Von Elem Chintsky
Macrons Frankreich leidet unter einem stagnierenden Wirtschaftswachstum. Das ist zwar kein Geheimnis, wird aber nun noch einmal durch die aktuelle Bewertung der US-Ratingagentur S&P Global Inc. als schwer zu lösendes Problem dringlicher in den Vordergrund gerückt.
Seit dem Jahr 1975 bewertet S&P Global Inc. die französische Republik. Vor dem 31. Mai 2024 wurde die Kreditwürdigkeit Frankreichs lediglich zweimal herabgestuft – in den Jahren 2011 und 2012.
Unter anderem berichtete die französische Zeitung Le Monde darüber, dass die Republik erstmals seit dem Jahr 2013 im Rating herabgestuft worden ist. Laut S&P sei dieses Verdikt durch die laufende Verschlechterung der Haushaltslage Frankreichs forciert worden. Das Pariser Blatt macht darauf aufmerksam, wie ungelegen diese Bewertung kommt, da sich doch gerade in letzter Zeit "Macrons Regierung bemüht, das Haushaltsdefizit des Landes einzudämmen und das Wirtschaftswachstum nach Jahren der Stagnation wieder anzukurbeln".
Auf welche Bemühungen wird Macron aber letztendlich setzen?
Die Prognosen von S&P wurden von Frankreichs neuesten Zahlen sogar noch überboten. Das Haushaltsdefizit der Republik belief sich im Jahr 2023 laut der Agentur auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und fiel damit deutlich höher aus als erwartet. Die Kalkulationen für die nächsten Jahre wurden dementsprechend angepasst. Die Staatsverschuldung soll nun bis 2027 auf etwa 112 Prozent des BIP steigen – für das Jahr 2023 beträgt sie bereits rund 109 Prozent.
Auch die Tageszeitung Le Parisien sprach mit französischen Politikern, die verschiedene Gründe für die Entwicklung nannten. So erklärte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, dass die Hauptursache für die S&P-Herabstufung die Tatsache gewesen sein soll, dass "wir die französische Wirtschaft gerettet haben". Das Ziel bleibe bestehen, das Haushaltsdefizit bis zum Jahr 2027 auf unter drei Prozent des BIP zu senken, so Le Maire zuversichtlich, der damit die eigenen Versäumnisse rhetorisch umkehrt und darauf zu hoffen scheint, dass die Bevölkerung nur mit einem Ohr zuhört.
Eine solche Herabsetzung hemmt den internationalen Investitionsfluss nach Frankreich sowie die Fähigkeit des Landes, seine Schulden effektiv zu tilgen. Die hohe Schuldenquote im Verhältnis zum BIP hinderte andere Agenturen allerdings nicht daran, Frankreich gemäßigtere Bewertungen zu geben.
Es wäre zu einfach, den zu beobachtenden Leistungsabstieg der Volkswirtschaft Frankreichs als alleinigen Grund für die Kriegsrhetorik Macrons gegen Moskau – die seit einem halben Jahr ertönt – anzusehen. Aber zu behaupten, es gäbe hier keinerlei Kausalität, wäre ebenfalls falsch. Denn die kolossalen Einsätze, die die NATO-Länder seit den frühen 2010er-Jahren in der Ukraine getätigt haben, sind zu verschwenderisch gewesen, um auf die potenziellen Renditen zu verzichten. Eine Niederlage in der Ukraine wird für die eigenen Volkswirtschaften desaströse Konsequenzen haben.
Es gibt anschauliche Beispiele, wie andere Länder ihre Haushaltsdefizite "gemeistert" haben. Etwa die US-Invasion in Afghanistan 2002 und in den Irak 2003, die nach den Aussagen eines Donald Rumsfeld am 10. September 2001 entfesselt wurden.
