagen der alternativen Energieversorgung sprechen.
NASA-Studien hatten 2006 ermittelt, dass das GWP von Wasserstoff als indirektem Treibhausgas über einen Zeithorizont von 100 Jahren 5,8 beträgt. Eine Studie des spezialisierten britischen Beratungsunternehmens Frazer-Nash zu Beginn dieses Jahres 2022 deutete jedoch darauf hin, dass Wasserstoffemissionen eine indirekte globale Erwärmungswirkung haben könnten, die elfmal so hoch ist wie die von CO2.
Auch Wasserdampf, der bei der Herstellung und Verbrennung von Wasserstoff entsteht, ist ein Treibhausgas. NASA-Forschungen, die den Satelliten Aqua (Atmospheric Infrared Sounder) verwendeten, fanden heraus, dass Wasserdampf eine globale wärmeverstärkende Wirkung hat, die stark genug ist, um die Erwärmung zu verdoppeln, die durch den ansteigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre verursacht wird.
Das grundlegende und unverzichtbare Element für die Herstellung von Wasserstoff ist Wasser. Für ein Elektrolysebecken werden täglich rund 700.000 und mehr Liter benötigt. Das müsste die Standorte auf verfügbare saubere Wasserreserven in diesen Grössenordnungen festlegen, was angesichts der klimatischen Trockenperioden infolge des Klimawandels problematisch ist.
Es wäre geradezu grotesk, wenn eine Technologie, die das Klimaproblem und seine Folgen lösen soll, dazu beträgt, es zu verschärfen.
Übersetzt aus dem Spanischen.
Mehr zum Thema – Pech gehabt: Die EU sieht Chancen in Lateinamerika, kann sie aber nicht nutzen