Übernahme der Commerzbank? Das wäre Bankenunion auf Italienisch

Der Bund trennt sich von Aktien der Commerzbank. Als die italienische Unicredit zugriff, schlugen die Wellen der Empörung hoch. Dabei geht es aber nicht um das Geld der Sparer. Entsteht auf diesem Weg jene Bankenunion, die für die Entwicklung Europas als so wichtig gilt?

Von Rüdiger Rauls

Befindlichkeiten

Schon länger hatte der Bund die Absicht, sich von Aktien der Commerzbank zu trennen, die er im Zuge der Finanzkrise von 2008 erworben hatte. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hatten viele Bankhäuser weltweit mit Hunderten von Milliarden Steuergeldern gestützt werden müssen, nicht nur um sie selbst zu retten, sondern das kapitalistische Finanzsystem insgesamt. Im Rahmen dieser Bankenrettung war der deutsche Staat zum größten Einzelaktionär der Commerzbank geworden.

Auf der Suche nach neuen Finanzmitteln, mit denen die deutschen Haushaltslöcher gestopft werden können, sollte auch ein Anteil an der Commerzbank an die Börse gebracht werden. Zwar war man immer noch erheblich in den Miesen bei diesem Investment, denn der deutsche Staat hatte seinerzeit gut 26 Euro im Durchschnitt je Aktie bezahlt. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Mit dem Verkauf eines Pakets in Höhe von 4,5 Prozent der Aktien war die US-Bank J.P. Morgan beauftragt worden.

Weder der Verkauf der Anteile noch die Abwicklung über eine US-Bank waren bis dahin ein Thema in der deutschen Öffentlichkeit gewesen. Die Diskussionen begannen eigentlich erst mit der Bekanntgabe des Käufers, der italienischen Unicredit. Aus Teilen der Medien, der Politik und sonstigen Meinungsmachern war Unmut in der Gesellschaft über den Verkauf an die Italiener geschürt worden. Teile der Deutschen fühlten sich wieder einmal betrogen, zu kurz gekommen, ausgenutzt, hinters Licht geführt.

Die Vielfalt deutscher Gefühle von Benachteiligung und ungerechter Behandlung wurde bedient. Und nun übernehmen auch noch Italiener unsere Banken, die nach deutscher Befindlichkeit doch gar nicht mit Geld umgehen können. Selbst der Kanzler stieß in dieses Horn, als er von einer feindlichen Übernahme sprach. Man sah es so: Die Unicredit habe sich still und leise einen dicken Anteil an der Commerzbank gesichert – neun Prozent, und das mit der Hilfe von J.P. Morgan.

Wenn jemandem aus dieser Transaktion ein Vorwurf zu machen wäre, dann der amerikanischen Bank, die die Vorgaben der deutschen Regierung nicht eingehalten hatte – vermutlich zum eigenen Vorteil. Aber angesichts des höher als erwarteten Erlöses aus dem Aktienpaket ist die öffentliche Empörung nicht nachvollziehbar. Denn nach dem vom Bund vorgegebenen Zielkurs von 12,48 Euro je Commerzbank-Aktie hätte sich eine Verkaufssumme für das gesamte Paket in Höhe von 663 Millionen Euro ergeben. Am Ende aber wurden es sogar 702 Millionen. Also eigentlich kein Grund, unzufrieden zu sein.

Außerdem ist rein rechtlich gesehen der Unicredit kein Fehlverhalten vorzuwerfen, der US-Bank dagegen schon. Diese hätte nach dem Willen der Bundesregierung und auch nach den Vorgaben der EU-Kommission der Unicredit das Aktienpaket gar nicht in dieser Form anbieten dürfen. Die Bundesregierung wollte keinen strategischen Anleger, also keine andere Bank, die in Konkurrenz zur Commerzbank steht, und die EU verlangt, dass solche Transaktionen "diskriminierungsfrei" abgewickelt werden, dass also kein Anbieter bevorzugt wird. Beides wurde von J.P. Morgan nicht eingehalten.

