Der Bau der Baltic Pipe, ein Gemeinschaftsprojekt des polnischen Staatsunternehmens Gaz-System und des dänischen Unternehmens Energinet, soll die Abhängigkeit Warschaus von russischem Erdgas verringern. Es wird erwartet, dass sie 2022 abgeschlossen sein wird, wenn Polens langfristiger Vertrag mit dem russischen Gaskonzern Gazprom ausläuft. Die 900 Kilometer lange Pipeline hat eine Kapazität von zehn Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr und soll sich durch die Ostsee erstrecken, wo sich bereits die russische Pipeline Nord Stream befindet.
Das Projekt ist jedoch möglicherweise nicht das Geld wert, das Europa darin investiert hat, sagte Alexei Griwatsch vom National Energy Security Fund zu RT. Er erklärte, dass Norwegen bereits über ein System der Gaslieferung nach Europa verfügt, unter anderem nach Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Belgien. Auch die Gasproduktion des Landes liege bereits "bei maximaler Kapazität" und nehme ab.
"Das bedeutet, dass es nach Abschluss des Baus der Ostseerohrleitung notwendig sein wird, die Mengen an norwegischem Gas, die auf die Märkte Nordwesteuropas geliefert werden, zu senken. [...] Daher bedeutet der Beginn der norwegischen Gaslieferungen nach Polen eine Beeinträchtigung des Gashaushalts der Region", sagte Griwatsch.
Eine Erhöhung der Energielieferungen von Norwegen nach Polen könnte auch die Kosten für andere europäische Länder erhöhen, glaubt der Energieexperte.
"Es ist schlichtweg sinnlose Geldverschwendung im Hinblick auf den vereinten [europäischen Gas-] Markt, da die europäischen Kunden alle Kosten für diese Gasleitung tragen werden", warnte der Analyst. Er fügte hinzu, dass die Europäer für Infrastruktur bezahlen werden müssen, die eigentlich nicht notwendig war.
Da sich die Baltic-Pipe-Trasse mit der bereits bestehenden russischen Nord-Stream-Pipeline überschneidet, muss Polen eine Einigung mit der russischen Gazprom erzielen, berichtete die Financial Times unter Berufung auf einen Energieanalysten von Polityka Insight. Die Überschneidung der beiden Gasleitungen ist eine Frage der Sicherheit für beide Projekte, sagte Griwatsch gegenüber RT. Er stellte fest, dass sich der polnische Betreiber mit seinen russischen Kollegen über die technischen Details der Überschneidungsstelle abstimmen muss, solche Probleme können jedoch "routinemäßig" gelöst werden.
Warschau ist der größte Abnehmer von russischem Gas in Ost- und Mitteleuropa. Im Jahr 2017 lieferte Gazprom zehn Milliarden Kubikmeter Gas nach Polen, das damit nach Angaben des Unternehmens 54 Prozent des Landesbedarfs deckte.
Der Vertrag zwischen Gazprom und dem staatlichen polnischen Erdgasunternehmen PGNiG läuft im Jahr 2022 aus. Die polnische Seite hat die russische Gesellschaft aufgefordert, die Gaspreise zu senken, und hat diesbezüglich eine Beschwerde beim Schiedsgericht der Stockholmer Handelskammer eingereicht – einem neutralen Organ, das internationale Handelsstreitigkeiten beilegt. Das Schiedsgericht entschied zugunsten des polnischen Unternehmens, betonte jedoch, dass sein Antrag auf eine neue Preisformel "zu weitreichend" sei. Im Oktober letzten Jahres legte Gazprom gegen die Entscheidung der Schiedsstelle Berufung ein.
In einem offensichtlichen Versuch Polens, seine Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, unterzeichnete die staatliche Gasgesellschaft einen zwanzigjährigen Vertrag über den Kauf von Flüssiggas (LNG) aus den Vereinigten Staaten. Das amerikanische Unternehmen Venture Global wird voraussichtlich ab 2022 jährlich zwei Millionen Tonnen LNG respektive 2,7 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach der Wiederverdampfung bereitstellen. Amerikanisches LNG ist jedoch teurer als das Gas aus Russland, und die USA können nicht genug davon für den Bedarf Polens bereitstellen.
Warschau ist auch ein entschiedener Gegner der Gasleitung Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Im vergangenen Jahr forderte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki das Weiße Haus dazu auf, das von Russland geführte Projekt, das sich derzeit im Bau befindet, zu sanktionieren. Er sagte kürzlich, dass Nord Stream 2 im Widerspruch zu den europäischen Werten stehe, räumte aber ein, dass es schwierig sei, "zwei starke Staaten" von der Umsetzung abzuhalten.