Anfang April 2019 waren sich die IWF- und Weltbank-Strategen noch nicht sicher, ob man bereit sei, Venezuela humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, schließlich heißt der gewählte Präsident des Landes Nicolás Maduro und nicht Juan Guaidó.
Es ist Sache unserer Mitglieder, zu entscheiden, welche Autorität sie diplomatisch anerkennen, damit wir dann weitermachen können. Wir befinden uns im Prozess (...)", erklärte vor knapp einem Jahr die ehemalige geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, auf einer Pressekonferenz auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington.
In der Tat erkennen über 50 Staaten den selbst ernannten venezolanischen Übergangspräsidenten Juan Guaidó als Staatsoberhaupt des südamerikanischen Landes an. Eine weit größere Anzahl der IWF-Mitglieder mochte Washington und seinen Partner bei dieser Entscheidung jedoch nicht folgen. Insgesamt verfügt der IWF über 186 Mitgliedsländer.
Bereits im März 2019 hatte allerdings die Interamerikanische Entwicklungsbank den von Guaidó ernannten Ricardo Hausmann als Repräsentanten anerkannt. Und aufgrund des "politischen Chaos" verweigerte der IWF der Regierung Maduro den Zugang zu Venezuelas sogenannten Sonderziehungsrechten – der IWF-"Währung" – in Höhe von knapp 400 Millionen US-Dollar. Mit dem Argument, keine Seite bevorzugen zu wollen, versperrte der IWF Venezuela den Zugriff auf seine eigenen Finanzmittel. Hausmann ging davon aus, dass die IWF-Gelder wohl freigegeben würden, sollte in Venezuela ein Regierungswechsel vollzogen werden.
Weltweit erkennen 150 Länder Maduro als legitimen Präsidenten Venezuelas an, darunter die große Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten. Die UNO selbst nahm Venezuela in ihren Menschenrechtsrat auf. Dies gilt jedoch nicht für den Elefanten im Raum – die USA.
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Als sich die aktuelle Corona-Krise auch in Venezuela auszubreiten begann, wandte sich die offizielle venezolanische Regierung unter Präsident Maduro Mitte März 2020 direkt an den IWF.
Wir wenden uns an Ihre ehrenwerte Organisation [IWF, Anm. d. Red,] , um Ihre Einschätzung bezüglich der Möglichkeit zu erbitten, Venezuela eine Finanzierungsfazilität in Höhe von fünf Milliarden Dollar aus dem Notfallfonds des Schnellfinanzierungsinstruments (IFR) zu gewähren, Mittel, die erheblich zur Stärkung unseres Aufdeckungs- und Reaktionssystems beitragen werden", hieß es in dem entsprechenden Schreiben an den IWF.
Auf Twitter ergänzte der venezolanische Außenminister Jorge Arreaza:
Präsident Nicolás Maduro hat den Internationalen Währungsfonds formell um die Zurverfügungstellung von fünf Milliarden Dollar gebeten, um die Reaktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems während des COVID-19-Kontingents zu stärken. Eine weitere zeitgemäße Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung.
Es war das erste Mal seit fast 20 Jahren, dass sich Venezuela an den Internationalen Währungsfonds wandte. Im Jahr 2007 kündigte der damalige Präsident Hugo Chávez den Austritt des Landes aus dem IWF an. Der venezolanische Nationalheld vertrat die Ansicht, dass der IWF lediglich ein Machtinstrument Washingtons ist. Die Entscheidung zum endgültigen Austritt wurde jedoch nie umgesetzt.
In dem an die geschäftsführende Direktorin des IWF Kristalina Georgijewa gerichteten Schreiben vom 15. März 2020 wurde an den "harten und unerwarteten Kampf, den die Welt heute gegen den Ausbruch des neuartigen Coronavirus führt" erinnert.
Nur im Geiste der Solidarität, der Brüderlichkeit und der sozialen Disziplin werden wir in der Lage sein, die Situationen, die auf uns zukommen, zu überwinden, und zu wissen, wie wir das Leben und das Wohlergehen unseres Volkes schützen können", heißt es ergänzend.
Der Geist der Solidarität sollte in den gediegenen Hallen des IWF jedoch keinen Widerhall finden. Der Fonds sah sich nämlich "nicht in der Lage, den Antrag zu prüfen".
Wie wir bereits erwähnt haben, basiert das Engagement des IWF in den Mitgliedsländern auf der offiziellen Anerkennung der Regierung durch die internationale Gemeinschaft, was sich in der Mitgliedschaft des IWF widerspiegelt. Zurzeit gibt es keine Klarheit über die Anerkennung", erläuterte ein IWF-Sprecher.
Doch mag man dem venezolanischen Interimspräsidenten von Washingtons Gnaden Glauben schenken, ist dennoch IWF-"Hilfe" auf dem Weg.
So erklärte Guaidó nach der IWF-Absage an Maduro, dass er ein IWF-Darlehen von 1,2 Milliarden US-Dollar erhalten habe. Doch die Gelder würden nur unter der Bedingung freigegeben, dass Maduro zurücktrete, um einer "Notstandsregierung" Platz zu machen. Guaidó, der zuvor eine Kolumne im Economist veröffentlichte, erklärte, dass man angesichts der Corona-Krise nun "realistisch" und "verantwortungsvoll" handeln müsse.
Angesichts der Situation in Venezuela, die durch die Pandemie noch verschärft wird, spreche ich heute vor dem Land die Notwendigkeit der Bildung einer nationalen Notstandsregierung (...) an", so Guaidó weiter auf Twitter.
Die US-Regierung zeigte sich ihrerseits bereit, die Sanktionen gegen Venezuela zu lockern, sollte die "Notstandsregierung" zustande kommen.
Am 16. März – also einen Tag nach Maduros Anfrage an den IWF – hatte Georgijewa erklärt, dass der IWF bereit sei, "eine Billion US-Dollar Kreditkapazität zu mobilisieren, um unsere Mitglieder zu unterstützen". Länder mit "dringendem Zahlungsbilanzbedarf" könnten durch das "flexible und schnell auszahlbare Notfallreaktionsinstrumentarium des IWF unterstützt werden". Durch diese Mechanismen könne der IWF Entwicklungsländern 50 Milliarden US-Dollar und den Ländern mit niedrigem Einkommen zehn Milliarden US-Dollar zinsfrei zur Verfügung stellen, so die IWF-Direktorin.
Das IWF-Hauptquartier befindet sich im Zentrum von Washington, kaum einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt. Schon die physische Nähe der beiden Institutionen spiegelt wider, wie eng der IWF und die US-Regierung zusammenarbeiten. Die USA sind zudem mit einer einzigartigen Vetomacht ausgestattet. Zentrale Beschlüsse des IWF müssen mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden, und Washington allein hält 17,5 Prozent der Stimmen. Es folgen Japan mit 6,5 Prozent und Deutschland mit 6,1 Prozent Stimmanteil.
Wie gut das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen IWF und Weißem Haus ist, wurde unter anderem im Jahr 2002 deutlich, als es der US-Regierung gelang, Maduros Vorgänger Chávez kurzzeitig zu stürzen. Nur wenige Stunden nach dem vermeintlich erfolgreichen Putsch erklärte sich der IWF dazu bereit, dem neuen "Präsidenten" Pedro Carmona unbegrenzte Mittel zur Verfügung zu stellen:
Wir sind bereit, die neue Regierung auf jede Art und Weise zu unterstützen, die sie für geeignet hält", erklärte man da noch vollmundig.
Bereits am nächsten Tag wurde Carmona wieder abgesetzt.
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