Tunesiens Präsident Kais Saied hat außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen, um die Macht des Präsidenten gegenüber der Regierung und des Parlaments zu stärken. Dies berichtet die Zeitung Guardian.
Saied kündigte an, er werde per Dekret regieren und Teile der Verfassung ignorieren, während er einen Wechsel des politischen Systems vorbereitet. Dies führte zu unmittelbarer Kritik aus den Reihen der Opposition.
Am 25. Juli hatte Saied den Premierminister entlassen, das Parlament suspendiert, die parlamentarische Immunität aufgehoben und die Exekutivgewalt unter Berufung auf den Ausnahmezustand übernommen. Gegner des Präsidenten bezeichneten dies als Putsch.
Die am Mittwoch bekannt gegebenen neuen Befugnisse umfassen das Recht des Präsidenten, Gesetzgebungstexte zu erlassen, das Ministerkabinett zu ernennen und die Politik des Landes alleinig zu bestimmen. Bis auf Weiteres nimmt das Parlament seine Tätigkeit nicht wieder auf. Abgeordnete erhalten weiterhin keine Gehälter und die parlamentarische Immunität vor einer Strafverfolgung wird nicht wiederhergestellt.
Saied begrenzte die Dauer seiner Notstandsbefugnisse nicht, sagte aber, er werde einen Ausschuss einsetzen, der die Ausarbeitung von Verfassungsänderungen unterstützen soll. Seiner Meinung nach wird dies dazu beitragen, eine echte Demokratie aufzubauen, in der die Menschen des Landes tatsächlich souverän sind.
Rached Ghannouchi, der Vorsitzende der islamistischen Partei Ennahda, der größten Partei in Tunesien, sprach sich umgehend gegen Saieds Ankündigungen aus. Er erklärte, die Pläne würden die Aufhebung der Verfassung bedeuten. Ghannouchi zufolge wird seine Partei dies nicht akzeptieren. Ennahda hatte Saieds Intervention vom 25. Juli als Putsch bezeichnet.
Ein hochrangiger Vertreter von Heart of Tunesia, der zweitgrößten Partei im Parlament, warf Saied vor, wissentlich einen Putsch durchgeführt zu haben. Osama al-Khalifi schrieb auf Twitter:
"Wir fordern eine nationale Ausrichtung gegen den Putsch."
Saied hingegen bestritt diktatorische Ambitionen und bestand darauf, dass sein Handeln verfassungsgemäß sei. Er versprach auch, die Rechte der tunesischen Bevölkerung zu verteidigen.
Viele Tunesier begrüßten Saieds Maßnahmen mit Begeisterung, da sie von der politischen Klasse des Landes enttäuscht sind. Die Tunesier erwarten entschlossene Maßnahmen gegen Korruption und Gesetzlosigkeit in einem Land, das mit schweren sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Gleichzeitig werfen Unklarheiten über die Zukunft des Landes vermehrt Fragen unter der tunesischen Bevölkerung auf.
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