Von Olga Samofalowa
"Wir können feststellen, dass die globale Wendung unseres Handels nach Osten und Süden bereits vollzogen ist", erklärte der provisorische Leiter des russischen Föderalen Zolldienstes, Ruslan Dawydow, bei einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten Michail Mischustin.
Der Zoll habe die Kontrollpunkte an den neuen Routen modernisiert, damit sie keine "Engstellen mehr darstellen, wie es mitunter der Fall war". "Fünf Kontrollpunkte wurden auf Ganztagsbetrieb umgestellt. Die Personalstärke wurde um 950 Personen aufgestockt. Wir planen, weitere 200 in den Fernen Osten zu verlegen. An den Kontrollpunkten versuchen wir, die Belastung für die Unternehmen möglichst gering zu halten", erklärte Dawydow.
Zuvor hatte er berichtet, welche Länder für Russland die europäischen Handelspartner ersetzen. In erster Linie sei dies China, gefolgt von Indien, der Türkei und Aserbaidschan. Gleichzeitig verringerte sich der Handel mit den europäischen Staaten rapide. So ist beispielsweise der Handel mit den Niederlanden stark eingebrochen. Vor der Verhängung der Sanktionen war das Land durch den Umschlag von Öl im Hafen von Rotterdam stets unter den ersten drei. Auch der Handel mit Deutschland ging beträchtlich zurück, wobei das Land weiterhin unter wichtigsten zehn Handelspartnern bleibt.
Wegen des Sanktionsdrucks auf Russland werden Angaben zum Export nicht vollständig veröffentlicht.
Der Handel mit China war noch im Jahr 2022 um ein Drittel auf ein Rekordvolumen von 190 Milliarden US-Dollar gewachsen. Nach Angaben des chinesischen Zolls betrug der Wert der Lieferungen aus China 76 Milliarden US-Dollar, der von Lieferungen aus Russland 114 Milliarden US-Dollar. Im laufenden Jahr wird der Warenumsatz wahrscheinlich den Wert von 200 Milliarden US-Dollar übersteigen. Dieses Ziel war zuvor von der russischen Staatsführung gesetzt worden, sollte jedoch erst im Jahr 2024 erreicht werden.
Im vergangenen Jahr hatte Russland die Lieferungen von Erdöl und Erdölerzeugnissen nach Indien praktisch von Null erheblich gesteigert. Damit überstieg der Warenumsatz zwischen den beiden Ländern im Jahr 2022 den Wert von 35 Milliarden US-Dollar, erklärte Russlands Vize-Ministerpräsident Denis Manturow. Ursprünglich hatte sich die russische Regierung den Wert von 30 Milliarden US-Dollar zum Ziel gesetzt und geplant, diesen erst im Jahr 2025 zu erreichen. Doch die Sanktionen sorgten für eine viel schnellere wirtschaftliche Annäherung zwischen Russland und Indien. Im laufenden Jahr wird ein neuer Rekord erwartet. In den ersten fünf Monaten handelten die beiden Länder nach indischen Angaben bereits Waren im Wert von über 27 Milliarden US-Dollar. Zum ersten Mal wurde Russland zum drittgrößten Handelspartner Indiens. Sollte dieses Zuwachstempo erhalten bleiben, könnte sich der Warenumsatz im Laufe des Jahrs verdoppeln und 60 bis 65 Milliarden US-Dollar erreichen.
Allerdings ist dies auch mit Schwierigkeiten verbunden. Russland konnte den Export nach Indien steigern, während Indien nach Russland immer noch sehr wenig Waren exportiert. Ihr Anteil am Gesamtumsatz von 27 Milliarden US-Dollar erreichte nicht einmal die Schwelle von einer Milliarde US-Dollar. Ein solches Ungleichgewicht sorgt für Probleme. So erwies sich der Verkauf von Erdöl und Erdölerzeugnissen gegen indische Rupien als eine schlechte Idee, da die nur beschränkt konvertierbare Währung an der Moskauer Börse nicht gehandelt wird. Ein Umtausch von Rupien in großen Mengen erfordert eine Erlaubnis des indischen Regulators. Dadurch blieben die Rupien in indischen Banken "hängen". Würden mehr indische Waren nach Russland exportiert, könnten die Rupien für den Kauf indischer Waren aufgewendet werden. Mit China besteht ein solches Problem nicht: Öl wird für Yuan verkauft, der an der Moskauer Börse gehandelt wird. Mit den eingenommenen Yuan könnten anschließend chinesische Importwaren bezahlt werden. Daher verhandelt Russland mit Indien über eine Umstellung der Handelsgeschäfte auf Yuan, um Waren ohne zusätzlichen Währungstausch kaufen zu können.
