Eine Analyse von Kani Tuyala
Mit der sogenannten Taxonomieverordnung will die EU-Kommission Erdgas und Atomkraft als klimafreundlich einstufen. Am Donnerstag prangte dann "France 2030" in riesigen Lettern im Hintergrund, als der französische Präsident Emmanuel Macron unter anderem dieAtomkraft als "Glücksfall für Frankreich" bezeichnete. Für Macron aus gutem Grund, schließlich sei diese "CO₂-arm, garantiere die Unabhängigkeit des Landes und beschäftige mehr als 200.000 Menschen".Für das eigene Atom-Wunder ist Frankreich allerdings auf Uran aus einem der ärmsten Länder der Welt angewiesen: dem formell längst von Paris unabhängigen Land Niger in Westafrika.
Ein Sahel-Staat, der trotz enormer Vorkommen an Bodenschätzen wirtschaftlich ebenso wenig auf die Beine zu kommen scheint, wie das ebenfalls potenziell enorm wohlhabende Nachbarland Mali. In beiden Staaten ist wiederum Frankreich mit tausenden Soldaten präsent, um den längst heillos überforderten Ländern beim "Kampf gegen den Terrorismus" unter die Arme zu greifen. Die "Sicherheit Europas" entscheide sich eben auch in Afrika. Seither kommt Mali nicht mehr zur Ruhe. Die Destabilisierung des Landes nahm nach der "Befreiung" Libyens mit Unterstützung der NATO 2011 ihren Lauf. Nun erinnert das Land wieder an das stereotype, von Chaos gebeutelte afrikanische Land.
Drei Staatsstreiche erlebte Mali innerhalb der vergangenen zehn Jahre. Den letzten im Mai 2021. Zuvor hatte Assimi Goïta im August 2020 Präsident Ibrahim Boubacar Keïta gestürzt. Wobei er von weiten Teilen der Zivilbevölkerung unterstützt wurde. Am 27. Februar 2022 sollten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden, und somit wieder eine zivile Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen.
Im Mai 2021 kam es jedoch de facto zu einem zweiten Staatsstreich, einen Putsch im Putsch, bei dem das Militär auch den bisherigen zivilen Interimspräsidenten Bah N'Daw und Premierminister Moctar Ouané zum Rücktritt zwang. Im Dezember 2021 wurde die Übergangszeit bis zu demokratischen Wahlen von sechs Monaten auf bis zu fünf Jahre verlängert. Die Sicherheitslage in dem zerrütteten Land erlaube kein anderes Vorgehen, hieß es seitens der Übergangsregierung.
Gleichzeitig wurde in dem Abschlussbericht der "Nationalen Konferenz zur Wiederbegründung (Malis)" nun vor wenigen Wochen empfohlen, "neue militärische Partnerschaften mit Militärmächten aufzubauen" und "alle Milizen aufzulösen und in die malische Armee zu integrieren."
Das mutmaßlich um den demokratischen Übergangsprozess in Mali besorgte Frankreich, aber zum Beispiel auch die USA, verurteilten das Vorgehen der malischen Regierung "auf das Schärfste". Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, teilte Anfang Januar mit:
"Wir fordern die Übergangsregierung auf, ihr Versprechen gegenüber dem malischen Volk einzuhalten und ihr Land zur Demokratie zurückzuführen."
Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) übte ebenfalls massive Kritik und brachte dann ein ganzes Bündel von Sanktionen auf den Weg, um die Regierung in Bamako wieder zurück auf den Pfad der Tugend führen. Zu den Maßnahmen zählen ein Handelsembargo, Grenzschließungen und die Einfrierung von malischen Vermögenswerten – auch bei der von Frankreichs Einfluss keineswegs unabhängigen Westafrikanischen Zentralbank. Der französische Präsident brachte sein Wohlwollen für das Vorgehen gegen die Regierung in Mali zum Ausdruck. Denn ohnehin gilt diese von Washington bis Paris längst als "Junta":
"Wir sind vollkommen solidarisch mit der Region und mit dieser sehr mutigen und klaren Haltung der Ecowas."
