Von Jelena Saweljewa
Abrutsch in die Rezession
Die "Lokomotive" der EU – Deutschland und Frankreich – drifteten in eine technische Rezession bereits Ende 2023 ab und zogen andere nach sich. Antirussische Sanktionen, rapider Anstieg der Preise für Energieträger, Rückgang der Industrieproduktion, hohe Inflation, schwacher Konsum, unklare Geld- und Kreditpolitik der Europäischen Zentralbank führten dazu, dass die Wirtschaft der Eurozone zwei Quartale nacheinander schrumpfte.
Mit einer vorübergehenden Rezession wurden im vergangenen Jahr auch Estland, Schweden, Portugal, Lettland, Irland, Tschechien und Österreich konfrontiert. Im Jahr 2023 nahm das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone nur um 0,1 Prozent zu. Nach Angaben der UNO beträgt dieser Wert in den USA 2,5 Prozent, in China 5,2 Prozent, in Russland 2,7 Prozent.
Im ersten Quartal 2024 verzeichneten die 20 Mitglieder der Währungsunion einen kleinen Zuwachs von 0,3 Prozent. Der Rückgang der Energieträgerpreise wirkte sich aus, die Inflation beruhigte sich, in der Perspektive erschien eine Senkung von Zinssätzen, der Konsum nahm zu. Dennoch ist die Prognose verhalten: eine Stagnation mindestens bis Jahresende.
Zum eigenen Nachteil
Trotz aller Schwierigkeiten finanziert die EU die Ukraine weiter.
Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft bewilligte Brüssel zwischen Februar 2022 und Oktober 2023 für Kiew etwa 77 Milliarden Euro. Washington bewilligte dagegen 25 Milliarden.
Im Februar vereinbarte die EU den langfristigen Haushaltsplan bis zum Jahr 2027. Darin sind für die Ukraine weitere 50 Milliarden Euro vorgesehen. Dies ist die größte Ausgabenposition. Zusätzliche Mittel, wie etwa für die Unterstützung der Bauern oder der Landwirtschaftspolitik überhaupt, sind hingegen nicht vorgesehen.
In einem solchen Eifer bei der Finanzierung Kiews sehen Experten einen der Hauptgründe für die Stagnation der europäischen Wirtschaft und einen möglichen Auslöser diverser negativer Entwicklungen.
Der bekannte US-amerikanische Investor Jim Rogers weist auf langfristige Systemrisiken hin: Zunehmende Wirtschaftsprobleme könnten bei einzelnen Staaten den Wunsch auslösen, aus der EU auszutreten. Dadurch drohen ein Zerfall des Blocks und ein Zusammenbruch der gemeinsamen europäischen Währung.
Rogers zufolge werden Politiker in zwei bis drei Jahren vorschlagen, auf den Euro zu verzichten. "Sehr wenige ähnliche Währungsvereinigungen existierten lange. Der Großteil von ihnen brach zusammen. Ich fürchte, dass den Euro das gleiche Schicksal erwartet", sagt er.
Vertrauen zum Euro
Einerseits ist der Euro tatsächlich auf dem Rückzug: Sein Anteil am internationalen Zahlungsverkehr nahm fast um das Doppelte ab. Nach Angaben von SWIFT betrug er im Dezember 2023 nur noch 22,41 Prozent, während es im Januar 2023 und Dezember 2022 noch 37,88 beziehungsweise 36,34 Prozent waren.
Das ist eine offensichtliche Folge der Stärkung des Yuan als Reservewährung. Gerade der Yuan verzeichnete einen beinahe zweifachen Anstieg von 1,91 auf 4,14 Prozent und nahm den vierten Platz auf dem globalen Markt ein.
Hinzu kommen die Sanktionen – Russland drängt unfreundliche Währungen aus seinen Exportzahlungen heraus. Deren Anteil ging um 19 Prozent während des Jahres zurück und betrug im März 2024 insgesamt 28,5 Prozent. Der Anteil freundlicher Währungen betrug 13 Prozent, der vom Rubel 58,5 Prozent und damit 10,8 Prozentpunkte mehr als 2023 und 9,6 Prozentpunkte mehr als im Februar 2024.
Bedeutende Rolle
Andererseits ist der Euro relativ stabil. In dieser Währung wird weiterhin gehandelt, trotz aller Erschütterungen im Zusammenhang mit dem Rückzug von russischen Öldollars aus der Bewirtschaftung von westlichen Banksystemen, betonen Wirtschaftswissenschaftler.
"Die regionale Rolle des Euro bleibt auch trotz des vom Defizit der Liquidität verursachten Anstiegs der weltweiten Inflation bedeutend. Für seinen Zusammenbruch werden gigantische Änderungen wie eine Hyperinflation, eine systemische Bankenkrise oder ein Zusammenbruch der Staatsfinanzen in den größten europäischen Wirtschaften benötigt", bemerkt Darja Dinez, Vorsitzende des Lehrstuhls "Finanzen und Kredit" der Wirtschaftsfakultät des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen in Moskau.
Der Leiter des Laboratoriums "Studien des Geld- und Kreditsystems und der Analyse der Finanzmärkte" der russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität, Denis Domaschtschenko, fügt hinzu: Risiken für den Euro können im Fall eines Scheiterns der Steuer- und Geldpolitik – sowohl auf einem systemischen Niveau als auch in einzelnen Ländern – zutage treten. Doch die Struktur der Staatsfinanzen der meisten EU-Staaten ist stabil, und die Inflation nähert sich dem von der Europäischen Zentralbank verkündeten Zielwert.
"Geopolitischer Teppich"
Somit hält der Großteil der russischen Wirtschaftsexperten das Szenario eines Zerfalls der EU für wenig wahrscheinlich. Die geopolitische Instabilität beeinträchtigte vor allem die Vorreiter Deutschland, die Niederlande und Frankreich. Sie haben nicht die Absicht, die Union zu verlassen. Für problemreiche Staaten an der Peripherie wird es indessen wegen diverser wirtschaftlicher Schwierigkeiten immer günstiger, sich in der EU zu befinden.
In einer langfristigen Perspektive könnte laut Dinez ein Zusammenbruch des Euro etwa durch beträchtliche finanzielle Widersprüche zwischen Deutschland und Frankreich verursacht werden, falls es ihnen nicht gelingen würde, sich über die Regeln einer gemeinsamen Weltordnung zu einigen.
Darüber hinaus könnte die Umverteilung des "geopolitischen Teppichs" zwischen Moskau und Washington die Schwächen des europäischen und des weltweiten Finanzsystems entblößen und eine Revision der Rollen von unterschiedlichen Akteuren erzwingen, fügt die Wirtschaftsexpertin hinzu.
Der gemeinsamen europäischen Währung fällt es wie der Hauptreservewährung, dem US-Dollar, immer schwieriger, die dominanten Positionen zu behalten. Das internationale Währungssystem befindet sich im Wandel; es läuft die Suche nach neuen universellen Zahlungseinheiten. Die Sanktionen der USA und Europas gegen Russland wurden zu einem Katalysator für diesen Prozess.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 11. Juli.
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