von Kani Tuyala
Seit Jahren versinkt das einst großmütig als "afrikanische Musterdemokratie" bezeichnete Mali immer mehr in einer Mischung aus islamistischem Terror und politischer Instabilität. Immer weitere Kreise zieht der in der Region vor gar nicht langer Zeit noch gänzlich unbekannte Islamismus, der durch den NATO forcierten Regime Change in Libyen im Jahr 2011 auf dem afrikanischen Kontinent endgültig entfesselt wurde.
Auch die massive französische und UN-Truppenpräsenz vor Ort konnte daran bislang nichts ändern, im Gegenteil greift dessen destabilisierender Faktor immer weiter um sich. Längst versucht Paris, den eigenen vor Ort geführten "Krieg gegen den Terror" durch die Schaffung etwa der G5 (Mali, Tschad, Burkina Faso, Niger, Mauretanien) und weitere Forderungen an EU-Staaten, darunter die ohnehin bereits involvierte Bundesregierung, weiter zu internationalisieren.
Parallel dazu wird Paris die eigene militärische Präsenz im Rahmen der "Anti-Terror-Operation" Barkhane in neun Phasen von 5.200 auf 2.500 bis 3.000 in den kommenden Monaten reduzieren, beginnend mit den nördlichen Militärbasen in Tessalit, Kidal und Timbuktu. Seit 2013 ist Frankreich militärisch vor Ort präsent. Bis 2023 soll die Truppenreduzierung abgeschlossen sei.
Hintergrund der Truppenreduktion war auch die Unzufriedenheit des Élysée-Palastes mit dem Ansinnen der malischen Übergangsregierung, das Gespräch mit verschiedenen islamistischen Gruppierungen zu suchen, um die schwellenden Konflikte im Dialog zu beenden. Der französische Präsident Emmanuel Macron ließ jedoch verlauten, dass man nicht bereit sei, mit Terroristen zu verhandeln – was einem indirekt ausgesprochenen Gesprächsverbot an die Adresse Bamakos gleichkam. Längst rumort es in weiten Teilen der malischen Bevölkerung, und die Kritik am "neokolonialen" Auftreten Frankreichs wächst, während die Forderungen nach dem Abzug der französischen Truppen lauter werden.
Die ehemalige Kolonialmacht, so der Tenor, sei nicht vor Ort, um den Terror zu bekämpfen, sondern die Instabilität zu fördern, um das Land und damit dessen Ressourcen besser kontrollieren zu können. Seit geraumer Zeit werden Rufe laut, sich an verlässliche Partner zu wenden, die demzufolge vor allem in Moskau und Bejing zu finden sind.
Gut einen Monat nach dem desaströsen Ende des NATO-Kriegs in Afghanistan platzte am Samstag dem Premierminister der neuen malischen Militärregierung, Shoguel Kokalla Maiga, vor der UN-Generalversammlung der Kragen:
"Die neue Situation, die durch das Ende der Operation Barkhane entstanden ist, stellt Mali vor vollendete Tatsachen: Wir sind gewissermaßen auf halber Strecke im Stich gelassen worden. Dies zwingt uns, Mittel und Wege zu erkunden, wie wir unsere Sicherheit allein oder mit anderen Partnern besser gewährleisten können."
Damit spielte Maiga auf jüngste Berichte an, wonach sich die malische Regierung an die private russischeSöldnerfirma Gruppe Wagner gewandt habe, um dem Islamismus im eigenen Land endlich effektiv begegnen zu können. Frankreich, so ergänzte der erboste Premier, wolle Barkhane in eine internationale Operation verwandeln, "deren Form noch nicht bekannt ist. Oder zumindest ist sie meinem Land und unserem Volk noch nicht bekannt".
In der Zwischenzeit bestätigte der russische Außenminister Sergei Lawrow am Rande der UN-Vollversammlung in New York Kontakte zwischen den malischen Behörden und der Wagner-Gruppe. Hintergrund sei Frankreichs Ansinnen, seine militärische Präsenz im Kampf gegen Terrorzellen im Norden des Landes deutlich zu reduzieren, während die Terroristen vor Ort weiterhin das Sagen hätten. Die russische Regierung habe mit den Gesprächen jedoch nichts zu tun, so Lawrow. Gleichzeitig bestätigte der russische Außenminister militärische Abkommen zwischen Bamako und Moskau:
"Wir haben ein politisch-militärisches Kooperationsprogramm und engagieren uns in der Friedenssicherung im Einklang mit den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats."
