Im nordwestafrikanischen Staat Niger geben sich die Vertreter der transatlantischen Staatengemeinschaft bereits seit Jahren die Klinke in die Hand. Auch die Bundesregierung ist nun auf den Plan getreten und möchte die nigrische Regierung gemeinsam mit EU-Partnern "ertüchtigen", um den Flüchtlingsstrom aus dem Süden des Kontinents möglichst zu stoppen. Dies geschieht aktuell vor allem durch die Lieferung militärischer Güter.
Beim Bundesverteidigungsministerium heißt es zur Ertüchtigung, oder "Hilfe zur Selbsthilfe" im Niger:
In Niger steht derzeit ein Logistikprojekt auf dem Programm. Mehr als 80 LkwLastkraftwagen in unterschiedlichen Größen soll das westafrikanische Land bekommen, damit die Truppen für die Aufgabe der Grenzsicherung mobil sind. Mit der Lieferung der Fahrzeuge endet das Projekt jedoch nicht, sondern die Soldaten werden auch ausgebildet, damit sie in der Lage sind, die Fahrzeuge zu reparieren und instand zu halten. Nachhaltige Unterstützung – das ist hier das Schlagwort.
Die in diesem Zusammenhang immer wieder gerne ins Feld geführte "Fluchtursachenbekämpfung" spielt dabei eine sekundäre, die Frage nach Werten wie "Demokratie" und "Menschenrechten" offensichtlich überhaupt keine Rolle.
Als Gegenleistung für die dringende Bitte der Bundesregierung, doch bitte die Fluchtwege dichtzumachen, sagte die EU dem Land eine Milliarde Euro für "wirtschaftliche Entwicklung" zu – gestreckt bis zum Jahr 2020. Ein Paradebeispiel für die Schaffung oder Aufrechterhaltung von Abhängigkeiten und kolonialen Strukturen, bei der es, zumindest mittelfristig, nur einen Gewinner gibt. Ganz sicher taugt dabei der Euphemismus der Fluchtursachenbekämpfung zum Unwort des Jahres.
Eine zentrale Rolle bei dem deutschen und europäischen Offenbarungseid im Niger spielt die Wüstenstadt Agadez. Am Rand der Teneré-Wüste gelegen, ist diese das Drehkreuz für den Transport Hunderttausender Menschen via Libyen nach Europa. In Agadez gilt es, mithilfe Deutschlands und der EU den Menschen den weiteren Weg möglichst effektiv zu versperren. Ein weiteres Land setzt vor Ort ebenfalls vor allem auf militärische Akzente – die Vereinigten Staaten.
Bei den ambitionierten US-Plänen geht es dabei nicht um die Unterbindung von Flucht- und Migrationsbewegungen, sondern selbstverständlich, wie der Bundesregierung und den EU-Technokraten auch, um die "Bekämpfung des Terrors", des "islamistischen Terrors", um genau zu sein. Einem Phänomen also, das in der Region noch vor wenigen Jahren gänzlich unbekannt war und erst durch den NATO-Überfall zur "Befreiung" Libyens die nötige Initialzündung erfuhr.
Neue Luftwaffenbasis für dem Kampf gegen Terror
Dem hehren Ziel die Sicherheit der USA durch die Bekämpfung des Terrorismus im Schlüsselstaat Niger zu garantieren, soll vor allem die Errichtung einer Luftwaffenbasis in der entlegenen Region um Agadez dienen. Der Bau der Niger Air Base 201 war zunächst mit 50 Millionen US-Dollar veranschlagt und sollte bereits im Jahr 2016 fertiggestellt sein.
Nun sind es 100 Millionen US-Dollar, damit MQ-9-Reaper-Drohnen, aber womöglich auch Kampfflugzeuge in Afrika die "Freiheit" verteidigen können. Hinzu kommen Unterhaltungskosten nach Fertigstellung in Höhe von jährlich etwa 30 Millionen US-Dollar. Womit sich die Gesamtkosten bis zum Jahr 2024, dem vorläufigen Ende des Zehnjahresvertrags mit der nigrischen Regierung, nun auf etwa 280 Millionen US-Dollar belaufen sollen.
Und selbst das ist eine Untertreibung. Die neuen Prognosen der [US-] Luftwaffe berücksichtigen nicht wesentliche Zusatzkosten, wie z.B. die Gehälter des auf der Basis stationierten Personals oder den Treibstoff für die von Agadez startenden Maschinen", klärt The Intercept auf.
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Damit sich die Soldaten vor Ort auch gebührend von ihrem strapaziösen Dienst im sehr rohstoffreichen und gleichzeitig bettelarmen Niger erholen können, verfügt die Basis in Agadez eigens über ein sogenanntes "Airmen Resiliency Center", das sowohl als Kapelle als auch als Erholungszentrum dient – selbstverständlich inklusive Wi-Fi.