Der Handel mit der Türkei hat sich im Jahr 2022 fast verdoppelt und einen Wert von über 68 Milliarden US-Dollar erreicht. Das ist der größte Wert in der Geschichte der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern.
Die beiden Länder hatten ursprünglich geplant, die Marke von 60 Milliarden US-Dollar erst im Jahr 2025 zu überschreiten. Der größte Exportzuwachs in die Türkei entfiel auf Erdöl, Erdölprodukte und Gas, doch auch der Export anderer Waren als Rohstoffe und Energieträger steigt. Im Jahr 2022 wuchs er um 19 Prozent und erreichte 10,5 Milliarden US-Dollar. So liefert Russland Holz, Zellulose, Holzverarbeitungsprodukte sowie Produkte der chemischen Industrie – etwa Plastik und Kautschuk – in die Türkei.
Im Januar und Februar 2023 wurde Russland zum Hauptimporteur für die Türkei und überholte damit sogar China und die Schweiz, wie das türkische Statistikinstitut berechnete. Im Gegenzug liefert die Türkei Erzeugnisse der eigenen chemischen Industrie, Gemüse, Obst, Textilien und Elektrowaren nach Russland.
Auch hier ist ein Handelsungleichgewicht zu beobachten, wenn auch in kleinerem Maßstab als mit Indien. Der russische Export in die Türkei stieg um das Zweifache an und erreichte einen Wert von 58,8 Milliarden US-Dollar. Die türkischen Exporte nach Russland verzeichneten einen Zuwachs von 62 Prozent und erreichten einen Wert von 9,3 Milliarden US-Dollar. Damit nahm die Türkei den zweiten Platz unter Russlands Abnehmerländern ein.
Der Warenumsatz mit Aserbaidschan stieg im vergangenen Jahr auf ein Viertel und erreichte einen Wert von 4,1 Milliarden US-Dollar, wie Russlands Vize-Ministerpräsident Alexei Owertschuk erläutert. Im laufenden Jahr erwartet er einen Zuwachs auf fünf Milliarden US-Dollar. Die ersten Ergebnisse für dieses Jahr bestätigen diese Prognose. Bereits zwischen Januar und März 2023 handelten die beiden Staaten Waren im Wert von über einer Milliarde US-Dollar, laut dem aserbaidschanischen Zoll betrug der Zuwachs fast 70 Prozent.
Einerseits ist der Handelszuwachs erfreulich, andererseits bringt er logistische Probleme mit sich.
"Wegen unfreundlicher Handlungen und dem Abzug internationaler Logistikunternehmen vom russischen Markt ist ein Ungleichgewicht entstanden: die Häfen von Nordwestrussland, die sich historisch auf Lieferungen nach Europa orientierten, leiden am stärksten unter dem Abriss der globalen Lieferketten. Im Gegenzug wurden die beiden anderen Richtungen – am Asowschen und Schwarzen Meer sowie im Osten – durch einen rapiden Zuwachs des Warenumsatzes mit freundlichen Ländern überlastet", erklärte der Pressedienst des russischen Exportzentrums (REZ).
Daher erfordern gerade die südlichen und östlichen Routen eine besondere Beachtung und einen Ausbau ihrer Kapazitäten, um den unerwartet gestiegenen Warenfluss zu bewältigen.
Derzeit wird an der Entwicklung vorrangiger Verkehrskorridore gearbeitet. Einer davon ist der Nord-Süd-Korridor. Im Mai unterzeichneten Russland und Iran ein Abkommen über den Bau einer Eisenbahnstrecke, die den Transit von den Häfen des Persischen Golfs und Südasiens entlang des Nord-Süd-Korridors verkürzen soll, so das REZ. In Nordwestrussland werden indessen Arbeiten zur Auslastung der Hafenkapazitäten fortgesetzt, indem die Handelsflotte aufgestockt und die Hochseeschifffahrt in den Zielländern entwickelt wird.
"Es ist sehr wichtig, das Ausbautempo der Infrastruktur an den am meisten ausgelasteten Routen – am Asowschen und Schwarzen Meer sowie im Osten – beizubehalten. Hierbei sollten Auto- und Eisenbahnzufahrtswege zu den Häfen verbreitert, Terminals im Hinterland entwickelt und die Verwaltung der Warenströme mit den Nachbarländern optimiert werden", erklärte das REZ.
