Aufgrund der andauernden Kämpfe zwischen der regulären Armee und paramilitärischen Einheiten gibt es Probleme mit der Evakuierung der EU-Bürger. Die Bundeswehr sucht momentan nach Zeitfenstern für die Evakuierung. Wie schätzen Sie die Chancen solch einer Operation ein angesichts der Tatsache, dass sich die Situation mit jedem Tag verschlechtert?
Patrick Heinisch: Die Evakuierungsbemühungen gestalten sich extrem schwierig, da die Kämpfe in der Hauptstadt Khartum anhalten und Feuerpausen nicht eingehalten werden. Diese Woche sind bereits zwei Waffenstillstände gebrochen worden und der gestern verkündete dreitägige Waffenstillstand wurde ebenfalls nicht eingehalten. Da der Flughafen in Khartum einer der Schwerpunkte der Kämpfe ist, muss dort zwingend eine zuverlässige Feuerpause umgesetzt werden, damit Flüge möglich wären. Dies scheint im Moment extrem schwierig und das trotz massiven internationalen Drucks. Sowohl Armee-Chef Burhan als auch RSF-Kommandeur Hamedti stehen mit ausländischen Regierungen in Kontakt. Eine Alternative wäre, andere Flughäfen im Land zu nutzen. Die Regierung will den Flughafen Port Sudan für internationale Flüge nutzen, solange der in Khartum nicht genutzt werden kann. Port Sudan ist relativ sicher und dort finden zurzeit keine Kämpfe statt. Hier ist aber das Problem, dass nur wenige Europäer dort wohnen. Die meisten befinden sich in Khartum. Es müssten also zunächst die Ausländer in Khartum nach Port Sudan gebracht werden. Wegen der heftigen Kämpfe können sie aber z. T. nicht einmal ihre Häuser verlassen. D. h. einer der Schwerpunkte der internationalen Evakuierungsbemühungen wird weiter darauf liegen, die Parteien dazu zu bewegen, sichere Fluchtkorridore einzurichten.
Seitens der CDU (Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) gibt es Kritik an der Bundesregierung: die Entwicklungen im Sudan zeigten "wie konzeptlos die Bundesregierung gegenüber der gesamten Region Nordafrika/Maghreb agiert". Sind Sie mit dieser Meinung einverstanden? Welches Konzept wäre in dem Fall wirksam?
Patrick Heinisch: Die Bundesregierung ist zwar an einem demokratischen Übergang im Sudan interessiert und unternimmt diesbezüglich auch Anstrengungen, allerdings waren die Prioritäten in den vergangenen Jahren ganz klar andere. Oberstes Ziel war stets, die Fluchtbewegungen einzudämmen. Der Sudan ist ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge, die über Libyen nach Europa gelangen wollen. Die Prioritäten Deutschlands (und auch der EU) im Sudan sind: Verhinderung von Migrationsströmen, Eindämmung des russischen Einflusses, Eindämmung des chinesischen Einflusses, Förderung von Demokratie, Außenhandel. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Um das wichtigste Ziel zu erreichen hat man es toleriert, dass dort mit den Paramilitärs der RSF eine Art zweite Armee aufgebaut werden konnte. Die Rivalität zwischen regulärer Armee und RSF ist der Hauptgrund, warum es jetzt zu dieser Eskalation gekommen ist. Nach dem Militärputsch im Oktober 2021 hat man keinerlei Konsequenzen gezogen. Man hätte schon damals die Verantwortlichen für den Putsch viel stärker zur Rechenschaft ziehen sollen. Stattdessen hat man den Putschisten sozusagen erneut eine Chance gegeben, ihre Machtposition zu festigen.
US-Außenminister Blinken begrüßte "demokratische Bestrebungen" in Sudan, als er die Eskalation im Land kommentierte. Wie bewerten Sie seine Aussage und wie schätzen Sie die eventuelle Rolle der USA dabei ein?
Patrick Heinisch: Die Aussagen der US-Administration rücken stets die Bemühungen zur Demokratieförderung im Sudan in den Vordergrund. Das kann aber nicht verdecken, dass – ähnlich wie im Fall der EU – auch Washington in erster Linie andere Prioritäten hat. Die beiden wichtigsten: Verhinderung einer weiteren Intensivierung der Kontakte nach Russland und der zweite, einen weiteren arabischen Partner für Israel zu gewinnen. Insbesondere die Vereinbarung zwischen Moskau und Khartum, eine russische Marinebasis in Port Sudan zu errichten ist für die USA inakzeptabel. Der US-Botschafter hat für diesen Fall sogar ganz offen mit "Konsequenzen" gedroht. Die US-Regierung hat ein wichtiges Druckmittel: wirtschaftliche Hilfen und den Schuldenerlass. Wenn Khartum widerspenstig würde, könnten die Amerikaner sofort wieder Sanktionen verhängen, die die wirtschaftliche Entwicklung massiv behindern würden. Zur Beilegung des Kriegs sind diese Maßnahmen aber nicht geeignet, da für beide Seiten der Anreiz größer ist, persönliche Vorteile aus dem Machtgewinn zu erzielen, als Vorteile für das Land insgesamt zu erreichen.
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