Die Märkte sind zufrieden: Griechenland verlässt EU-Rettungsschirm

Das Kreditprogramm für Athen - das dritte Hilfspaket seit 2010 - endet am Montag. Künftig will sich das nach wie vor hochverschuldete Land wieder selbständig an den Finanzmärkten finanzieren. Für Beobachter wird das griechische Schuldenproblem nur vertagt.

Anfang August hatte der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM mit weiteren 15 Milliarden Euro die letzte Kreditrate des Griechenland-Rettungspakets nach Athen überwiesen. Damit steht Griechenland nach drei Jahren der EU-Maßnahmen zur Stunde mit 180 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung bei den Geldgebern in der Kreide. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die von diesen durchgesetzten Reformen und Sozialkürzungen weitergeführt werden sollen. Dennoch, für die EU-Granden ist der heutige Stichtag ein Tag zum Feiern. So etwa für EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dieser gratulierte dem Mittelmeerstaat zum Ende des vorläufig letzten Euro-Rettungsprogramms:

Ihr habt es geschafft. Mit riesigen Anstrengungen und europäischer Solidarität habt ihr eure Chance genutzt", erklärte Tusk am Montag über Twitter.

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fand salbungsvolle Worte und würdigte den "charakteristischen Mut und die Entschlossenheit" der Griechen bei der Bewältigung der seit 2010 anhaltenden Krise.

Wenn die Griechen nun ein neues Kapitel in ihrer bewegten Geschichte beginnen, werden sie in mir immer einen Verbündeten, Partner und Freund finden", bot Juncker an.

Auch für EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici ist das Ende des Hilfsprogramms eine gute Nachricht für Griechenland, aber auch für die Eurozone.

Für Griechenland und seine Menschen ist das der Anfang eines neuen Kapitels nach acht besonders schweren Jahren. Für die Eurozone zieht dies einen Strich unter eine existenzielle Krise", zeigte sich Moscovici überzeugt.

Das sehen Beobachter freilich anders, und selbst für Moscovici ist zumindest die politische Krise alles andere als beendet. Zumindest wenn man seinen eigenen Worten Glauben schenkt. So äußerte der Franzose noch kurz vor dem Auslaufen der EU-Rettungsprogramme harsche Kritik an der Rolle der an der "Griechenland-Rettung" beteiligten EU-Institutionen. Neben der Feststellung, dass "acht Jahre Krise viel zu lang" seien, fand der EU-Kommissar auch keine lobenden Worte für die EU-internen Entscheidungsprozesse.

Moscovici zufolge wiesen die Entscheidungsstrukturen in der Eurogruppe massive demokratische Defizite auf.

Ich selbst fühlte mich unwohl, wenn wir hinter verschlossenen Türen über das Schicksal von Millionen Griechen entschieden. Deshalb habe ich die Situation einen demokratischen Skandal genannt.

Tatsächlich kritisierte der EU-Kommissar bereits im September 2017, dass ohne die geringste parlamentarische Kontrolle "Pläne von Technokraten beschlossen" worden seien, "die das Schicksal von Menschen bis ins Detail prägen".

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Als Bereiche, die das Schicksal der Griechen prägen, nannte Moscovici die Renten- und Arbeitsmarktreformen. Durch den Eurorettungsschirm ESM und dessen Vorgänger EFSF wurden insgesamt 289 Milliarden Euro nach Athen überwiesen. Die letzte Überweisung soll Hellas demnach für weitere zwei Jahre über Wasser halten. Doch ab dem heutigen 20. August kann sich Griechenland wieder eigenständig Kapital an den Finanzmärkten beschaffen. Der griechische Premierminister, der Sozialist Alexis Tsipras, verpflichtete den griechischen Staat in diesem Zusammenhang dazu, bis 2022 im Haushalt vor Zinszahlungen einen Überschuss in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erzielen.

Das ist nicht zwingend unrealistisch, denn in den vergangenen beiden Jahren erfüllte Athen die Budgetziele. Doch dass es bis 2060 jährlich 2,2 Prozent sein sollen, erscheint dann doch eher unwahrscheinlich. Dennoch, zumindest die aktuellen wirtschaftlichen Kenndaten lassen sich sehen. Seit 2017 wächst die griechische Wirtschaft wieder, allen voran der Exportsektor, der auch den Tourismus beinhaltet – auch wenn die Wirtschaftsleistung noch weit hinter dem Vorkrisenzeitraum liegt. Doch der Internationale Währungsfond (IWF) zeigt sich zuletzt im Juni 2018 unbeeindruckt – was demnach vor allem an dem massiven Schuldenproblem Athens begründet liege.

In der IWF-Analyse besteht die griechische Quadratur des Kreises darin, dass, um den anvisierten Überschuss von 3,5 Prozent des BIP für den Zeitraum 2018 bis 2022 zu erzielen, eine Erhöhung der Steuern bei gleichzeitigen Einsparungen im sozialen Sektor notwendig seien.