Russland baue gleich mehrere Transportkorridore aus, was eine Steigerung der Transportkapazitäten ermögliche, Fristen verkürze, den Transit vereinfache und damit die Kosten für Unternehmen verringere, schildert Dmitri Baranow, leitender Experte der Verwaltungsgesellschaft "Finam Management".
Insbesondere im Osten werden Eisenbahnlinien ausgebaut, Eisenbahnzufahrtswege zu den Häfen des Asowschen und Schwarzen Meeres und das Verladezentrum von Noworossijsk entwickelt, der Seehafen Temrjuk renoviert sowie Umschlagstellen an Eisenbahnen und Autobahnen in ganz Russland gebaut.
Beispielsweise endete im Frühling die Modernisierung der Station Tichorezkaja, die an der Nordkaukasus-Eisenbahn am Schnittpunkt der Routen Wolgograd – Karsnodar und Rostow am Don – Mineralnye Wody liegt.
"Diese Station hat eine große Bedeutung für die Steigerung des Gütertransports von und in die Häfen des Asowschen und Schwarzen Meeres. Ihre Modernisierung erlaubt, zusätzlich etwa acht Millionen Tonnen Güter pro Jahr zu befördern", erläutert Baranow.
Im September soll sich die Dauer des Transits am Grenzübergang in Sabaikalsk an der Grenze zu China, Bugristoje an der Grenze zu Kasachstan und Tschernyschewskoje an der Grenze zu Litauen verkürzen, weil dort ein System der elektronischen Reservierung des Ankunftsdatums und der Ankunftszeit eingerichtet wird.
Durch die Modernisierung des Übergangspunkts Werchni Lars an der Grenze zu Georgien ist es gelungen, die Verkehrsdichte dort von 300 auf 1.400 Lastwagen pro Tag zu steigern.
Auch an der Grenze zu Aserbaidschan läuft eine großangelegte Modernisierung des Übergangspunkts Jagar-Kasmaljar, dessen Kapazität von 1.400 auf 5.100 Fahrzeuge pro Tag erhöht wird.
Bis Ende 2027 sollen weitere Grenzübergangsstellen, die zum internationalen Nord-Süd-Transportkorridor gehören, modernisiert werden. Dabei handelt es sich um See-, Eisenbahn- und Autobahn-Grenzübergänge, darunter Werchni Lars, Nowo-Filja, Tagirkent-Kasmaljar, Karausek, Machatschkala und Derbent.
Für die Weiterentwicklung des Güterverkehrs muss allerdings noch viel getan werden.
"In erster Linie ist es notwendig, die Infrastruktur auszubauen, und zwar nicht nur im Bereich des Transports, sondern auch in den Bereichen Energie, Kommunikation und Logistik. Auch die Abläufe bei der Grenzüberquerung und der Zollabfertigung müssen weiter vereinfacht werden. Es ist wichtig, den Dokumentenverkehr in Papierform zu verringern und ihn zu digitalisieren. Dies ermöglicht, die Abfertigung zu beschleunigen, die Kosten zu senken und den Außenhandel und Auslandsreisen zu vereinfachen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen können noch einige Zeit in Anspruch nehmen, doch sie sind es wert, ihr Nutzen wird deutlich überwiegen. Russlands Handelsvolumen mit anderen Staaten wird steigen, die zwischenmenschlichen Kontakte werden sich festigen", erklärte Dmitri Baranow.
"Problembereiche in Russlands Logistik sind erstens der Mangel an Öltankern, zweitens Probleme bei der Frachtversicherung vor dem Hintergrund der Sanktionen, drittens die Notwendigkeit, neue Infrastruktur aufzubauen – beispielsweise für Rohstofflieferungen nach Indien. Eine Öl- oder Gaspipeline dorthin zu bauen, ist jedoch problematisch. Dennoch ist es notwendig, die Infrastruktur auszubauen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um den Bau von Pipelines handeln. Man kann Güter und Rohstoffe über Eisenbahnen oder Autobahnen transportieren. Russland muss ein Pendant zur chinesischen Seidenstraße schaffen und bequeme Transportkorridore für den Handel mit seinen Nachbarstaaten aufbauen", sagte Natalja Miltschakowa, führende Analytikerin des Finanzunternehmens Freedom Finance Global.
Ihrer Meinung nach wäre es von Vorteil, Schnelleisenbahnen von Russland nach China zu bauen – also genau das zu tun, wovor die UdSSR zurückscheute. Außerdem müssen das Autobahnnetz ausgebaut und natürlich Russlands geographische Vorteile für den Warentransport über die Nordostpassage genutzt werden.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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