Inflation hausgemacht: Nicht die Geldmengen treiben, sondern der Verzicht auf russisches Öl und Gas

Jahrelang explodierten die Geldmengen, doch die Inflationsraten und Zinsen blieben niedrig. Nun steigen beide in bisher nicht bekanntem Ausmaß. Die Notenbanken reagieren mit der Anhebung der Zinssätze. Das soll nach Meinung der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft den Preisauftrieb dämpfen. Die Inflationsursachen sind allerdings politische.

Von Rüdiger Rauls

Irrlehren

Nach der großen Finanzkrise von 2008/2009 hatten die Notenbanken die Märkte mit "billigem" Geld geflutet, um den Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern. Postwendend prophezeiten sogenannte Experten, dass das Geldmengenwachstum eine Inflation bringen würde. Denn die Lehrbücher der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft begründen Inflation mit dem Wachstum der Geldmengen. Nicht wenige phantasierten sogar über eine Hyperinflation. Aber allen Theorien zum Trotz stiegen die Inflationsraten nicht. Dennoch scheint äußerlich tatsächlich ein Zusammenhang zu bestehen zwischen der Geldmenge und einer Inflation, denn Inflation ist immer auch verbunden mit großen Geldmengen. Nur – sind sie wirklich auch deren Ursache?

Zum besseren Verständnis: Auch Hochwasser hat immer mit großen Wassermassen zu tun. Ohne diese gibt es kein Hochwasser. Aber eine große Menge an Wasser führt nur unter bestimmten Umständen zu zerstörerischem Hochwasser, wenn sie nämlich – wie etwa im Falle der Ahrtal-Katastrophe – in enge Kanäle strömen muß. Im Falle des Nils beispielsweise werden die großen Wassermengen herbeigesehnt, weil sie sich sanft in die Breiten der Ufer und des Nildeltas ausdehnen und dort Segen bringen – durch fruchtbare Ablagerungen und nachhaltige Bewässerung des Bodens.

Ähnlich verhält es sich auch mit den Geldmengen. Strömt es in enge Märkte wie den Immobilien-, den Aktien- oder sogar auch den Anleihemarkt, so führt das zu den steigenden Preisen der vergangenen Jahre. Breitet sich aber der "Geldsegen" über die Realwirtschaft aus, so führt das zu wachsender Produktion mit sinkenden Stückpreisen sowie steigendem Konsum und Wohlstand.

Die Ursachen des Hochwassers in der Realität der Natur sind leicht zu erkennen. Es kann durch langandauernde Regenfälle entstehen, aber auch durch Schneeschmelzen, Dammbrüche oder andere Ereignisse. Hochwasser tritt immer durch große Wassermengen in Erscheinung. Aber diese Ereignisse sind nur der Ausdruck, nicht die Ursache der am Ende katastrophal steigenden Wasserpegel. Bei der Inflation ist das nicht so einfach. Ihre Ursachen liegen im Verborgenen und werden nur in steigenden Preisen sichtbar. Zwar bleiben auch die Geldmengen selbst nicht verborgen, aber diese interessieren kaum jemanden, solange nur die Preise niedrig bleiben.

Bei ihrem ersten Auftreten zu Beginn der 1920er Jahre im Deutschen Reich war die Inflation eine relativ neue Erscheinung im Kapitalismus – und so lag noch wenig Erfahrung mit ihr vor. Worin aber die sogenannten Experten sich schnell einig waren, war das Offensichtliche: Große Geldmengen = Inflation. Doch ihr Entstehen blieb ihnen ein Buch mit sieben Siegeln.

Inflation und Interessen

Trotz der gewaltigen Geldmengen, die nach 2008 von den Notenbanken geschaffen worden waren, stieg die Inflation über zehn Jahre nicht an. Bereits seit dem Ende der 1980er Jahre, also seit nun mehr als dreißig Jahren, hatte Japan nach dem großen Immobilien-Crash die Geldmengen stetig erhöht, um deflationären Tendenzen in seiner Wirtschaft  zu entkommen.

Aber trotz aller Anstrengungen von Notenbank und Politik wurde das angestrebte Ziel von zwei Prozent Inflation in Japan nie erreicht. Zeitweilig waren die Inflationszahlen auch im Westen sogar negativ, obwohl die Geldmengen immer weiter anschwollen. Aller Wirklichkeit zum Trotz hielten die "Experten" an ihrer Geldmengen-Theorie fest, hinterfragt wurde sie nicht.

Nüchtern betrachtet und befreit von allem theoretischen Brimborium ist Inflation nichts anderes als die Summe der Preissteigerungen, die sich in ihrer Gesamtheit gesellschaftlich auswirken. Bis weit in die 1970er Jahre wurden Preissteigerungen auch als solche bezeichnet, bis der scheinbar wissenschaftlichere Begriff "Inflation" immer mehr um sich griff.

Damit wurde Inflation unpolitisch und erhielt den Charakter von Schicksalsschlägen wie Hunger, Pest oder Krieg, wodurch sie nicht mehr so leicht als eine Auswirkung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu erkennen war. Der Begriff der Preissteigerungen hatte zu sehr die Aufmerksamkeit auf die Verursacher von Preissteigerungen gelenkt, nämlich auf das private Unternehmertum, das diese Preise ja gestaltet.

Inflationen haben aber in den wenigsten Fällen reale wirtschaftliche Ursachen. Viel häufiger liegen ihnen politische Entscheidungen zugrunde wie die Erhebung von Zöllen, Sanktionen oder Programme wie der Green-Deal der EU-Kommission zur Bekämpfung des Klimawandels. Ein Anstieg der Preise als deren Folgen wird durch den Begriff Inflation politisch entschärft – und ihre Verursacher werden verschleiert. Aber diese Verallgemeinerung durch einen einzigen Begriff hat einen Pferdefuß. Sie erschwert das Erkennen der Ursachen und begnügt sich mit dem Offensichtlichen, den ausufernden Geldmengen.

