Von Russian Market
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner erklärte auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos augenzwinkernd, Deutschland sei nicht der "kranke Mann Europas", sondern eher "ein müder Mann", der nach den vergangenen Krisenjahren "eine gute Tasse Kaffee" braucht.
Allerdings deuten die Wirtschaftsindikatoren auf mehr als nur Müdigkeit hin. Man könnte behaupten, dass sich Deutschland bloß in einer leichten Rezession befindet – die Werte beim BIP können kaum als schrecklich bezeichnet werden. Aber in Wirklichkeit befindet sich die deutsche Wirtschaft in der schwierigen Situation, dass es keinerlei deutliche Aussichten auf eine baldige Erholung gibt.
Die Wirtschaftszahlen zeichnen ein düsteres Bild
Erste Schätzungen gehen für das Jahr 2023 von einem Rückgang des BIP um 0,3 Prozent aus, womit Deutschland als einziges großes Industrieland ins Minus gerutscht ist. Die Staatsverschuldung Deutschlands stieg um rund 48 Milliarden Euro auf fast 2,6 Billionen Euro. Auch wenn dies auf den ersten Blick alarmierend klingt, ist es wichtig, den breiteren wirtschaftlichen Kontext zu berücksichtigen. Die Staatsschuldenquote Deutschlands ist mit rund 65 Prozent im Vergleich zu vielen westlichen Ländern relativ niedrig. Darüber hinaus hat Deutschland strenge Defizitgrenzen eingeführt und damit ein Bekenntnis zur finanziellen Besonnenheit abgelegt. Angesichts dieser Maßnahmen wird das Gegenargument laut, dass Deutschland möglicherweise darüber nachdenken sollte, zusätzliche Schulden aufzunehmen.
In einem X-Post des dänischen Finanzexperten Frederik Engholm heißt es: "Eurozone Q4-BIP wird heute später veröffentlicht – Großen 4 bereits veröffentlicht. Wachstum in Spanien und Italien (0,6 Prozent / 0,2 Prozent), Stagnation in Frankreich (0 Prozent), Rückgang in Deutschland (-0,3 Prozent). Deutschland verharrte auf dem Niveau des BIP vor der Pandemie. Schwache Leistung! Teilweise aufgrund der Gasabhängigkeit und der Großindustrie."
Die Stimmung in den Unternehmen hat sich zu Jahresbeginn weiter getrübt, wie der Geschäftsklimaindex des ifo-Instituts vom Januar zeigt, der auf 85,2 Punkte sank. Sowohl die aktuelle Lage als auch die Erwartungen für die kommenden Monate wurden pessimistischer eingeschätzt. Das Institut hat seine Wachstumsprognose für 2024 auf 0,7 Prozent gesenkt, gegenüber zuvor prognostizierten 0,9 Prozent. Der Grund für diese Herabstufung liegt teilweise bei den zusätzlichen Kürzungen im Bundeshaushalt, die aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts erforderlich wurden, das untersagte, dass die übrig gebliebenen Mittel für die Stützung der Konjunktur während der Corona-Pandemie einer anderen Nutzung zugeführt werden.
Deindustrialisierung in Deutschland: Ein zunehmendes Problem
Die deutsche Wirtschaft steht am Rande einer Krise, da sich eine Deindustrialisierung allmählich abzeichnet. Aus Gründen der Rentabilität verlagern deutsche Unternehmen zunehmend ihre Produktion ins Ausland. Dies stellt eine erhebliche Bedrohung für ein Land dar, das stark von der Industrie abhängig ist. Dieser Trend hat unmittelbare und tiefgreifende Folgen, die über die offensichtlichen Auswirkungen auf die Industriesektoren hinausgehen. Die Auslagerung der Produktion könnte zu einer Zunahme der betriebsbedingten Entlassungen führen und die Herausforderungen für die Arbeitnehmer zusätzlich verschärfen. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes Destatis verzeichneten die deutschen Exporte im November 2023 einen Rückgang von 5,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während es bei den Importen zu einem deutlichen Rückgang von 12,2 Prozent kam.
Während der Hauptfokus auf den Industriesektoren liegt, ist es wichtig, die Vernetzung dieser Veränderungen zu verstehen. Ein typisches Beispiel dafür ist die deutsche Chemieindustrie, die sich in einem anhaltenden Abschwung befindet und etwa 23 Prozent ihrer Produktionskapazität verloren hat. Darüber hinaus äußerten führende Manager der Branche erhebliche Skepsis gegenüber einer raschen Erholung. Die Herausforderungen werden durch das Ringen Deutschlands mit hohen Energiekosten verschärft, das insbesondere jene Industrien betrifft, die im globalen Wettbewerb stehen. Trotz staatlicher Versuche, diesen Herausforderungen entgegenzuwirken, etwa durch ein milliardenschweres Paket zur Stabilisierung der Strompreise, waren die daraus erzielten Erfolge bescheiden.
