Von Maria Müller
Der frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat sich in einem hart umkämpften ersten Wahlgang mit 48,07 Prozent der Stimmen bei einer Auszählung von 98,35 Prozent durchgesetzt. Sein Konkurrent, der rechtskonservative aktuelle Präsident Jair Bolsonaro, erreichte 43,51 Prozent der Stimmen und übertraf damit die Umfragewerte in den Prognosen der vergangenen Tage. Er erzielte zwischen sechs bis sieben Punkte mehr als vorausgesagt. Insgesamt wurden 156 Millionen Brasilianer zur Wahl aufgerufen.
Nun kommt es zur Ballotage am 30. Oktober. Bisher hat die Stichwahl in Brasilien noch nie die Tendenz in der ersten Runde verändert.
Die Senatorin Simone Tebet der Mitte-rechts-Partei "Demokratische Bewegung Brasiliens" (MDB) überraschte erneut mit ihrem Ergebnis: Sie konnte den dritten Platz belegen (4,19 Prozent). Damit überholte sie den Mitte-links-Kandidaten Ciro Gomes (3,05 Prozent), einen früheren Minister in der Regierung Lulas. Diese beiden Kandidaten werden in der zweiten Runde entscheidend sein. Doch sie haben zugunsten der beiden Hauptkandidaten weniger Punkte als erwartet erzielt. Das macht die extreme Polarisierung im heutigen Brasilien deutlich und weist auf einen wahrscheinlich knappen Wahlsieg für jeden der beiden Kontrahenten in der Stichwahl hin.
Die anderen sieben Kandidaten erhielten insgesamt etwas mehr als ein Prozent, die Stimmenthaltungen ergaben zwanzig Prozent. Lula gewann seine maximale Unterstützung in den nördlichen und nordöstlichen Regionen des Landes, während Bolsonaro in den zentralen, südlichen und südöstlichen Regionen dominierte.
Brasilien erwartet einige turbulente Wochen vor der zweiten Runde am 30. Oktober. Egal, wer die Präsidentschaft gewinnt, der Bolsonarismo wird im Kongress und im Senat sehr lebendig sein. Falls Lula gewinnt, wird er wahrscheinlich auf heftigen Widerstand im Parlament stoßen.
Die Brasilianer stimmten auch für die 513 Abgeordneten, für ein Drittel der Senatoren, der Gouverneure sowie für Hunderte von Abgeordneten und Repräsentanten der Bundesdistrikte.
In den drei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais und Rio Janeiro gewannen die mit Bolsonaro verbündeten Kandidaten für das Gouverneursamt.
"Die wichtigste Wahl"
"Dies ist die wichtigste Wahl", sagte der historische Anführer der brasilianischen Linken am Sonntagmorgen, als er seine Stimme in São Bernardo do Campo in São Paulo abgab.
Lulas Teilsieg bei diesen Wahlen besiegelt seine Rückkehr in die politische Arena. Er ist seit 40 Jahren eine zentrale Figur der brasilianischen Politik, war zweimal Präsident (2003–2010) und genießt internationales Ansehen. Der besonnene und charismatische Redner war Gewerkschaftsführer der Metallarbeiter und ist traditioneller Anführer der linken Arbeiterpartei (PT). Die unter seinen beiden Regierungen verabschiedeten erfolgreichen Sozialprogramme veränderten Brasilien.
Bei der Abgabe seines Stimmzettels sagte Lula:
"Vor vier Jahren konnte ich nicht wählen, weil ich hierzulande Opfer einer Lüge geworden war. Ich wurde genau am Wahltag von der Bundespolizei festgenommen. Ich versuchte, die Wahlurne in die Zelle zu bekommen, um wählen zu können, doch sie haben das nicht zugelassen. Und vier Jahre später bin ich hier und stimme unter Anerkennung meiner völligen Freiheit und meiner Rechte ab. Ich habe die Möglichkeit, wieder Präsident der Republik Brasilien zu werden, und werde versuchen, dieses Land zur Normalität zurückzuführen."
Lange Warteschlangen und keine besonderen Vorfälle
Der gestrige Wahlvorgang war geprägt von langen Warteschlangen und nur vereinzelten Zwischenfällen. Es gab die Befürchtung, dass es nach den Wahlergebnissen zu Unruhen kommen würde, denn Bolsonaro hatte eine aggressive Kampagne gegen das elektronische Wahlsystem geführt, um es vor den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren.
Doch am Sonntag zog sich Bolsonaro das gelbe Hemd der brasilianischen Nationalmannschaft an und änderte den Ton. "Faire Wahlen müssen respektiert werden", sagte der unberechenbare, extrem rechts stehende Bolsonaro.
Die Anschläge in den letzten Monaten zwangen die Kandidaten, kugelsichere Westen zu tragen. Das Oberste Wahlgericht (TSE) verbot das Tragen von Waffen einen Tag vor und nach dem Urnengang.
Doch am Sonntagabend sagte der Präsident des Gerichts, Alexandre de Moraes, dass der Wahlprozess sowohl in Brasilien als auch im Ausland "ruhig und harmonisch" verlaufen sei und dass die Vorfälle "sich im Rahmen der Normalität" bewegten.
"Nichts anderes als bei anderen Wahlen. Es gibt nur sehr wenige Zwischenfälle im Vergleich zu dem, was einige vorhergesagt haben", sagte er.
Ein Sieg des Kandidaten in der zweiten Runde würde die progressive Welle in Lateinamerika stärken.
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