Treten Sie aus der Hitze in das klimatisierte (und clever benannte) Dezert Café, und Sie können Eishockey auf einem Großbildfernseher sehen, während Sie auf Huhn oder Pizza oder Fisch oder Kekse oder Kartoffelchips herumkauen und dann alles mit Wasser in Flaschen, Snapple, Sprite, Gatorade, Cola oder Dr. Pepper runterspülen. Jeder Cafeteria-Tisch ist sogar mit einer Flasche gelbem Handdesinfektionsmittel und allen Gewürzen ausgestattet, die man sich nur wünschen kann - Ketchup, Senf, Steaksauce, scharfe Sauce, Sriracha, Sojasauce, Tabasco", beschreibt der investigative Journalist, Historiker und Autor Nick Turse lakonisch die Anstrengungen für das Wohlergehen des Armee-Personals.
Zur körperlichen Erbauung darf selbstverständlich auch ein Fitnesscenter nicht fehlen. Auch aufgrund der Kosten für die mannigfaltigen Annehmlichkeiten steigt der Luftstützpunkt in Agadez nach Angaben von Richard Komurek, einem Sprecher der US-Luftwaffe in Europa und der US-Luftstreitkräfte in Afrika, damit zum "größten jemals in der Geschichte der US Air Force von Truppen durchgeführten Luftstützpunkt-Bauprojekt" auf.
Die meisten Drohnenbasen auf dem afrikanischen Kontinent sind in größere Flughäfen und Flugplätze integriert, aber nicht Agadez. Die entsprechende Infrastruktur ist nicht vorhanden. Der Umfang des Projekts ist also enorm", erläutert Dan Gettinger, Mitbegründer und Vizedirektor des Center for the Study of the Drone am Bard College.
Im nigrischen Kontext erreichten die Vereinigten Staaten demzufolge eine Vereinbarung mit der Regierung des zweitärmsten Staates der Welt über "die Konstruktion neuer Start- und Landebahnen und alle dazugehörigen Straßen, Einrichtungen und Infrastruktur".
Zentrale Basis für Drohneneinsätze
Die ersten US-Drohnen sollen demzufolge im Jahr 2019 abheben. Aufgrund seiner Kosten und Größe löst der Stützpunkt in Agadez damit den bisherigen Spitzenreiter der US-Luftwaffe, die Al Dhafra Air Base in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ab. Von dort heben neben Drohnen auch Kampfflugzeuge ab. Die Basis in Al Dhafra löste wiederum den Stützpunkt Phan Rang in Südvietnam ab, zu der im Jahr 1969 knapp 150 Flugzeuge gehörten.
Ziel der US-Luftwaffen in Nordwestafrika sei es nach Angaben des in Stuttgart beheimateten U.S. Africa Command (kurz AFRICOM), "Operationen gegen sieben vom Außenministerium designierte ausländische Terrororganisationen zu unterstützen".
Die Verlagerung der Operationen nach Agadez richtet die ISR (Intelligenz, Überwachung und Aufklärung) auf die aktuellen und neuen Bedrohungen für den Niger und Tschad, unterstützt die französische Regionalisierung und erweitert die Reichweite auf Libyen und Nigeria", heißt es weiter seitens des AFRICOM.
In der Zeit seit Baubeginn in Agadez haben die US-Militäroperationen in Nord- und Westafrika noch einmal dramatisch zugenommen. Allein seit 2016 haben die USA Hunderte von Drohnenangriffen auf Al-Qaida und Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats durchgeführt, darunter zwei im Juni im benachbarten Libyen. Auch im Niger sind die Vereinigten Staaten längst militärisch aktiv. Dies wurde zuletzt im Oktober 2017 offenbar, als US-Einheiten in einen IS-Hinterhalt gerieten, bei dem vier Soldaten ihr Leben verloren und zwei weitere US- und acht nigrische Soldaten verletzt wurden.
Im Zuge des Vorfalls erhielten die US-Streitkräfte von der nigrischen Regierung die Erlaubnis, ihre Drohnen zu bewaffnen.
In Abstimmung mit der nigrischen Regierung hat das U.S. Africa Command bereits bewaffnete Überwachungs- und Aufklärungsflugzeuge in Niger eingesetzt, um unsere gemeinsame Fähigkeit zu verbessern, auf Bedrohungen und andere Sicherheitsprobleme in der Region zu reagieren. Bewaffnete ISR-Flugkörper wurden Anfang 2018 in Dienst genommen", erklärte Samantha Reho, Sprecherin des AFRICOM.
Nach Fertigstellung sollen die sich bereits im Land befindenden Drohnen dann ebenfalls von der Niger Air Base 201 abheben.
Während seines vor wenigen Tagen abgeschlossenen mehrtätigen Deutschlandbesuchs mahnte der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou neben mehr Militärhilfe auch die Suche nach einer Lösung für Libyen an, das sich nach der NATO-Intervention zu einem gescheiterten Staat entwickelte.
Solange in Libyen Chaos herrscht, sind auch Sicherheit und Stabilität im Sahel in Gefahr. Die Schleuser, die die Migranten nach Libyen transportieren, bringen auf dem Rückweg Waffen mit.
Sollte der Terror endgültig in der Sahelzone Fuß fassen, werde die Gewalt auch auf Europa überspringen, warnte der nigrische Präsident. Die Afrikanische Union (AU) hatte sich mit Verweis auf die Einheit und territoriale Integrität Libyens strikt gegen eine Militärintervention gewandt, die vor allem von Frankreich, Großbritannien und den USA vorangetrieben wurde.
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