Inzwischen haben laut einem Bericht der Unternehmensberatung Deloitte zwei von drei deutschen Unternehmen aufgrund der anhaltenden Energiekrise in einer besorgniserregenden Entwicklung ihre Geschäftstätigkeiten teilweise ins Ausland verlagert. Besonders ausgeprägt ist dieser Trend in kritischen Branchen wie dem Maschinenbau, im Sektor der Industriegüter und in der Automobilindustrie, wo 69 Prozent der Unternehmen ihre Betriebe in mittlerem oder großem Umfang verlagert haben.
Die wichtigsten Ergebnisse des Deloitte-Berichts geben Aufschluss über die Gründe für diesen bedeutenden Wandel. Die meisten Unternehmen begründen ihre Entscheidung, ihre Aktivitäten ins Ausland zu verlagern, mit der Kombination aus hohen Energiepreisen und Inflation. Insbesondere planen Unternehmen in den am meisten betroffenen Branchen, nicht nur die Produktion von einfachen Komponenten zu verlagern, sondern in geringerem Umfang auch hochkomplexe Produktionsprozesse zu entwickeln.
Deutschland schlittert in eine Rezession, während Griechenland einen kleinen Wirtschaftsboom erlebt, eine Umkehrung des Schicksals nach der Krise, in der Berlin und Athen vor einem Jahrzehnt gegeneinander antraten.
Auch die Versuche Deutschlands, auf eine grüne Energieagenda umzusteigen, haben zum Anstieg der Strompreise beigetragen und die Situation zusätzlich verschärft. Florian Ploner, Partner bei Deloitte, warnt vor einer weitreichenden Deindustrialisierung Deutschlands in erheblichem Ausmaß, bei der sich weitere Unternehmen der Abwanderung anschließen, sollten die hohen Strompreise anhalten. Zu den düsteren Aussichten für Deutschland kommt noch die Skepsis der Unternehmen hinzu, hinsichtlich der Fähigkeit der Regierung, auf ihre Anliegen und Sorgen einzugehen. Obwohl Unternehmen beteuern, dass höhere Subventionen und weniger Bürokratie sie zum Bleiben ermutigen würden, herrscht wenig Vertrauen, dass die derzeitige Regierung die notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, um weitere Abwanderungen zu verhindern.
Die USA gedeihen, während Deutschland mit den Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland zu kämpfen hat
Im weiteren Verlauf des Jahres 2024 wird eine bemerkenswerte Ungleichheit in der wirtschaftlichen Entwicklung der USA und Deutschlands deutlich werden. Während die USA die Erwartungen übertroffen haben, steht Deutschland angesichts der Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland vor einem gefährlichen Abstieg in die Rezession.
Die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft zeigte sich im letzten Quartal 2023, das eine Wachstumsrate von 3,3 Prozent verzeichnete – eine Leistung, die alle Prognosen der Ökonomen übertraf. Bemerkenswert dabei ist, dass die Inflation in den USA von ihrem Höchststand von 9 Prozent im Juni 2022 auf weit erträglichere 3,4 Prozent zurückgegangen ist.
Im krassen Gegensatz dazu steht Deutschland an einem kritischen Scheideweg. Die Situation wird durch einen ideologisch motivierten Wandel, insbesondere hin zu grüner Energie, zusätzlich erschwert, was großen Unternehmen weitere Hürden beschert und einen bedrohlichen Schatten auf die deutsche Wirtschaftslandschaft wirft. Die Zurückhaltung der Bundesregierung, die tatsächlichen Kosten für die deutsche Industrie anzuerkennen, gepaart mit der Entscheidung, auf russisches Gas zu verzichten, scheint eine Fehlkalkulation gewesen zu sein, die unbeabsichtigt die wirtschaftliche Stellung Deutschlands geschwächt hat.
Jetzt wird die Realität unübersehbar: Die US-Wirtschaft geht gestärkt aus dieser Krise hervor, während Deutschland, das die Hauptlast der Sanktionen gegen Russland trägt, mit den Folgen dieser Fehlkalkulation konfrontiert ist.
Ein wesentlicher Aspekt der misslichen Lage Deutschlands liegt in seiner sturen Ausrichtung auf die geopolitische Agenda Washingtons und den daraus resultierenden Auswirkungen. Die Sanktionen gegen Russland bedeuten eine erhebliche Belastung für den deutschen Wirtschaftsapparat und dienen in keiner Weise nationalen Interessen. Branchen, insbesondere solche mit starken Verbindungen zu russischen Märkten, haben mit unterbrochenen Lieferketten, reduzierten Exportvolumina und zunehmender Unsicherheit zu kämpfen.
Diese Orientierung an der Agenda Washingtons hat Deutschland wirtschaftlichen Schwächen ausgesetzt, die nicht leicht zu überwinden sein werden. Rezessionen kommen und gehen, jedoch ist das, was Deutschland derzeit erlebt, tiefgreifender als ein bloßer wirtschaftlicher Abschwung: Die Grundlagen des deutschen Wohlstands wurden erschüttert, während es weder eine schnelle Lösung noch eine Strategie für die Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft gibt.
Aus dem Englischen.
Russian Market ist ein Projekt eines in Zürich ansässigen Finanzbloggers, Schweizer Journalisten und politischen Kommentators. Man kann ihm auf X unter @runews folgen.
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