Die EU feilt seit Mitte Dezember an einem autonomen Rahmen für Sanktionen um "eigenständig restriktive Maßnahmen gegen Personen und Einrichtungen zu verhängen, die den Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität Malis bedrohen oder die Umsetzung des politischen Übergangs in Mali behindern." Goïta bezeichnete die Sanktionen unlängst als "illegitim, illegal und unmenschlich." Dennoch sei man weiterhin offen für einen Dialog mit den westafrikanischen Nachbarn.
Unterdessen ist es Washington und Paris nicht gelungen, seitens des UN-Sicherheitsrats eine Erklärung zur Unterstützung der Sanktionen absegnen zu lassen. China und Russland verhinderten durch ihr Veto die von Frankreich eingebrachte Initiative.Der chinesische Botschafter Dai Bing wies darauf hin, dass sich Mali in einer kritischen Übergangsphase befinde und dass externe Kräfte keinen übermäßigen Druck auf das westafrikanische Land ausüben dürften. Bing nahm die jüngsten Maßnahmen der ECOWAS sowie die Reaktion der Übergangsbehörden zur Kenntnis und ermutigte beide Seiten, den Dialog zu verstärken und die regionalen Probleme zu lösen.
Russland wiederum wies die eingebrachte Erklärung als unausgewogen zurück und äußerte sein Verständnis für die Regierung in Bamako. "Wir verstehen und sind uns der Schwierigkeiten bewusst, mit denen die malischen Behörden bei der Vorbereitung der allgemeinen Wahlen konfrontiert sind", erklärte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja. Man stimme zudem "mit der Tatsache überein, dass es ohne die Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle in vielen Teilen und Regionen des Landes schwierig sein wird, die Wahl als legitim zu betrachten."
Beobachter mutmaßen derweil ohnehin, dass es Frankreich, den USA und ihren mehr oder minder unabhängigen "Partnern" weniger um Demokratie, als um ihre eigenen geopolitischen Interessen im Sahel geht. Mali ist dabei eines der womöglich prominentesten Beispiele für den zunehmend schwindenden Einfluss der ehedem unbestrittenen und wahren Strippenzieher im vermeintlich postkolonialen Afrika. China und zunehmend auch Russland treten als Wilderer in den exklusiven Jagdgründen der westlichen Staatengemeinschaft in Erscheinung. Da erscheint es nur konsequent, dass diese beiden Mächte als kalt geostrategisch kalkulierend gezeichnet werden. Während es den westlichen Staaten freilich allein um die Terrorismusbekämpfung und die Demokratie geht.
Die malische Regierung hatte zuletzt ihre Absicht bekundet, bei dem bisher so wenig erfolgreichen Kampf gegen terroristische Gruppen und Milizen nun nicht mehr auf Frankreich zu vertrauen, sondern sich zum Beispiel russischer Kompetenzen zu versichern. Im nordatlantischen Raum reagierte man darauf erwartungsgemäß äußerst ungehalten.
Vor allem die Militärfirma Wagner ist seither in aller Munde. Und während ähnliche, aber eben westlichen Unternehmen seit vielen Jahren weltweit und allzu oft unter dubiosen Umständen als sogenannte "Schattenarmeen" im Einsatz sind, gilt "Wagner" als ruchlose "russische Söldnertruppe", die für ihre "destabilisierenden Aktivitäten und Menschenrechtsverletzungen" bekannt sei.
Ende 2021 mehrten sich dann auch Berichte, wonach die Wagner-Paramilitärs bereits in Mali seien. Die malische Regierung streitet dies allerdings ab. Sie spricht von offiziellen bilateralen Vereinbarungen mit Russland im sicherheitspolitischen Bereich. Russische Soldaten seien als "Ausbilder" im Land. So wie westliche Soldaten in etlichen Staaten der Welt ebenfalls sogenannte "Ausbildungsmissionen" unterhalten. Gleichzeitig wird gemeldet, dass Wagner-Einheiten bereits erste Kampfeinsätze hinter sich hätten.
Wenig Beachtung finden in der Berichterstattung derweil die Ansichten der malischen Zivilbevölkerung. Denn die geht nun nicht etwa gegen die eigene Regierung auf die Straße. Bereits seit Monaten kommt es vielmehr zu Massenprotesten gegen die militärische Präsenz Frankreichs im Land. Deren Ziel sei nämlich nicht die Befriedung des Landes, sondern vielmehr das Chaos selbst. Auf diese Weise könne Paris sich als (ewiger) Retter in der Not gebärden, der das Land nicht mehr verlässt.
