Royal Dutch Shell teilte am Montag mit, dass es seine Ausgaben um 20 Prozent oder rund fünf Milliarden US-Dollar kürzen wird. Auch der Aktienrückkaufplan wird ausgesetzt. Der französische Ölkonzern Total SA und der norwegische Equinor kündigten ähnliche Schritte an.
Auch ExxonMobil und Chevron erwägen es, ihre Budgets zu kürzen. Exxon steht besonders unter Druck. Die Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass Chevron einen Ölpreis von 50 US-Dollar pro Barrel benötigt, um die Ausgaben und seine Dividenden zu decken. ExxonMobil hingegen benötigt sogar einen Preis von 70 US-Dollar pro Barrel.
Große Ölkonzerne in den USA sind im Vergleich zu kleinen und mittleren Schieferölförderern überproportional vom Preiseinbruch betroffen, da Letztere über nachgelagerte Raffinerie- und Petrochemieanlagen verfügen. Diese schneiden bei fallenden Preisen in der Regel etwas besser ab als die rohölfördernden Unternehmen selbst. Raffinerien zahlen während des Abschwungs weniger für Rohöl. Niedrige Preise führen in der Folge zu einem Anstieg der Verkäufe von raffinierten Produkten.
Diesmal haben die großen Ölunternehmen aber kein solches Polster. Wir befinden uns mitten in einer historischen Kernschmelze, einer Angebotskrise mit einer nie dagewesenen Nachfragesituation. Die Schätzungen variieren zwar, doch der Ölverbrauch könnte um zehn Millionen Barrel pro Tag oder mehr fallen. Es spielt keine Rolle, wie billig Rohöl ist: wenn die Menschen nicht fahren, fliegen und nichts Anderes als das Nötigste konsumieren, gibt es trotz niedriger Preise keinen Nachfrageschub.
Am Montag kündigte Exxon an, dass es die Produktion in seiner Raffinerie in Baton Rouge drosselt, der zweitgrößten in den USA, weil die Lagertanks aufgrund der schwachen Nachfrage gefüllt sind. Das Unternehmen löste auch Verträge mit 1.800 Subunternehmern. Ein weiteres Beispiel stellt ein großes petrochemisches Projekt in Appalachia dar, das aufgrund der Marktsituation möglicherweise nicht weitergeführt wird.
Die erste Runde der Ausgabenkürzungen der Ölindustrie ist deutlich spürbar. Laut einem Bericht von Goldman Sachs beginnt gerade eine zweite Runde. Das Unternehmen schrieb in einer Notiz:
Wir sehen, dass die US-Ölproduktion Ende des zweiten Quartals 2020 aufgrund reduzierter Bohrungen (das heißt vor der Berücksichtigung der Schließung bestehender, wahrscheinlich notwendiger Bohrlöcher) innerhalb von fünf Quartalen um fast 1,4 Millionen Barrel pro Tag zurückgingen, wobei die gedeckten Unternehmensinvestitionen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent sanken.
Die Konsolidierungen sind jedoch nicht abgeschlossen. Der Rückgang der Ausgaben, der Bohrungen und schließlich der Produktion könnte sich noch verstärken, da die Investitionskürzungen immer deutlicher werden. Die Bank Raymond James erklärte am Montag:
Es gibt keinen Zuckerüberzug, die US-Ölfeldaktivitäten werden bei Preisen für WTI weit unter 30 US-Dollar zusammenbrechen.
Die erste Runde der Kürzungen brachte die Ausgaben um etwa 45 Prozent unter das Niveau von 2019, so die Bank. Man fügte hinzu:
Die Rückgänge werden jedoch weitaus dramatischer sein als diese anfänglichen Kürzungen, und wir betonen, dass diese Ankündigungen zu größeren Obergrenzen, besser abgesicherten und kapitalisierten Betreibern tendieren. Die gesamten US-Investitionen werden wahrscheinlich um mehr als 65 Prozent sinken, wobei der WTI-Preis im Bereich von 20 US-Dollar verharren wird.
Rystad Energy gab am Montag eine ähnliche Schätzung heraus. Unternehmen in den Bereichen der Erkundung und Förderung könnten ihre Projektfinanzierungen um bis zu 131 Milliarden US-Dollar oder etwa 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr senken, so das in Oslo ansässige Unternehmen. Audun Martinsen, Leiter der Forschungsabteilung für Energiedienstleistungen bei Rystad Energy hob hervor:
Die Upstream-Akteure werden ihr Kostenniveau und ihre Investitionspläne genau unter die Lupe nehmen müssen, um den finanziellen Auswirkungen der niedrigeren Preise und der geringeren Nachfrage entgegenzuwirken. Die Unternehmen haben bereits damit begonnen, ihre jährlichen Investitionsausgaben für 2020 zu reduzieren.
Wie weit die Preise für die Marken WTI und Brent noch fallen werden, kann man nur spekulieren. Einige Analysten weisen darauf hin, dass das Einlagern von Öl die Ursache für einen weiteren Ölpreisrückgang sein könnte. JBC Energy erklärte in einer Notiz:
Niemand kann sicher sein, dass die Produktion schnell genug eingestellt wird, um unsere Fähigkeit zur Öllagerung nicht zu überfordern.
Das Unternehmen wies darauf hin, dass Raffinerien die Verarbeitung einstellen, weil ihnen die Lagerkapazitäten ausgehen, wie es etwa bei Baton Rouge von Exxon der Fall ist. JBC schloss:
In einem solchen Umfeld ist es möglich, dass die Preise für Brent kurzzeitig auf zehn US-Dollar pro Barrel fallen, wie es 1986 oder 1998 der Fall war.
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