Gleichzeitig plauderte Lawrow am Rande der UN-Vollversammlung in New York aus dem Nähkästchen, was seine Begegnung mit dem EU-Außenbeauftragen Josep Borrell anbelangt. Dessen Duktus gegenüber Mali sei untragbar und sollte ansonsten gegenüber niemand angewandt werden. So habe Borrell erklärt: "Ihr solltet besser nicht in Afrika aktiv werden, denn Afrika gehört uns (is our place)". Laut Lawrow sei es an der Zeit, die Bemühungen in der Terrorismusbekämpfung zwischen der EU und Russland besser abzustimmen.
Währenddessen warnte Frankreich die malische Übergangsregierung bereits davor, sich an die Wagner-Gruppe zu wenden. Die Anwerbung der Söldnerfirma würde das Land demnach "international isolieren" und sei mit der weiteren französischen Präsenz vor Ort unvereinbar. Nach bislang nicht bestätigten Informationen soll Bamako den Einsatz von 1.000 Paramilitärs des privaten Söldnerunternehmens im Sinn haben. Zwischenzeitlich schaltete sich auch die Bundesregierung ein und errichtete eine diplomatische "Drohkulisse". Im Spiegel hieß es zur Position der Bundesregierung:
"Deutschland werde eine wie auch immer geartete Präsenz der "Wagner"-Gruppe in Mali nicht akzeptieren, so die mit Frankreich abgestimmte Linie der Bundesregierung."
Bereits vor Wochen behielt sich die malische Regierung indes vor, ihre Partner im Kampf gegen den Terrorismus selbst auszuwählen. In Mali ist die Bundeswehr im Rahmen der sogenannten "Stabilisierungsmission" MINUSMA (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) mit einer Obergrenze von 1.100 Soldaten aktiv. Das Mandat erlaubt den Einsatz von Waffen. Hinzu kommt die Militärmission der EU zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (European Union Training Mission, EUTM Mali). An dieser beteiligt sich Deutschland mit mehren hundert Soldaten.
Doch die militärischen Ambitionen zur "Stabilisierung" Malis wachsen weiter an. So erklärte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul bereits im April und angesichts des beschlossenen Rückzugs aus Afghanistan:
"Der Schwerpunkt des sicherheitspolitischen Engagements der Bundeswehr verlagert sich in rasantem Tempo von Afghanistan in Richtung Sahelzone."
Nach dem desaströsen Ende des NATO-Kriegs in Afghanistan forderte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, Mitte September nun allerdings eine kritische Überprüfung des Bundeswehreinsatzes in Mali: "Nach den Erfahrungen mit dem Abzug aus Afghanistan müssen wir noch einmal über Sinn und Zweck der Mali-Mission reden".
Derweil kritisierte der Barkhane-Kommandeur Laurent Michon den malischen Premierminister für dessen Aussagen, wonach Frankreich den Sahelstaat nun fallen lasse.
Die Tatsache, dass man sich jetzt aus den drei Garnisonen in Tessalit, Kidal und Timbuktu zurückziehe, sei keineswegs mit einer Preisgabe Malis gleichzusetzen, sondern folge dem Plan einer Umstrukturierung der französischen militärischen Präsenz. Michon ergänzte:
"An diesen drei Orten, in diesen drei Garnisonen sind die Einheiten der MINUSMA und vor allem die der FAMA (malische Streitkräfte) fest verankert, und das ist keineswegs ein Rückzug."
Beobachter der internationalen Politik fühlen sich angesichts des Verweises auf die mutmaßlich feste Verankerung der malischen Streitkräfte, indirekt erneut an das afghanische NATO-Desaster und die vermeintliche Stärke der nun ehemaligen afghanischen Armee erinnert.
Am Montag war es dann die französische Verteidigungsministerin Florence Parly die vor Studenten der Sciences Po Paris das Wort ergriff und den malischen Premier tadelte. Es gäbe keinen französischen Rückzug, erklärte Parly. Sie wolle "Unwahrheiten" widerlegen.
