Während sich bei der letzten Russland-Konferenz der deutsch-russischen Auslandshandelskammer die Wirtschaftsvertreter gemeinsam mit dem russischen Botschafter regelrecht die Seele aus dem Leib schreien mussten gegen die antirussischen EU-Sanktionen, strahlten sie alle diesmal fast demonstrativ Ruhe aus. Dies war im Wesentlichen der erfolgreich auf die Probe gestellten Krisenresistenz der russischen Wirtschaft zu verdanken:
Trotz einer ungemein schwierigen politischen Lage haben sich die deutschen Unternehmen in Russland aus der Krise gekämpft und profitieren nun von der Erholung der russischen Wirtschaft", sagte der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Wolfgang Büchele auf der am Donnerstag abgehaltenen Konferenz "Neues Wachstum, neue Chancen? - Russland in der globalen Wertschöpfung" gegenüber der Presse.
Umfrage: 78 Prozent der deutschen Unternehmen rechnen mit positiver Wirtschaftsentwicklung in Russland
Das bringe den nötigen Optimismus ins Russland-Geschäft zurück und ermuntere zu Investitionen, die auf eine Lokalisierung der deutschen Produktion in Russland und große Leuchtturm-Projekte wie den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsnetze der russischen Eisenbahn abzielen. Da 78 Prozent der deutschen Unternehmen mit einer positiven Entwicklung der russischen Wirtschaft rechnen, sei ein Drittel von ihnen bereit, in die russische Wirtschaft zu investieren, so der Vorstandschef der AHK Russland, Matthias Schepp. Diese Prognose stützt sich auf eine Umfrage, die die AHK unter den 141 in Russland tätigen Großunternehmen durchgeführt hat.
Dabei bleiben die Sanktionen nach wie vor ein empfindliches Hindernis in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Lediglich 23 Prozent der Unternehmen sehen sich laut der AHK-Umfrage in ihrem Russland-Geschäft davon nicht betroffen. 94 Prozent der befragten Unternehmen wünschen sich einen Abbau der Sanktionen. Genau in diesem Punkt schlug die Konferenz neue Töne an. Mittlerweile gibt es konkrete Vorstellungen, wie man sie überwinden kann:
Sowohl Russland als auch der Westen sind gefordert, sich endlich auf gesichtswahrende Lösungen für beide Seiten zu einigen", sagte Wolfgang Büchele in Bezug auf den Minsk-Prozess, dessen Umsetzung zum schrittweisen Abbau der Sanktionen führen solle.
Neue US-Sanktionen haben deutsche Wirtschaft hellhörig gemacht
Dabei erwiesen sich gerade die neuen, im August 2017 beschlossenen antirussischen US-Sanktionen mit exterritorialer Anwendungsoption als ein Konsolidierungsfaktor, der zu einer Neubewertung des Beziehungsdreiecks zwischen den USA, Deutschland und Russland in deutschen wirtschaftlichen und politischen Kreisen führte.
Das Ausweiten von US-Sanktionen auf deutsche und europäische Unternehmen lehnen wir strikt ab. [...] Der Schaden ist bereits groß und der Weg zu einer Lösung schon weit genug. Niemand sollte jetzt neues Öl ins Feuer gießen", sagte Büchele.
Er räumte ein, dass die deutschen Unternehmen dieser Sanktionen wegen verunsichert seien, merkte aber an, dass sie bislang nicht angewendet worden wären. Im Hinblick auf die bestehende EU-Sanktionen sagte der AHK-Vorstandschef Schepp:
Deutschland hat nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Interesse, dass die Sanktionen nicht über viele Jahre erhalten bleiben. Sie stärken in Russland diejenigen, die auf eine noch härtere Konfrontation mit dem Westen setzen.
Die gleichen Worte wählte er bereits während der gleichen Veranstaltung im Jahr 2017. Trotzdem hat sich das gefühlte Klima der Konferenz wesentlich verbessert. So war - im Unterschied zum Vorjahr, wo hochrangige deutsche Politiker durch Abwesenheit glänzten – diesmal auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries auf dem Forum anwesend. Sie begrüßte die positive Wende in den deutsch-russischen Beziehungen und sprach ebenfalls von einem möglichen Abbau der Sanktionen. Dies sei nur angesichts der Fortschritte möglich, die "verschiedene Akteure" dazu beitragen würden und spielte dabei auf die vom deutschen Außenminister Sigmar Gabriel viel gelobte Idee eines UN-Blauhelmeinsatzes im umkämpften Gebiet in der Ostukraine an.
EAWU gewinnt auch für deutsche Investoren immer mehr an Bedeutung
Während in den letzten Jahren der politischen Krise zwischen dem Westen und Russland Politik und Wirtschaft geradezu aneinander vorbeigeredet hatten, ließ die diesjährigen Konferenz deutliche Anzeichen erkennen, dass sie sich auf eine gemeinsame Sprache geeinigt haben. Diese Tendenz könnte sich auch auf eine mögliche Annäherung an die Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) vonseiten der EU auswirken.
So hat die EAWU für etwas mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen eine große oder eine wachsende Bedeutung. In der Vorjahresumfrage hatten noch fast drei Viertel der Befragten angegeben, dass die EAWU keine Relevanz für ihr Geschäft habe. Vor diesem Hintergrund forderten Büchele und Schepp die EU-Kommission auf, das Gespräch mit der Eurasischen Wirtschaftskommission über eine engere Zusammenarbeit beider Organisationen aufzunehmen.
Dennoch, bei allen Optimismus: Das Jahr 2018 ist noch weit davon entfernt, die höchsten Werte im bilateralen Handel - bis zu 80 Milliarden Handelsvolumen und die Aufbruchsstimmung der Jahre 2012 und 2013 zu erreichen. Auch nach dem Wachstum des letzten Jahres um 20 Prozent beträgt das jetzige Handelsvolumen nur die Hälfte des Jahres 2012:
Der Weg zurück zu den Rekordzahlen aus dem Jahr 2012 mit rund 80 Milliarden Euro Handelsumsatz ist noch sehr weit, aber die Richtung stimmt wieder", sagte der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Büchele.
Zivilgesellschaft und Wirtschaft agieren, Medien agitieren
Martin Hoffmann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums, bestätigte in seinem Kommentar für RT Deutsch, dass derzeit die konstruktiven Töne in der Gesamtbreite der deutsch-russischen Beziehungen überwiegen. Dies sei sowohl dem gesellschaftlichen und ökonomischen Austausch als auch der Person des Außenministers zu verdanken.
Zivilgesellschaft und Wirtschaft seien dauerhafte Produzenten von Erfolgserlebnissen", so Hoffmann.
Aber die Vertrauensbasis habe inzwischen so gelitten, dass es jederzeit zu Rückschlägen kommen könne. Die täglichen antirussischen Pressemeldungen seien immer wieder mit vielen Reaktionen verbunden, die das Erreichte infrage stellten:
Wir dürfen uns freuen, dass es besser wird, aber wir dürfen das Rückschlagspotenzial nicht zu gering einschätzen", fasste Hoffmann zusammen.