Jedes Jahr vermeldet die russische Regierung, die Abhängigkeit von dem enormen Export "energetischer Mineralstoffe" überwunden zu haben. Und jedes Mal folgt ein nüchternes Dementi seitens der Zollbehörden – die Abhängigkeit sinkt zwar, aber nicht so schnell wie erhofft. Der Anteil der "energetischen Rohstoffe", sprich Erdgas, Erdöl und Kohle, machen immer noch mehr als die Hälfte russischer Ausfuhren aus - andere Rohstoffe mit einem niedrigen Verarbeitungsgrad wie Holz, Metalle oder seltene Erden nicht einmal inbegriffen.
Die De-Industrialisierung wegen des Verlustes eines riesigen Binnenmarktes mit mehreren Hundert Millionen Abnehmern infolge der Auflösung der UdSSR und des sozialistischen Lagers schreitet in Russland weiter voran. Viele Gebiete in dem ohnehin dünn besiedelten Land werden nach und nach entvölkert. Andererseits meldet sich gerade die russische Landwirtschaft nach einer langen Krise zurück. Und auch bei den Themen Digitalisierung und Industrie 4.0 kann Russland schon beachtliche Erfolge melden.
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Stagnation oder Modernisierung?
Eine hochrangige russische Delegation warb vor wenigen Tagen auf der 11. Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz für ihr Land.
Was wir derzeit haben, ist ein Land, das sich aufs Neue mobilisiert, wie es schon immer der Fall war, wenn wir die Aufgabe hatten, unseren Lebensstandard zu erhöhen. Außerdem wollen wir unser großes Territorium entwickeln und laden dafür auch deutsche Partner ein. Die Möglichkeiten sind bei uns enorm." sagte Kirill Molodtsov, Assistent des Leiters der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation vor Teilnehmern an der Konferenz.
Aber gerade beim deutsch-russischen Handel tritt das Ungleichgewicht besonders deutlich zutage. Bis zu 80 Prozent russischer Einfuhren nach Deutschland sind Rohstoffe. Unsere Wirtschaften seien komplementär, sagen deutsche Politiker und Unternehmen – Rohstoffe gegen Maschinen heißt es. Nicht nur für die Russen ist dieser Zustand nicht zufriedenstellend. Auch viele Deutsche meinen, dass das Land unter seinen Möglichkeiten bleibe. So sagte der Bundesminister a.D. und Umweltpolitiker Dr. Klaus Töpfer während einer Podiumsdiskussion der Konferenz, Russland sei ein "schlafender Riese".
Dies sei ein altes Klischee, widersprach dieser Einschätzung der russische Vize-Minister für Industrie und Handel, Wassili Osmakow, im Gespräch mit RT Deutsch. Ein angebliches Zitat von ihm, das vor drei Wochen durch alle deutschen Medien ging, lautete: Sanktionen sind ein Stimmungskiller. In Wirklichkeit sagte er damals in Anwesenheit von Manuela Schwesig auf dem Russland-Tag in Rostock, dass die Sanktionen lediglich "die Laune verderben".
Straßen aus der Römerzeit ersparen Erschließungsaufwand
Meiner Meinung nach ist Russland ein sehr schnell wachsender Gigant, der beim Aufwachen gerade massiv gestört wird. Der schlafende Riese war China vor 20 Jahren oder auch die Sowjetunion Anfang der 1930er Jahre. Schlafend heißt, dass man nicht genutzte Produktionsfaktoren hat oder wenn man große Teile an ländlicher, nicht urbanisierter Bevölkerung hat, die man gar nicht in die (industrielle) Produktion einbinden kann. Oder wenn der Konsum auf niedrigstem Niveau bei gleichzeitig weiterhin billigen Arbeitskräften verharrt", sagte der Vize-Minister.
Im Hinblick auf aussterbende Regionen, von denen es mittlerweile viele sogar in Zentral-Russland gibt, sagte er, diese Entwicklung sei unvermeidlich. Stattdessen werde es künftig zwei bis drei Dutzende Zentren mit räumlich konzentriert sehr hoher Urbanisierung und praktisch automatisierter Landwirtschaft und Rohstoffgewinnung geben. Das Land sei einfach sehr groß und hat viele schwer zugängliche Regionen.
In Europa beispielsweise sind die Entfernungen sehr gering. Das bedingt ein sehr hohes Niveau der Bodenerschließung. Manche Straßen stammen schon aus der Zeit der Römer. Das erfordert dann einen geringeren Bedarf an Investitionen für jedes beliebige Werk, was da gebaut werden soll", erklärte Osmakow.
Asymmetrische Föderation?
Für Russland verfolgt Osmakow die Strategie einer asymmetrischen Föderation - wenn nämlich die Regionen untereinander nicht vergleichbar sind, sondern eine jeweils sehr verschiedene Rolle spielen. Das spiegelt sich dann auch in der Steuerlast und der Förderung durch Subventionen wieder. Er gab aber zu, dass dieses Modell im Land auch viele Gegner habe.
Auf die Frage, was denn Russland außer Rohstoffen Deutschland anbieten könne, sagte der Vize-Minister, Russland könne für Deutschland jene Märkte erschließen helfen, die es sich selbst nicht für sich öffnen könnte.
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Es gibt Länder, in denen die Marke "Made in Russia" sehr hoch geschätzt wird, beispielsweise Kuba. Es gibt Staaten, in denen es russische Militärbasen gibt. Es gibt also Märkte, die mit uns gerne zusammenarbeiten. Dort können Exportverträge beispielsweise mit dem Bedarf des Militärs gebündelt werden. Das ist das Eine.
Außerdem sind in Russland derzeit die Lohnstückkosten niedriger, wobei die Arbeitskräfte dennoch ziemlich gut ausgebildet sind. Außerdem haben wir gute Möglichkeiten zur Entwicklung von Kapazitäten der Weiterverarbeitung in der Nähe von Rohstoffvorkommen, so z.B. für die Verflüssigung von Gasen, was ja in der Regel am Standort gebraucht wird. Dort können die Deutschen gern ihre Maschinen ausprobieren", sagte Osmakow.
Erfolgreiche "Integration"
Wassili Osmakow weiß, wovon er redet. Seit seiner Ernennung zum stellvertretenden Minister für Industrie und Handel im August 2016 besuchte er Deutschland bereits zum zehnten Mal. Der 35-jährige sagte auch in Potsdam vor den Konferenzteilnehmern, dass russisch-deutsche Projekte in Drittländern eine große Zukunft hätten. Auch russisch-deutsche regionale Kooperation bezeichnete er als weit fortgeschritten, denn die regionale Selbstverwaltung in beiden Ländern sei ähnlich hoch entwickelt. Und: gerade in russischen Regionen hätte er viele Deutschen getroffen, "die zu Russen wurden, wie auch hier umgekehrt".