Aber anscheinend will sich niemand mit der US-Bank anlegen. Stattdessen bedienen Medien und Teile der Politik mit reißerischem Getöse wieder die deutsche Befindlichkeit des ständig Benachteiligten und Ausgenutzten. Ganz Deutschland ist vereint in seiner Opferrolle, was dann von den wirklich Verantwortlichen ablenkt. Die Initiatoren solcher Kampagnen wissen sicherlich aus jahrelanger Erfahrung, welche Tasten sie anschlagen müssen, um die richtige Melodie erklingen zu lassen.

Zweierlei Europa

Dabei wäre die Beteiligung eines europäischen Investors ganz im Sinne der angestrebten europäischen Bankenunion, die die Politik immer wieder fordert, die aber immer wieder auch an den nationalen Eigeninteressen scheitert. Zudem hatte der deutsche Staat auch keinen Cent dazu zahlen müssen im Gegensatz zu den Milliardenbeträgen, die er an Subventionen für amerikanische Investoren der Chipindustrie hatte hinlegen müssen.

Diese Forderung nach der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes ist nicht nur politischer Appell, dem sich alle Staaten und Regierungen der EU verpflichtet fühlen. Sie ist auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit, will Europa weiterhin zwischen den Wirtschaftsgiganten USA und China eine Rolle spielen. Die europäische Kleinstaaterei national begrenzter Unternehmen bietet da immer weniger Aussicht.

Aber wie bei den Menschenrechten ‒ und den Verstößen gegen dieselben ‒ scheint es auch in der wirtschaftlichen Integration Europas zwei verschiedene Maßeinheiten zu geben. Nördlich der Alpen gelten wohl andere Gesetze als im Süden. So war bei den Krisen der vergangenen Jahre innerhalb der EU sehr oft eine überhebliche Haltung der Europäer nördlich der Alpen gegenüber den Südeuropäern festzustellen. Die koloniale Vergangenheit und jahrzehntelange wirtschaftliche Überlegenheit der Staaten Mitteleuropas und ihrer Nachfahren in Übersee haben ihren Einfluss auf Weltbild und Selbstbild nicht verloren, nur abgewandelt.

So wies die italienische Regierung nicht zu Unrecht darauf hin, dass "Bundeskanzler Olaf Scholz feindliche Avancen kritisiert, während Rom die Lufthansa zur Übernahme von ITA Airways geradezu einlädt". Im Unterbewusstsein so mancher Europäer und Meinungsmacher besonders aus dem Norden scheint noch immer ein koloniales Verhältnis gegenüber anderen, weniger entwickelten Staaten Europas zu bestehen. Insofern dürfte es für manchen Deutschen wie eine zweite Zeitenwende aussehen, dass nun auf einmal italienische Banken nach deutschen Geldhäusern greifen. In deren Selbstverständnis müsste es doch eigentlich genau umgekehrt sein.

Damit wird deutscher Überheblichkeit erneut ein herber Schlag versetzt. Die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende nimmt ganz andere Züge an als erwartet. Die Sanktionen gegen Russland zwingen das Land nicht in die Knie. Im Gegenteil: Russlands Wirtschaft wächst, was bedeutet, dass es auch ohne Deutschland geht. Auch militärisch werden viele Prophezeiungen nicht erfüllt. Bitter auch die Erkenntnis, dass ohne billiges russisches Gas und Öl die deutsche Wirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig ist. Wirtschaft und Wohlstand gehen ohne Russlands Rohstoffe den Bach runter.

Chinas Autoindustrie hat die deutsche überflügelt, was die Absatzzahlen angeht, aber auch den technischen Vorsprung. Der politische Westen weiß sich nur noch mit Zöllen zu helfen. Und nun greifen Italiener sogar noch nach deutschen Banken. "Italienische Banken wurden jahrelang in Deutschland mehr belächelt als bewundert." Das scheint für viele der erschütternde Beweis zu sein, dass es mit Deutschland bergab geht. Denn dass "der Südländer" nicht mit Geld umgehen kann, hatte für viele die Geltungskraft eines Naturgesetzes.

