Wozu ein Angriff auf die Gasinfrastruktur im Gebiet Kursk führen würde

Der Angriff der Ukraine auf das Gebiet Kursk, in dem sich der Einspeisepunkt für russisches Gas in die ukrainische Transitpipeline befindet, könnte zu einer vollständigen Unterbrechung der Lieferungen führen. Welche europäischen Länder wären in diesem Fall die Leidtragenden? Und welche Konsequenzen wird Kiew selbst zu tragen haben?

Von Olga Samofalowa

Mit dem Angriff der Ukraine auf das Gebiet Kursk, in dem sich die Gasmessstation Sudscha befindet, besteht die Gefahr, dass der Gastransit über die Ukraine nach Europa vollständig unterbrochen wird. Dies ist die einzige Station, über die derzeit Transitgas durch ukrainisches Gebiet transportiert wird. Es gibt noch einen zweiten Umschlagpunkt, Sochranowka, aber der Transit über diese Station wurde von der Ukraine bereits im Mai 2022 eingestellt.

Die Hälfte der russischen Gasexporte über Pipelines nach Europa läuft durch die Ukraine. Die andere Hälfte wird über die TurkStream-Pipeline durch das Schwarze Meer gepumpt. Im Juli 2024 exportierte Gazprom 103 Millionen Kubikmeter pro Tag in die EU, davon 43 Millionen Kubikmeter über die Sudscha-Gaspipeline.

Im vergangenen Jahr wurden nur 14,65 Milliarden Kubikmeter Gas über Sudscha nach Europa geliefert. In diesem Jahr stiegen die Exporte in der ersten Jahreshälfte um 10,5 Prozent auf acht Milliarden Kubikmeter, was bedeutet, dass die Lieferungen im Jahresvergleich 16 bis 18 Milliarden Kubikmeter hätten erreichen können, wenn alles so geblieben wäre, wie es war. Die Gesamtmenge, einschließlich der Förderung durch TurkStream-Leitungen, könnte von 27 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2023 auf 30 bis 33 Milliarden Kubikmeter in diesem Jahr gestiegen sein. Allerdings ist es derzeit schwierig, Prognosen zu erstellen.

Alexei Gromow, Direktor der Energieabteilung am Institut für Energie und Finanzen, meint:

"Jedes Jahr bin ich mehr und mehr davon überzeugt, dass alles passieren kann, jedes unglaubliche Szenario. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gastransit durch die Ukraine infolge einer militärischen Aktion oder aus anderen Gründen unterbrochen wird.

Eines der Motive für den Einfall der Ukraine in das Gebiet Kursk in der Nähe von Sudscha könnte darin bestehen, die jüngsten wirtschaftlichen Beziehungen Russlands zu europäischen Ländern, die im russisch-ukrainischen Konflikt als Friedensstifter auftreten, zu unterbrechen, um so deren Position zu schwächen."

Wer könnte in diesem Fall die Leidtragenden sein? Die wichtigsten Abnehmer von Gas, das durch die Ukraine geleitet wird, sind die EU-Staaten Ungarn, die Slowakei und Österreich sowie die Republik Moldau.

Igor Juschkow, Experte der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und des Nationalen Energiesicherheitsfonds, erklärt: "Früher erhielt Ungarn etwa eine Milliarde Kubikmeter durch den ukrainischen Transit. Der Ausfall der Lieferungen durch die Ukraine ist für Ungarn jedoch kein so großes Problem wie für die Slowakei und Österreich. Denn Ungarn hat die Möglichkeit, diese Milliarde Kubikmeter über den Transit durch die TurkStream-Leitung zu beziehen, während die Slowakei und Österreich diese Möglichkeit nicht haben. TurkStream ist hauptsächlich für die Balkanländer bestimmt und endet eigentlich in Ungarn. Es gab sogar schon Testlieferungen von Gas nach Ungarn über die TurkStream-Pipeline. Für die Ungarn ist es jedoch bequemer, Gas über die Ukraine in eine Reihe ihrer Regionen zu pumpen, da es direkt zu den Verbrauchern gelangt. Wenn aber die ukrainische Route geschlossen wird, wird Ungarn natürlich Gas über TurkStream bestellen. Gazprom verfügt dort über Mengen, die es an türkische Händler verkauft."

Die Slowakei und Österreich werden sich jedoch nach Gas von alternativen Produzenten umsehen müssen, und das wird Flüssiggas (LNG) sein. Der Experte des Nationalen Energiesicherheitsfonds fügt hinzu: "Die Slowakei und Österreich werden mit den europäischen Küstenländern über die Abnahme ihres LNG verhandeln und es auf dem Landweg weiterpumpen müssen. Das verursacht mehr Kosten, was bedeutet, dass die Preise höher sein werden."

Auch die Republik Moldau beobachtet im Moment die Situation mit Sorge. Das Land hat angesichts der Kämpfe in der Nähe der Sudscha-Gaspipeline bereits ein Frühwarnsystem für den Energiesektor eingeführt.

