Libyens Parlament bestätigte am Dienstag mehrheitlich ein Misstrauensvotum gegen die unter UN-Schirmherrschaft gebildete Übergangsregierung des Landes. Mit diesem Schritt wurden faktisch die für dieses Jahr geplanten Wahlen auf Eis gelegt. 89 von 113 Abgeordneten stimmten für einen Misstrauensantrag gegen die Führung des Landes, wie ein Sprecher des Parlaments mitteilte. Die Übergangsregierung ist damit nur noch geschäftsführend bis zur Bestätigung einer neuen Führung im Amt.
Es heißt, einige Abgeordnete hätten die Entscheidung des Parlaments abgelehnt und den Abstimmungsvorgang als rechtswidrig bezeichnet. Der "Hohe Staatsrat" des Landes erklärte zudem, das Misstrauensvotum sei ein "Verstoß gegen die Verfassungserklärung" und gegen ein im Jahr 2015 getroffenes politisches Abkommen.
Premierminister Abdul Hamid Dbeiba sagte jedoch nach der Abstimmung, dass seine Regierung die Pläne für die Wahlen Ende Dezember vorantreiben werde. Seine Regierung werde vollenden, "was sie begonnen hat, um die Nation zu retten und sie hoffentlich zu vereinen", berichtet AP.
In einer Erklärung später am Dienstag äußerte die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Libyen ihre Bedenken hinsichtlich des Misstrauensvotums und erklärte, die Übergangsregierung bleibe weiterhin die legitime Regierung, bis sie nach den Wahlen in einem regulären Prozess durch eine andere Regierung ersetzt werde.
Die derzeitige Übergangsregierung war das Ergebnis eines Dialogforums unter Schirmherrschaft der UNO. Sie löste die von den UN anerkannte Regierung mit Sitz in Tripolis ebenso wie die Gegenregierung mit Sitz im Osten des Landes ab. Sie sollte Libyen bis zu landesweiten Wahlen am 24. Dezember 2021 führen. Ob diese Wahlen nun überhaupt stattfinden, bleibt derzeit noch unklar. Die Teilnehmer der zweiten Berliner Libyen-Konferenz im Juni hatten unlängst die Bedeutung der bevorstehenden planmäßigen Wahlen hervorgehoben.
Das Misstrauensvotum offenbart allerdings die zunehmende Spaltung zwischen der Regierung unter Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba und dem libyschen Parlament. Beide Seiten streiten schon seit Wochen über ein Wahlgesetz. Für den 24. Dezember waren bisher Präsidentschafts- und Parlamentswahlen geplant, doch inzwischen war schon eine Verschiebung zumindest der Präsidentschaftswahl im Gespräch. Unter zunehmendem internationalem Druck verabschiedete das Parlament Libyens Anfang dieses Monats ein Präsidentschaftswahlgesetz und erklärte, man sei dabei, das Gesetz für die Parlamentswahlen fertigzustellen. Der Hohe Staatsrat, der die Wahlgesetze vorschlägt, beklagte daraufhin, das Gesetz wäre ohne Konsultation seiner Mitglieder angenommen worden, was den Fahrplan für die Wahlen zunichtemachen könnte.
Der frühere langjährige Staatschef Muammar al-Gaddafi war 2011 durch eine NATO-Intervention gestürzt worden. Das Land versank danach im Chaos und in jahrelangem Bürgerkrieg. Sklaven-, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel einschließlich der Migrantenströme aus Afrika nach Südeuropa florieren seither in Libyen. In dem seither von Krisen heimgesuchten Land haben sich Mafiabanden, Milizen und Behörden zu illegalen Netzwerken organisierter Kriminalität zusammengeschlossen. Die Terrororganisation IS errichtete mittlerweile ein Mini-Kalifat an der libyschen Küste. Das Bürgerkriegsland Libyen ist etwa fünfmal so groß wie Deutschland und wird seit 2011 als Rückzugsgebiet sowohl von radikalen Terrormilizen als auch von Oppositionsgruppen aus mehreren Ländern genutzt.
Der ehemaligen sogenannten Einheitsregierung gelang es im Jahr 2019, eine Militäroffensive des libyschen Generals Chalifa Haftar auf die Hauptstadt Tripolis zu stoppen. Dafür heuerte die von der UNO anerkannte ehemalige Einheitsregierung von Fayiz as-Sarradsch unter anderem auch mehr als 10.000 syrische Kämpfer aus der Region Idlib und türkische Militärberater an und konnte Haftar im März 2019 zurückschlagen.
Mehr zum Thema - Weiterer Sohn Gaddafis aus dem Gefängnis entlassen