Für Washington, D.C., galt damals wie heute die Prämisse, dass eine von ökonomischen Fehlschlüssen strangulierte Volkswirtschaft eben durch die Um- oder Hochschaltung auf eine Kriegswirtschaft jegliche Defizite kaschieren und deren eigentliche Lösungen langfristig kosmetisch vertagen kann. Denn an jenem Vortag der sogenannten Terroranschläge in New York erklärte der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor laufenden Kameras, dass dem Pentagon 2,3 Billionen US-Dollar an öffentlichen Geldern auf nachvollziehbare Weise "abhandengekommen" sind.
Selbst die Nachrichtenagentur Reuters hat dies im letzten Jahr in ihrer Faktencheck-Rubrik noch einmal aufgegriffen, den Vorfall aber zugleich durch vorsätzliche Irreführung zu relativieren versucht, indem sie bereits im Titel diese Behauptung plump verneinte. Im Text selbst gesteht sie den Fakt ein, versucht ihn aber damit zu entkräften, dass die fragliche Summe selbst ja bereits einige Male zuvor (irgendwann im Jahr 2000) auf einer viel kleineren, obskuren Medienbühne erwähnt wurde.
Daher drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass ein Hegemon durch neue Kriege, die Erschließung und den Raub neuer Rohstoffe in diesen Kriegsgebieten sowie durch die Ausweitung der Konfliktregionen die Ankurbelung der eigenen Kriegswirtschaft und das damit verbundene Netzwerk von Rüstungsinvestitionen – welches mit der immerwährenden finanziellen Wertschöpfung einhergeht – gewährleistet. So werden alte Haushaltsdefizite verdeckt und ihre Schlichtung auf spätere Generationen, gepeinigte, ressourcenreiche Feindstaaten und hörige Vasallen umgelenkt.
Frankreich ist jedoch kein Hegemon. Es verwaltet keinen US-Dollar, den es für transnationale finanzielle "Zaubertricks" nutzen kann. Es befindet sich in der Geiselhaft der EU-Bürokratie, genauso wie Deutschland (nur kann Paris im Gegensatz zu Berlin seine Industrie immerhin noch mit günstiger Atomenergie versorgen). Frankreich hält seine ehemaligen afrikanischen Kolonien in monetärer Geiselhaft, indem es mithilfe einer Variante seines Francs bis heute versucht, diese Länder auszubeuten. Dies ist wohl das ganz eigene "zweite Standbein" der französischen Finanzwirtschaft – das neokoloniale "passive Einkommen", welches unabhängig von der "demokratischen Eurozone" generiert wird.
Die USA konnten diese Strategie im letzten halben Jahrhundert jedoch unbemerkt und erfolgreich durchführen. Mit der Währungshoheit des US-Dollars stand ihnen der einzigartige, imperialistische Vorteil zur Verfügung, die eigene Staatsverschuldung in Form von Wertpapieren an fremde, wirtschaftsstarke Nationen wie Japan, China und Deutschland outzusourcen. Diese Glückssträhne endet jedoch inzwischen selbst für die lange bevorzugt platzierten USA, wie die jüngsten Aussagen eines Robin Brooks zu den derzeitigen "massiven Defiziten in Nicht-Krisenzeiten" illustrieren. Obwohl man durchaus mit diesem hochkarätigen Experten darüber streiten könnte, was genau eine Krisenzeit ausmacht, da der Ökonom tatsächlich der Ansicht ist, die USA befänden sich zurzeit nicht in einer. Brooks, der selbst kein Russlandfreund ist, war früher Chef-Ökonom beim Institute of International Finance (IIF) sowie Chef der Devisenstrategie bei Goldman Sachs, bevor er seine jetzige Position als Senior Fellow beim Brookings Institute antrat.
Jedenfalls weiß Macron, dass Frankreich nicht allein auf Kriegswirtschaft umschalten kann – das müsste die ganze EU mitmachen, in dem alle an einem "Kriegsstrang ziehen" müssten. Andernfalls bewegen sich die involvierten Volkswirtschaften zu stark auseinander, was die ideologischen und institutionellen Grundfesten der EU selbst in Frage stellen würde.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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