Generell hat die Republik Moldau auch die technische Möglichkeit, Gas über die TurkStream-Verbindung zu beziehen. Juschkow hebt hervor:

"Hier stellt sich jedoch die politische Frage, ob Moldawien in dieser Situation nicht riskieren wird, Transnistrien energiepolitisch zu erdrosseln. Denn heute kommt das Gas, das über die ukrainische Route fließt, erst nach Transnistrien und dann nach Moldawien. Und es ist Transnistrien, das entscheidet, ob es das Gas weiterpumpt oder nicht. Und wenn das Gas von der TurkStream-Leitung kommen sollte, würde es erst nach Moldawien und dann nach Transnistrien geleitet. Andererseits ist es für die Republik Moldau wirtschaftlich ungünstig, Transnistrien zu strangulieren: Wenn sie kein Gas aus dem Süden durch die alte Gaspipeline auf das Gebiet Transnistriens leitet, wird das transnistrische staatliche Fernkraftwerk aufhören, zu funktionieren. Und wenn es nicht funktioniert, bedeutet das, dass die Republik Moldau selbst keinen Strom erhält, und das wäre ein großes Problem."

Auch die Ukraine selbst wird darunter leiden. Einerseits benötigt das Land schon seit Langem kein russisches Gas mehr. Gromow meint: "Das Land ist während des Konflikts so stark geschrumpft, dass die von der Ukraine produzierte Gasmenge – etwa 20 Milliarden Kubikmeter – bereits ausreicht."

Andererseits wird die Ukraine Transiteinnahmen verlieren. Darüber hinaus wird sie den Betrieb ihres gesamten Gastransportsystems neu organisieren müssen. Derzeit fließt das Gas von Osten nach Westen, aber ohne den Transit muss das Gas in die entgegengesetzte Richtung gepumpt werden – von Westen nach Osten. Juschkow erklärt dazu:

"Derzeit entnimmt die Ukraine russisches Gas für den Inlandsverbrauch durch die Pipeline. An der Grenze zu Europa gibt sie dann die gleichen Mengen ihres Gases ab, die sie im Westen des Landes produziert. Das war schon immer der Fall. Und wenn es keinen Transit gibt, muss die Ukraine die Pipeline physisch umdrehen und Gas aus dem Westen des Landes, wo sich die wichtigsten Gasfelder und unterirdischen Gasspeicher befinden, in den Osten des Landes pumpen. Dies ist sicherlich ein kostspieligerer Weg, die Ukraine mit Gas zu versorgen. Es ist nicht gewiss, dass die Umkehrung beim ersten Mal perfekt funktioniert, es kann zu Ausfällen kommen, da die Gaspipeline noch nie in diesem Modus funktioniert hat."

Und natürlich werden die ukrainischen Behörden all diese zusätzlichen Kosten und den Verlust von Einnahmen aus dem Gastransit auf die Industrie und die Haushalte abwälzen.

Im Allgemeinen würde der gesamte europäische Gasmarkt unter der Unterbrechung des Transits durch die Ukraine leiden. Die Gaspreise in Europa sind allein durch die Nachricht über das Risiko einer Unterbrechung des ukrainischen Transits gestiegen, und wenn dies tatsächlich eintreten sollte, würden die Preise noch stärker steigen – auf bis zu 500 bis 700 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter, so Juschkow weiter.

"Die Preise werden steigen, aber es wird sicher nicht so sein wie 2021, als die Gaspreise für Europa nach den Unterbrechungen der Nord-Stream-Lieferungen bei über 2.000 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter lagen", meint Gromow. Ganz einfach, weil das Volumen der Lieferungen jetzt um ein Vielfaches geringer ist und die Unterbrechung nur drei europäische Länder und nicht halb Europa betreffen würde. Außerdem hat sich die europäische Wirtschaft nach dem Schock in den Jahren 2022 und 2023 wieder erholt, wenn auch mit großen wirtschaftlichen Folgen für sie selbst. Der Gasverbrauch in Europa ist auf einen Tiefststand gesunken.

"Vor einem Monat hat die Ukraine einseitig den Transit russischen Öls in die Slowakei und nach Ungarn unterbrochen, und die Europäische Union hat in keiner Weise darauf reagiert, weil sie der Meinung war, dass dies das Problem der Slowakei und Ungarns sei, obwohl dieser Transit nicht unter die Sanktionen der Europäischen Union fiel. Mit dem Erdgas verhält es sich genauso. Wenn Europa zu Beginn des Konflikts mit der Ukraine noch strategisch von Erdgas abhängig war und sich Sorgen über die Aussichten russischer Gaslieferungen machte, so hat es nach der Unterbrechung der Nord-Stream-Pipeline und der mehrfachen Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland aufgehört, sich Sorgen zu machen", so Gromow. Daher sei die endgültige Beendigung des Gastransits keine Angelegenheit, die die Preise in Europa ernsthaft erschüttern könnte. Der Experte des Instituts für Energie und Finanzen schließt:

"Ich denke, dass die Gaspreise in die Höhe schnellen könnten, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Der erste ist die Einstellung der russischen Gaslieferungen durch die Ukraine aus irgendeinem Grund. Der zweite ist die abrupte Beendigung der Flüssigerdgaslieferungen in die europäische Region. Ein Teil des US-Gases wurde inzwischen nach Asien umgeleitet, und das ist der Hauptgrund für den Anstieg der Gaspreise in Europa. Drittens: Wenn das alles mit der Heizperiode zusammenfällt, besteht auch ein Wetterfaktor."

In der Zwischenzeit erhält die EU weiterhin Gas über Sudscha und pumpt eine Rekordmenge davon in ihre unterirdischen Speicheranlagen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 10. August 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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