Zahlen lügen nicht

Im Gegensatz zu Deutschland hat in Italien eine Konsolidierung des Bankensektors stattgefunden. Durch Fusionen und Privatisierungen waren von den etwa 1.000 Geldhäusern der 1990er Jahre nicht einmal die Hälfte übrig geblieben. Wenn auch solche Entwicklungen in den Medien immer wieder gefeiert werden, wird gleichzeitig dabei außer Acht gelassen, dass die Gesundung eines kapitalistischen Betriebes oder Industriezweiges in der Regel zu Lasten der Beschäftigten geht, oftmals auch der Steuerzahler.

Diese Befürchtungen teilen auch die Beschäftigten bei der sich andeutenden Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit. Im Interesse des Kapitals aber würde die immer wieder geforderte europäische Bankenunion damit einen guten Schritt vorankommen. Inzwischen hat sich auch die medial entfachte Aufregung gelegt. Nun kann man durchsickern lassen, die deutsche Regierung habe "keine Pläne, eine mögliche Übernahme der Commerzbank durch die italienische Unicredit abzuwehren".

Denn sicherlich weiß man auch in Berlin, dass weder im Kanzleramt noch in deutschen Redaktionsstuben, sondern im Rat der EZB und bei Aktionärsversammlungen, über Bankenzusammenschlüsse entschieden wird, und die Stärkung des europäischen Bankenwesens ist "ein Ziel, dem sich auch die EZB verschrieben hat". Dort ist man überzeugt, "dass grenzüberschreitende Bankenfusionen innerhalb der EU den gemeinsamen Markt stärkten". Was Regierungsvertreter in ihren jahrelangen Verhandlungen bisher nicht erreicht haben, scheint den Italienern zu gelingen.

Durch die Vereinigung von Unicredit und Commerzbank würde ein Kreditinstitut mit einer Bilanzsumme von 1,3 Billionen Euro entstehen. Das wäre "doppelt so viel wie Lehman Brothers 2008 und deutlich mehr als doppelt so viel wie Credit Suisse 2023". Das macht aber auch die Gefahren deutlich, die aus einer solchen Zusammenballung von Kapital und Kreditpotenzial entstehen. Wer springt ein im Falle einer Schieflage?

Dass ein solches Schicksal große Bankhäuser ereilen könnte, galt vor 2008 als ausgeschlossen. Heute, nach den Erfahrungen der Finanzkrise von 2008 und der Pleite von Credit Suisse, weiß man, dass davor kein Geldhaus sicher ist. Der steigende Kreditbedarf der kapitalistischen Wirtschaft und der Ausgabenzuwachs der Staaten brauchen große Banken mit umfangreichen Bilanzen. Aber wer sichert diese ab, wenn Staaten oder Unternehmen als deren Schuldner zahlungsunfähig werden?

Selbst die finanzstarke Schweiz konnte den Zusammenbruch der Credit Suisse alleine nicht mehr schultern. Sie brauchte dazu die Unterstützung der privatwirtschaftlichen UBS (United Bank of Switzerland). Aber diese verlangte staatliche Garantien für den Fall, dass sie selbst in Schwierigkeiten gerät. Wer aber in Europa fängt eine um die Commerzbank vergrößerte Unicredit mit mehr als doppelter Bilanzsumme auf?

Die EZB verfügt nicht über den nötigen Rechtsrahmen und schon gar nicht über die entsprechende Finanzkraft, um die in einem solchen Fall notwendige Liquidität zur Verfügung zu stellen. "Die europäischen Rechtsnormen zur Sanierung und Abwicklung von Banken sagen nichts zur Liquiditätsversorgung." Und wer wäre dann zuständig für die Stützung einer auf zwei europäische Staaten verteilten, wenn auch privaten Bank, der deutsche Staat oder der italienische, und wer müsste die Kosten tragen, der deutsche oder der italienische Steuerzahler?

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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.