Zunehmend wird seitens der jungen Zivilbevölkerung der Kurznachrichtendienst Twitter genutzt. Dort verleihen sie dem eigenen Zorn und einem offensichtlich wachsenden Bewusstsein für die eigene Interpretation der Geschehnisse und deren Hintergründe international Ausdruck.
Vor wenigen Tagen kam es nun erneut zu massiven Protesten. Zu diesen hatte die Regierung im Zuge der zunehmenden Spannungen und der Sanktionen des mutmaßlichen "Helfershelfers" ECOWAS aufgerufen. In mehreren Städten wuchs der Protest erneut zu massiven Kundgebungen gegen Frankreich sn, und für eine tatsächliche, eigene Unabhängigkeit.
Hundertausende Menschen trugen demnach ihren Unmut auf die Straßen. Angesichts der Proteste meldete sich auch der malische Außenminister Abdoulaye Diop auf Twitter zu Wort:
"Demonstrationen in Mali gegen die illegalen, ungerechten und unmenschlichen Sanktionen, die dem malischen Volk auferlegt wurden. Die Malier wollen gehört werden, ihre Souveränität respektiert sehen, Frieden, Sicherheit, Demokratie, Dialog mit ECOWAS und anderen, Ablehnung von Einmischungen von außen."
Im Gegensatz zu Paris und Washington sind weite Teile der malischen Zivilbevölkerung dabei keinesfalls der Meinung, dass sie auf das Wohlwollen Frankreichs, der USA und ihrer Partner vertrauen sollten.
Im Gegenteil, viele Malier sind davon überzeugt, dass ihre aktuelle Regierung legitime Ansprüche nach Selbstbestimmung geltend macht. Ihrer Ansicht nach führt die Regierung einen Kampf gegen den Neokolonialismus. Und sie wird nicht etwa wegen mangelnder Demokratiefreudigkeit sanktioniert und kritisiert. Sondern weil sie sich anmaßt, eigene wirtschaftliche und sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen.
Die Demonstranten sehen die Souveränität Malis durch Frankreich, die USA, die EU und die jüngst verhängten Sanktionen untergraben. Russland und die russische Militärfirma Wagner werden im Ringen um Sicherheit und Frieden hingegen willkommen geheißen.
Erneut unterstützte auch der einflussreiche malische Imam Mahmoud Dicko die Proteste. Er begrüßte die Dialogbereitschaft der Regierung und die von Präsident Goïta propagierte Einheit der Malier. "Das malische Volk verdient diese Sanktionen nicht, sondern die Begleitung durch die Staatschefs der ECOWAS. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Mali diese Prüfung überwinden wird, indem es auf unsere säkularen Werte zurückgreift", ließ er verlauten.
Am 17. Januar forderte die malische Regierung Frankreich dazu auf, das bilaterale Verteidigungsabkommen zwischen den beiden Ländern zu überprüfen. Gleichzeitig wolle man sich weiter für Abkommen mit anderen Staaten öffnen, so der malische Premierminister Choguel Maïga.
"Wir wollen die unausgewogenen Abkommen überarbeiten, die uns zu einem Staat machen, der ohne französische Genehmigung nicht einmal sein Territorium überfliegen darf."
Die Verteidigungsabkommen zwischen Frankreich und Mali wurden im März 2013 nach dem Beginn der französischen Militäroperation unterzeichnet.
Und wie bereits vor wenigen Wochen, wurde nun erneut ein Konvoi der französischen Militäroperation "Barkhane" von Anwohnern blockiert. Diesmal auf dem Weg von Gao nach Menaka.
Die Zeiten haben sich geändert. Frankreich und seine Partner sollten die Vorgänge vor Ort ernst nehmen, die richtigen Schlüsse ziehen und ihre Politik den Entwicklungen anpassen. Es ist zu wenig, andere Akteure zu verdammen, eigene Interessen zu verleugnen und den selbstkritischen Blick in den Spiegel zu scheuen. Doch ohne diese objektive Bestandsaufnahme werden Frankreich und seine Verbündeten nur weiter an Glaubwürdigkeit verlieren – und zwangsläufig weiter an Einfluss einbüßen.
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