von Timo Kirez
Am Abend des 17. Januar verabschiedete die italienische Regierung Dekrete zur Schaffung der sogenannten "Grundsicherung" und zur Senkung des Rentenalters - zwei der wichtigsten Wahlversprechen der beiden Regierungsparteien. "Diese Regierung hält ihre Versprechen", erklärte Regierungschef Giuseppe Conte anschliessend auf einer Pressekonferenz mit seinen beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten Matteo Salvini (Lega Nord) und Luigi Di Maio (5-Sterne-Bewegung).
Die sogenannte Grundsicherung von 780 Euro pro Person soll ab April dieses Jahres ausgezahlt werden. Das Renteneintrittsalter soll von 67 auf 62 Jahre sinken. "Der Ministerrat hat beschlossen, einen neuen Sozialstaat zu gründen", fügte Luigi Di Maio hinzu. Die dekretierten Gesetze werden in den nächsten Tagen in Kraft treten, müssen dann aber vom Parlament innerhalb von 60 Tagen noch bestätigt werden.
Der Ende Dezember verabschiedete Haushalt 2019 sieht knapp sieben Milliarden Euro für das sogenannte Bürgergeld vor, das wichtigste Versprechen der Fünf-Sterne-Bewegung. Rund vier Milliarden Euro werden für die Rentenreform, ein zentrales Wahlversprechen der Lega Nord, veranschlagt. Ab 2020 soll dieser Posten auf 8,6 Milliarden Euro ansteigen.
Doch wer nun glaubt, dass in Italien der Sozialismus ausgebrochen ist, der irrt. Die sogenannte Grundsicherung ist eben kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern vielmehr eine Variante des in Deutschland leidlich bekannten Hartz IV-Models. Auch der ausbleibende Aufschrei aus Brüssel lässt wohl vermuten, dass es sich hier eher um eine Mogelpackung handelt. Denn die Auszahlung des Geldes ist an Bedingungen gekoppelt, die so manchem Arbeitslosen hierzulande sehr bekannt vorkommen werden.
Zum einen gilt die Zahlung nur für einen Zeitraum von 18 Monaten. Und zum anderen ist sie an strenge Auflagen gebunden: Die Empfänger dürfen nicht mehr als zwei Stellenangebote ablehnen, von denen das zweite bis zu 250 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt sein darf. Ein drittes dürfte sogar irgendwo in ganz Italien angesiedelt sein. Zudem kommt auch sonst nicht jeder in den Genuss dieser "Grundsicherung". Nur wer als Italiener seit zwei Jahren (wieder) in seiner Heimat lebt oder wer als Ausländer schon seit mindestens zehn Jahren in Italien ansässig ist, hat Anspruch auf diese Leistungen.
Außerdem wurden noch weitere Hürden aufgestellt, um die Zahlungen einzugrenzen, zum Teil auch recht kuriose: Wie die Schweizer Tageszeitung Luzerner Zeitung berichtet, reicht es schon, wenn man sich in den vergangenen zwei Jahren ein Motorrad mit 250 Kubikzentimeter Hubraum gekauft hat, um von den Leistungen ausgeschlossen zu werden. Weniger überraschend und wie kaum anders zu erwarten, soll die "Grundsicherung" mit einem eventuell bestehenden Einkommen verrechnet werden.
Nicht von ungefähr sprach ein deutscher Experte für Grundeinkommen, Ronald Blaschke, in einem Interview mit telepolis im letzten Jahr von dem "Gegenteil eines Grundeinkommens." Auch die Höhe der monatlichen Zahlung, 780 Euro, ist alles andere als ausreichend. Die Armutsrisikogrenze für eine alleinstehende Person lag in Italien schon in 2016 bei 812 Euro - mittlerweile dürfte dieser Wert weiter gestiegen sein.
Bei der von der Lega versprochenen Rentenreform soll die sogenannte "Quote 100" eingeführt werden. Das heißt, der Renteneintritt ist bereits möglich, wenn das Alter und die Beitragsjahre zusammen die Summe 100 ergeben. Die Regierung hofft durch den früheren Rentenantritt Arbeitsplätze für Jüngere zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit unter 15- bis 34-Jährigen liegt in Italien bei knapp 20 Prozent.
Die Regierung schätzt, dass 355.000 Menschen bereits in diesem Jahr diese Option wählen könnten. Matteo Salvini bekräftigte, dass es "keine Strafen und keine Kürzungen" bei ihren Renten geben werde. Andererseits legen die Prognosen in mehreren Medien einen Rückgang der Renten um bis zu 30 Prozent für diejenigen nahe, die früher gehen. "Wir werden in drei Jahren eine Million Menschen in den Ruhestand schicken", erklärte Luigi Di Maio, während Matteo Salvini eine "offene Autobahn für so viele Italiener" begrüßte, die Arbeit suchen.
Doch auch die Rentenreform ist mit Vorsicht zu geniessen, da private Unternehmen es in der Regel vorziehen, ihre Belegschaftsgröße nach dem Renteneintritt Älterer einfach zu schrumpfen. Zudem gelten im öffentlichen Sektor immer noch Maßnahmen, die einen Einstellungsstopp vorsehen oder die Fluktuation beschränken. Um die Reformen finanzieren zu können, hatte Italien wochenlang mit der EU-Kommission über die Haushaltspläne der Regierung gestritten.
Für die Finanzierung nimmt die italienische Regierung eine höhere Neuverschuldung in Kauf. Auf massiven Druck aus Brüssel senkte die italienische Regierung zwar das drohende Defizit von 2,4 auf 2,04 Prozent, doch das Land erreicht dennoch einen Schuldenberg in Höhe von gut 131 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Nur Griechenland trifft es in der Eurozone härter. Erschwert wird die Situation zudem durch den kriselnden Bankensektor.
Der Zinsaufschlag für italienische Staatsanleihen verteuert einen etwaigen Finanzierungsbedarf für Staat, Banken und Unternehmen deutlich. Banken geben die höheren Kosten in Form höherer Zinsen weiter, was wiederum Einfluss auf die Investitionsbereitschaft und Konjunktur hat. Schon mehrere italienische Banken mussten durch öffentliche Mittel gerettet werden, darunter im Jahr 2017 die Bank Monte dei Paschi di Siena. Staatliche Zahlungen in Höhe von 6,9 Milliarden Euro bewahrten diese Bank vor dem sicheren Konkurs.
Ähnliches drohte auch der Genueser Sparkasse Carige. Nur die nationale Einlagensicherung durch die wichtigsten Banken des Landes verhinderte deren Konkurs. Kostenpunkt: 320 Millionen Euro für eine Wandelanleihe über insgesamt 400 Millionen Euro. Laut dem früheren Wirtschaftsminister Corrado Passera werden von den derzeit vielen hundert Banken nur vier bis fünf größere und etwa 70 regionale Bankengruppen überleben können.
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