von Maria Müller
In der kommenden Woche wird das Parlament des Mercosur (Parlasur) über einen brisanten Antrag entscheiden. Es geht um die Rolle des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), also von Luis Almagro beim Staatsstreich gegen Boliviens Präsidenten Evo Morales im November 2019.
Die Parlamentarier wollen eine Untersuchung einleiten und Almagro auch persönlich befragen. Er soll den Abgeordneten aus den Mercosur-Mitgliedsstaaten Rede und Antwort stehen. Zuvor werden die Fragen im Parlasur erörtert und von Botschaftern der Mitgliedsstaaten in einer Sitzung der OAS in Washington, D.C./USA vorgetragen.
Nach den Präsidentschaftswahlen in Bolivien im Oktober 2019 wirkte Almagros Behauptung, es gebe "Indizien eines Wahlbetrugs", als Auslöser und zur Rechtfertigung eines Staatsstreichs. Im Verlauf der darauffolgenden Proteste töteten Militärs und Polizei 36 Personen, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, wie die unabhängige Menschenrechtskommission (IAKMR) der OAS nach Untersuchungen vor Ort feststellte. Der Präsident des Mercosur-Parlaments, Oscar Laborde, erklärte vor wenigen Tagen:
"Wir werden dafür arbeiten, dass der Generalsekretär untersucht wird. Diese Taten dürfen nicht ungestraft bleiben. Es stehen Wahlen in der Region an. Das darf sich nicht wiederholen. Almagro muss sein Vorgehen vor dem Parlasur erklären. Die OAS hat in Bolivien eine schamlose Rolle gespielt, ohne Sinn und Verstand."
Die südamerikanische Wirtschaftsunion – der Mercosur (Gemeinsamer Markt Südamerikas), bestehend aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie sieben assoziierten Staaten, darunter Bolivien – verpflichtete sich bei ihrer Gründung dazu, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedsstaaten zu sorgen und entsprechende Vergehen zu bestrafen. Sie hat in zwei Fällen Regierungen sanktioniert. Insofern entspricht eine Klärung des Staatsstreichs in Bolivien der Kompetenz ihres Parlaments.
Untersuchungsergebnisse unter Verschluss
Laut Oscar Laborde wollen die Abgeordneten dabei auch ein spezielles Thema behandeln. Es geht um die Frage, warum die von Luis Almagro kurz nach dem Putsch 2019 beauftragten Untersuchungen über die umstrittene Schnellauszählung der Wahl immer noch geheim gehalten werden.
Nachdem damals massive Kritik am Vorgehen des Generalsekretärs laut wurde, forderte er zwei unabhängige Studien an. Doch die von ihm behaupteten Indizien für einen Wahlbetrug wurden offenbar nicht gefunden. Jedenfalls blieben die Ergebnisse dieser technischen und statistischen Prüfungen bis heute unter Verschluss. Nach Einschätzung von Laborde und zahlreichen Parlasur-Abgeordneten sei das auf ein direktes Einwirken Almagros zurückzuführen.
Inzwischen gibt es acht internationale Untersuchungen des von Almagro behaupteten Wahlbetrugs in Bolivien. Und alle widersprechen den damaligen Anschuldigungen. Darunter sind von der New York Times und der Washington Post beauftragte Studien, eine Arbeit der Universität Massachusetts sowie eine Studie vom britischen Zentrum für Wirtschaftliche und Politische Forschung (CEPR). Dazu kommen die Anträge mehrerer US-Kongressmitglieder, die Aktionen des OAS-Generalsekretärs zu untersuchen – 60 Prozent des Haushaltes der OAS werden vom US-Kongress finanziert.
Rücktritt von Almagro gefordert
Ex-Präsident Evo Morales hatte bereits Ende Oktober eine Anklage gegen Almagro vor dem Internationalen Strafgericht in Den Haag angekündigt. "Sie müssen zurücktreten, weil Ihre Hände mit Blut befleckt sind", forderte Morales den OAS-Chef auf.
Auch Luis Arce, der designierte neue Präsident Boliviens, ist der Ansicht, Almagro solle aus moralischen und ethischen Gründen von seinem Amt als OAS-Generalsekretär zurücktreten. Er habe die Normen der bolivianischen Gesetze missachtet und sich in einen internen Wahlprozess eingemischt. Ein Amt wie das des OAS-Generalsekretärs erfordere eine unparteiliche Persönlichkeit.
"Wenn man eine solche Einmischung in Bolivien hinnähme, könnte dies erneut in einem anderen Land passieren. Das können wir nicht zulassen", so Arce.
Almagros Plan gegen Evo Morales von langer Hand vorbereitet
In seinem im vergangenen November herausgegebenen autobiografischen Buch mit dem Titel "Luis Almagro bittet nicht um Verzeihung" bestätigt der Generalsekretär sogar die Verdachtsmomente gegen seine Person. Er bringt darin zum Ausdruck, dass er nach politischen Kriterien operierte, um Evo Morales auszuschalten. Er habe 2017 dessen neuerliche Kandidatur aus taktischen Gründen öffentlich gutgeheißen, obwohl er persönlich einen erneuten Wahlsieg des bolivianischen Präsidenten für eine Katastrophe hielt und diesen unbedingt verhindern wollte. Almagro zu seiner damaligen Reise nach Bolivien wörtlich:
"Wir wollten dadurch sein Vertrauen gewinnen, um so eine Einladung für Wahlbeobachter der OAS zu erhalten."
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAKMR) der OAShat bei ihren Untersuchungen in Bolivien zahlreiche Morde, Folterungen und politische Inhaftierungen zu Lasten der Putschregierung festgestellt. Deren nun abgewählte Interimspräsidentin Jeanine Añez beschwerte sich mehrfach bei Almagro über die Arbeit der IAKMR und angebliche Regelverstöße seitens derer Experten.
Almagro torpediert OAS-Menschenrechtskommission
Nun hat der OAS-Chef dem unabhängigen Vorgehen der Menschenrechtskommission ein Ende bereitet. Almagro setzte sich über einen einstimmigen Beschluss des Führungsgremiums der Institution hinweg und weigerte sich, den Exekutivsekretär Paulo Abrao für vier weitere Jahre in seinem Amt zu bestätigen. Dessen OAS-Arbeitsvertrag wurde trotz zahlreicher internationaler Proteste nicht mehr verlängert. Der anerkannte brasilianische Jurist Abrao musste also gehen.
Almagro bricht auch mit dieser Aktion eine jahrzehntelange Tradition, nach der "die Kommission auswählt und die OAS die Entscheidung unterschreibt". Das entspricht ihrem bisherigen autonomen, unabhängigen Status. Damit ist es nun vorbei.
Selbst Michelle Bachelet, die Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission in Genf, wandte sich mit der Aufforderung an Almagro, sein Verhalten zu revidieren, um nicht die Neutralität der OAS-Menschenrechtskommission und deren global anerkannte Arbeit zu gefährden. "Diese Situation schadet dem Ruf der OAS und unterminiert die Unabhängigkeit der Kommission", kritisierte Bachelet.
Auch zehn frühere Außenminister Lateinamerikas, darunter Celso Amorim (Brasilien), Jorge Taiana (Argentinien), David Choquehuanca (Bolivien) und Rodolfo Nin Novoa (Uruguay), richteten sich mit einem Schreiben an Almagro. Sie bezeichneten sein Vorgehen als illegitim und forderten ihn auf, nicht in die Wahl des Exekutivsekretärs der IAKMR zu intervenieren. Ohne jeden Erfolg.
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