Im Jahr 2019 sollte die [griechische] Regierung mit der geplanten Erhöhung ausgewählter sozialer Unterstützung und der Investitionsausgaben fortfahren, die durch Einsparungen im Rentensystem finanziert werden", raten die IWF-Experten unter anderem.

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"Die Rentner haben zahlreiche Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Rettungsaktionen unternommen", weiß auch Reuters zu berichten, "doch obwohl die griechische Wirtschaft endlich wieder zu wachsen beginnt, wenn auch bescheiden, könnten sie noch mehr Schmerzen erleiden. Für 2019 werden weitere Kürzungen erwartet", konstatiert die Nachrichtenagentur.

So wachsen daher auch die Zweifel am Grundnarrativ der griechischen Krisenbewältigung, dem zufolge sich Athen aus der Krise sparen könne. Auch nach Ansicht des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis sei die griechische Kuh auch nach dem Auslaufen des dritten Rettungspakets noch lange nicht vom Eis.

Griechenland steht am selben Punkt, vor dem gleichen schwarzen Loch, und es versinkt jeden Tag tiefer darin. Auch weil die Sparvorgaben der Gläubiger Investitionen und den Konsum behindern", erklärt der Ökonom.

Was den Schuldenberg Athens anbelangt, zeigt sich Varoufakis überzeugt, dass die Staatsverschuldung nicht geringer geworden sei – im Gegenteil:

Wir haben jetzt nur mehr Zeit, um noch mehr Schulden zurückzuzahlen. Der Staat ist noch immer pleite, die Privatleute sind ärmer geworden, Firmen gehen noch immer bankrott, unser Bruttoinlandsprodukt ist um 25 Prozent gesunken.

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Derweil zeigt sich die New York Times davon überzeugt, dass auch für die EU die Griechenlandkrise alles andere als ausgestanden sei:

Doch Griechenland ist das Problem, das für Europa nie ganz verschwindet, und die Risiken für die Zukunft des Landes nach dem Ausstieg lesen sich wie eine Wäscheliste der Widrigkeiten.

Doch Griechenland wird wieder "wettbewerbsfähiger", "die Märkte" zeigen sich von der diktierten Austeritätspolitik Athens angetan und schöpfen wieder neues "Vertrauen". Auch die deutsche Wirtschaft kann sich nicht beklagen, hat man doch in nicht unerheblichem Maße von der griechischen Tragödie profitiert. So erwarb etwa der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport vor zwei Jahren 14 griechische Flughäfen.

Delikat: Fraport befindet sich zur Hälfte in Besitz des Landes Hessen, was den Flughafenbetreiber zu einem deutschen Staatsbetrieb macht. Ohnehin herrscht seit Jahren auf Hellas Schlussverkaufs-Stimmung, denn zu den Athen auferlegten Reformen zählt auch die Privatisierung von Staatseigentum.

So wanderten Mitte Juni 2018 die verbliebenen fünf Prozent Anteile der griechischen Telefongesellschaft OTE in den Besitz des Mehrheitsaktionärs Deutsche Telekom. Mitte April 2018 erhielt ein europäisches Konsortium für den Preis von 535 Millionen Euro den Zuschlag für 66 Prozent des Erdgasbetreibers DESFA. Ausgeschrieben wurde auch die Erdölgesellschaft Hellenic Petroleum. Bereits im Juli 2016 erwarb die italienische Ferrovie dello Stato die griechische Bahn (TrainOSE) – für 45 Millionen Euro. Dennoch, die von den EU-Gläubigern angepeilten 50 Milliarden Euro Erlös aus dem Verkauf von Staatseigentum scheinen in weiter Ferne. Für die Jahre 2011 bis 2017 lagen die Erlöse aus Privatisierungen laut einer Anfrage der Linken bei insgesamt 5,1 Milliarden Euro.

Auch von den knapp 300 Milliarden Euro Kredit flossen demnach lediglich etwa zehn Prozent in den griechischen Staatshaushalt. Profitiert haben vor allem Banken und Gläubiger des griechischen Staates. Wie ebenfalls bekannt wurde, kassierte Deutschland an der "Griechenlandrettung" 2,7 Milliarden Euro Zinsen auf griechische Staatsanleihen. Die Gläubiger haben den Griechen Kredite gewährt und damit vor allem sich selbst saniert bzw. geholfen. Griechenland wird auf absehbare Zeit eine Geisel "der Märkte" bleiben. Sollte dies der Plan gewesen sein, dann ist er aufgegangen. Für die Griechen wurden die Probleme nur vertagt und die Symptome oberflächlich behandelt. Die Krankheit wuchert jedoch weiter.

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