In einem Beitrag für das Online-Magazin Telepolis bescheinigt der Ökonom Heiner Flassbeck den deutschen Arbeitgebern eine Versorgungsmentalität.
"Die Klagen der Arbeitgeber über Fachkräftemangel, die alle paar Monate in die Öffentlichkeit lanciert werden, sind Ausdruck einer durch nichts zu rechtfertigenden Versorgungsmentalität der Arbeitgeber, die in den vergangenen Jahrzehnten entstehen konnte, weil die Arbeitslosigkeit durchweg hoch war."
Flassbeck vergleicht die aktuelle Situation mit der Situation in den 70er-Jahren. Damals war das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitssuchenden umgekehrt. Auf eine Million offene Stellen kamen 100.000 Arbeitssuchende. Heute kommen auf 2,5 Millionen offiziell gezählte Arbeitslose 800.000 offene Stellen.
Trotz des Arbeitskräftemangels wuchs die deutsche Wirtschaft zu Beginn der 70er-Jahre kräftig. Wer Fachkräfte brauchte, wurde nicht vom Arbeitsmarkt versorgt, sondern musste in das vorhandene Personal investieren und es ausbilden. Die Idee, man sucht sich als Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt die passende Fachkraft aus, setzt eine dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit voraus.
"Man fragt sich allerdings, wie die Wirtschaft zu Beginn der Siebzigerjahre überhaupt kräftig wachsen konnte, wo es doch im Vergleich zu heute keine Möglichkeit gab, von außen Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Die Antwort ist einfach.
Sie lautet: Die Unternehmen mussten im eigenen Unternehmen alle verfügbaren Arbeitskräfte mithilfe intensiver Ausbildung zu Fachkräften machen."
Die Unternehmen hätten hinsichtlich der Ware Arbeitskraft das Prinzip von Angebot und Nachfrage vergessen. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigt der Preis. Die Arbeitgeber hätten sich aber in einer Versorgungsmentalität eingebunkert, nach der der Staat für eine ausreichende Versorgung mit Fachkräften zu einem möglichst niedrigen Preis sorgen muss.
"Besonders krass ist die Versorgungsmentalität der Arbeitgeber, wenn sie auch noch glauben, dieser Nachschub müsse zu immer gleichen Lohnkonditionen erfolgen.
Wer dringend Arbeitskräfte braucht, muss das tun, was man immer tut, wenn man ein knappes Gut nicht leicht erwerben kann: Man muss mehr Geld ausgeben."
Geradezu zynisch und schizophren sei die Anwerbung von Fachkräften im Ausland. Einerseits würde man die Grenzen abschotten und unterscheide zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen. Letzteren wolle man den Zuzug verweigern. Andererseits möchte man gut ausgebildete Fachkräfte abwerben, die auf Kosten eines anderen Staates ausgebildet wurden.
"Ganz selbstverständlich dürfen wir aus 'unseren wirtschaftlichen Gründen' den Entwicklungsländern die dort ebenfalls dringend benötigten Fachkräfte abwerben. Gleichzeitig aber tun wir alles dafür, um Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen (den wirtschaftlichen Gründen der Migranten nämlich) zu verhindern."
Letztlich gehe es bei der Diskussion um die Aufrechterhaltung von Gehaltshierarchien, schreibt Flassbeck.
"Fachkräfte müssen einfach reichlich und billig verfügbar sein, damit das oberste Fünftel in der Einkommenshierarchie weiterhin nicht nur absolut, sondern auch relativ im Luxus leben kann."
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