"Wenn wir 5.000 Soldaten haben und uns von drei Stützpunkten zurückziehen, und wir beabsichtigen, mehrere Tausend weitere zu belassen, wenn wir in der Sahelzone die neueste Ausrüstung einsetzen (...), dann ist das nicht die normale Haltung eines Landes, das sich zurückziehen will."
Die Worte Shoguel Kokalla Maigas seien "heuchlerisch, sehr böswillig, sehr unanständig", zeigte sich die französische Politikerin überzeugt. Dies vor allem auch, da nur ein Tag vor der Ansprache des malischen Premierministers vor der UN- Generalversammlung ein weiterer französischer Soldat "im Kampf gegen den Terrorismus im Sahel" sein Leben gelassen habe.
Zudem sei das Ziel des mutmaßlichen Einsatzes der Wagner-Truppe lediglich, "die gegenüber der internationalen Gemeinschaft eingegangenen Verpflichtungen zu brechen", wonach die Militärjunta die Macht an die Zivilbevölkerung übergeben und im Februar 2022 Wahlen in Mali abhalten solle, polterte die französische Ministerin gegenüber der malischen Übergangsregierung.
"Ich habe den Eindruck, dass der Termin ihnen nicht ganz passt und dass sie ihn hinauszögern wollen. Aber sich die Füße am Blut französischer Soldaten zu abzuwischen, ist inakzeptabel."
In einem "Putsch im Putsch" stürzten im Mai verschiedene Einheiten der malischen Armee die bei vielen Maliern als ineffizient und korrupt geltende Übergangsregierung unter Präsident Bah N'Daw und Premierminister Moctar Ouané. An der Spitze der neuen Übergangsregierung steht seither der Kommandant der malischen Spezialeinheit "Autonomes Bataillon der Spezialkräfte" (BAFS) Assimi Goïta. Bereits beim Militärputsch im August 2020 spielte Goïta eine tragende Rolle.
Vor wenigen Tagen schaltete sich Washington in die angeheizte Wagner-Debatte und den diplomatischen Disput ein. Sollte es zum Deal zwischen Bamako und der Wagner-Gruppe kommen, würde dies wohl zur "weiteren Destabilisierung" Malis beitragen. Ohnehin seien die Bemühungen Russlands, an Einfluss in Afrika zu gewinnen, alles andere als förderlich für die Menschen vor Ort. So sei man in Washington, laut Voice of America, besorgt über eine entsprechende "Zunahme bösartiger Einflüsse auf dem Kontinent".
"Wir glauben nicht, dass es der richtige Weg ist, für die Sicherheit nach außen zu schauen. Das ist nicht der beste Weg zu echter Stabilität."
Nun sei es wichtig, den Übergang zu einer "vollständig gewählten, demokratischen Regierung" voranzutreiben. Derweil trieb es am 22. September demzufolge "schätzungsweise 3.000 Menschen" zum Tag der offiziellen Unabhängigkeit Malis von Frankreich auf die Straßen, "um gegen die Verärgerung des Westens über das Abkommen mit Russland zu protestieren, wobei einige von ihnen die Bedenken über das vorläufige Abkommen als "ausländische Einmischung" bezeichneten".
Und während die Kritik am womöglich bevorstehenden Einsatz der "russischen Söldnertruppe" im Kampf Malis gegen den Terrorismus zwischen Washington und Paris anwächst, sind auch die Söldner der französischen Fremdenlegion vor Ort. Tatsächlich blickt der Einsatz privater und staatlicher Paramilitärs auf eine lange Tradition auf dem afrikanischen Kontinent zurück. Und der Markt boomt.
In der EU und den USA ist Goïta derweil kein Unbekannter. Wie etwa die Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums im Zuge des Putsches in Mali erklärte, hatte Goïta 2008 einen Logistiklehrgang bei der Bundeswehr und 2016 ein Seminar am George C. Marshall Center in Garmisch-Partenkirchen besucht. Der Westafrika-Projektleiter des US-Veteranenprogramms "Spirit of America", Andy Duhon, bezeichnete den nun in der Kritik stehenden neuen malischen Übergangspräsidenten als "Schlüsselpartner und Freund".
"Zusammen haben wir gewalttätigen Extremismus in Mali bekämpft."
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