Schon im April war die Raststätte Gräfenhausen der Ort, an dem sich streikende LKW-Fahrer einer polnischen Spedition sammelten, um gemeinsam für die Zahlung ihrer ausstehenden Löhne zu kämpfen. Damals schien der Arbeitskampf erfolgreich und das Problem gelöst, obwohl die polnische Spedition sogar eine polnische Detektei im Panzerfahrzeug vorbeischickte.
Aber seit über einer Woche sammeln sich erneut Fahrzeuge in Gräfenhausen, und diesmal sind es bereits über 130, so viele, dass die später Eingetroffenen bereits auf eine weitere Raststätte ausweichen mussten. Eine Raststätte ist deshalb das Ziel, weil die Fahrer bei ihrem tagelangen Aufenthalt dort Zugang zu Toiletten und Duschräumen brauchen.
Im April, beim ersten Streik, gab es viel Solidarität aus der unmittelbaren Umgebung. Die Fahrer, aus Kasachstan, Georgien, Usbekistan und Tadschikistan, wurden mit Nahrung und Getränken versorgt. Diesmal fanden erneut Vertreter des rheinland-pfälzischen und des hessischen Landtags ihren Weg dorthin, neben Vertretern des DGB und der Gewerkschaft verdi.
Praktisch ausrichten können aber auch sie nur wenig. Die Dienstleistungsfreiheit in der EU hat das Problem erst geschaffen, und dazu geführt, dass mittlerweile Fahrer aus fernen Ländern fast die Regel auf deutschen Straßen sind; selbst EU-Angehörige wie Polen, Rumänen und Bulgaren wurden bereits vom Markt verdrängt oder gingen in andere Länder, wo sie besser bezahlt werden, wie beispielsweise nach Großbritannien.
Auch wenn die polnische Spedition Mazur, für die die streikenden Fahrer arbeiten, sie als vermeintlich Selbständige beschäftigt, sieht das deutsche Recht eigentlich vor, dass alle Fahrer, die in Deutschland arbeiten, auch mindestens den deutschen Mindestlohn erhalten müssen. Aber schon beim ersten Streik im April hatte die Firma, die insgesamt 700 (geleaste) LKW fahren lässt, einen Rückstand von etwa 300.000 Euro bei den etwa 60 Fahrern, die damals in Streik traten. Mit beteiligt an dem Erfolg war ein niederländischer Gewerkschafter, Edwin Atema, der über den georgischen Gewerkschaftsbund informiert wurde. Er bezeichnete damals die Zustände bei den internationalen Speditionen als "Menschenhandel".
Eine Zeitschrift der Hans-Böckler-Stiftung berichtete damals: "Bei Mazur etwa sind die Fahrer nach polnischem Recht selbständig über Dienstleistungsverträge angestellt. Für ihren harten Job bekommen sie Tagessätze, die mündlich vereinbart werden. Im Schnitt etwa 80 Euro – bei Arbeitstagen, die 13 oder 15 Stunden lang sein können."
Der rheinland-pfälzische Arbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD), der die streikenden Fahrer besucht hatte, forderte in Reaktion auf den ersten Streik stärkere Kontrollen durch den Zoll, ob der Mindestlohn eingehalten würde, und die Aufklärung der Fahrer, wie und bei welchen Gerichten sie ihre Ansprüche geltend machen könnten. Allerdings wären solche Verfahren äußerst langwierig und durch die Sprachbarrieren zusätzlich kompliziert. Der DGB betreibt unter der Bezeichnung "Faire Mobilität" eine Beratungsstelle und verteilt vielsprachige Flugblätter, um die Fahrer über ihre Rechte aufzuklären. Allerdings hatte auch die SPD die Einführung der Dienstleistungsfreiheit, die die Grundlage für die Tätigkeit polnischer Speditionen mit polnischen Verträgen auf deutschem Boden ist, unterstützt.
In der Presseerklärung von verdi zu dem erneuten Streik heißt es:
"Dass immer wieder Fahrer aus Europa nach Deutschland kommen, darf nicht zur Regel werden. Vielmehr müssen alle Beteiligten der Lieferkette ihre Verantwortung wahr und ernst nehmen, um Sozial-Dumping und Ausbeutung im Vorfeld zu verhindern."
Die Streikenden hätten, so die Erklärung, bereits seit Ende Mai keinen Lohn mehr bekommen.
Die Kunden der Spedition dürften aber auf moralische Appelle kaum reagieren. Mit der Spedition gibt es derzeit nicht einmal Verhandlungen. Die Streikenden derweil sind entschlossen. So zitiert die Presse einen von ihnen:
"Wir bleiben. Der Streik dauert. Und wenn es bis zum Tod ist."
Die Fahrer aus dem postsowjetischen Raum halten zusammen; die Einheit untereinander gelingt, weil sie alle Russisch sprechen.
Nicht einmal der katastrophale Mangel an LKW-Fahrern in Deutschland sorgt dafür, dass ihre Lage wirklich verbessert wird. Obwohl gerade dieser Mangel durch Führerscheinentzug für Fahrer, die gegen Klimakleber vorgehen, noch weiter verschärft wird. Anstelle moralischer Appelle oder langjähriger Gerichtsverfahren bräuchten die Streikenden eine Möglichkeit, ihre Forderungen unmittelbar materiell wirksam zu machen. Beispielsweise durch eine vorläufige Beschlagnahmung der Fracht bis zur endgültigen Klärung des Falls. Aber von den miesen Verhältnissen profitieren die Kunden genauso wie die Spedition; einzig die Fahrer bleiben auf der Strecke. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Unterstützung der örtlichen Bevölkerung nicht nachlässt.
Mehr zum Thema - Wildwest in Hessen: Paramilitärs gegen streikende Lkw-Fahrer