Somit scheinen, oberflächlich betrachtet, alle Inflationen gleich zu sein. Aber auch Zucker und Salz sehen äußerlich ziemlich gleich aus. Den wirklichen Unterschied zwischen beiden erkennt man erst, wenn man sich nicht mit der oberflächlichen Betrachtung zufrieden gibt, sondern ihrem Wesen auf den Grund geht. Man merkt es aber auch, wenn man sie irrtümlich in Kaffee oder Suppe streut. Die Wirklichkeit macht dann den Unterschied sehr schnell deutlich. Nur die Wirtschaftswissenschaften bleiben davon unberührt. Sie halten an den Äußerlichkeiten fest. Wie unterschiedlich die Inflationen jedoch in ihren inneren Triebkräften sein können, soll im Folgenden dargestellt werden.

Inflation trotz geringer Geldmengen

In der Hochkonjunktur des sogenannten Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg konnten Unternehmen aufgrund der hohen Nachfrage der Verbraucher höhere Preise am Markt durchsetzen. Die Folge war ein Ansteigen der Preise im gesamtgesellschaftlichen Rahmen (Inflation) in Deutschland zwischen der Mitte der 1970er und 1980er Jahre von bis zu acht Prozent. In den USA und Frankreich lagen diese Werte sogar über zehn Prozent.

Der Anstieg der Preise im Westen war aber gerade nicht auf zu hohe Geldmengen zurückzuführen, sondern vielmehr im Gegenteil auf eine nicht ausreichende Geldmenge. Aufgrund der hohen Konsumnachfrage weiteten die Unternehmen ihre Produktion immer mehr aus, sie investierten, und dafür nahmen sie Kredite auf. Aber auch der private Konsum wurde zunehmend auf Pump finanziert. Die Kreditnachfrage wuchs und stieß bald an die Grenzen der Kapitalmärkte. Die an den Finanzmärkten vorhandenen Kapitalmengen reichten nicht aus, um die Kredit-Nachfrage bedienen zu können.

Da Kapital knapp war, war mehr Kredit nur gegen höhere Preise zu haben, das heißt mit höheren Zinssätzen (Entwicklung der Leitzinsen). In der Folge stiegen neben den Warenpreisen auch die Zinsen an, bis diese in den 1980er Jahren Werte erreichten, die eine Produktion immer weniger rentabel machten. Denn trotz des Wohlstands durch das "Wirtschaftswunder" konnten die gestiegenen Produktionskosten nicht unbegrenzt an die Kundschaft weitergereicht werden. Die Gewinne der Unternehmen zogen nicht im gleichen Maße mit dem Anstieg der Warenpreise  mit.

Diese Gleichzeitigkeit von steigenden Preisen und nachlassenden Gewinnen war damals wiederum eine neue Erscheinung im Kapitalismus, die sich die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft nicht erklären konnte. Sie taten, was sie immer taten, wenn sie sich eine wirtschaftliche Erscheinung ihres Handelns nicht erklären konnten: sie schufen einen neuen Begriff: die Lohn-Preis-Spirale. Auch dieser Begriff drang aber nicht zum Kern des Problems vor und konnte deshalb auch keinen Lösungsweg weisen.

Erst die Kapitalmarktreformen unter der britischen Ministerpräsidenten Margret Thatcher und dem US-Präsidenten Ronald Reagan verstärkten die Öffnung der Kapitalmärkte. Damit waren die nationalen Schranken der Kreditvergabe gesenkt worden, und der Weg war frei für die Ausweitung der Geldmengen. Mit deren Ausweitung stieg die Inflation aber gerade nicht an, sondern sie sank stattdessen.

Denn wenn immer mehr Brötchen auf den Markt kommen, sinkt ihr Preis. Das ist beim Kapital nicht anders. Warum sollten die Marktmechanismen des Kapitalismus sich bei einem wachsenden Angebot an Kapital anders verhalten als bei einem höheren Angebot von Brötchen?

Die deutsche Inflation von 1923

Dennoch stehen die Inflationsraten der 1970er Jahre in keinem Verhältnis zu denen in der Weimarer Republik zu Beginn der 1920er Jahre. Von ihnen hatte der Begriff "Inflation" seinen Schrecken bekommen, denn sie vernichtete die Lebensgrundlagen von Millionen einfacher Menschen. Zudem stammt aus dieser Zeit auch das Bild der ausufernden Geldmengen als Erklärungsversuch für die Inflation.

Die tiefere Ursache der Inflation von 1923 lag aber nicht in den Geldmengen sondern im Wertverfall der deutschen Währung gegenüber denen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, denen das Deutsche Reich enorme Reparationen leisten musste. Diese mussten in Devisen gezahlt werden. Um also die französischen Reparationsforderungen zu bedienen, musste die deutsche Reichsbank französische Francs kaufen, zu welchem Preis auch immer sie erhältlich waren. Das trieb den Preis der französischen Währung gegenüber der Reichsmark in die Höhe. Die deutsche Regierung war gezwungen, immer mehr Reichsmark für den Ankauf des Franken aufzuwenden.

Andererseits musste aber auch der Geldkreislauf im Reich selbst gewährleistet sein, wollte man nicht den Zusammenbruch der Wirtschaftstätigkeit riskieren. Für beides jedoch, die Forderungen von außen nach Bedienung der Reparationen und denen von innen nach Aufrechterhaltung der Geldversorgung, reichte die Geldmenge nicht aus. Das Problem wurde über die Notenpresse zu lösen versucht. Um den Bedarf an Zahlungsmitteln zu bedienen, schuf die Reichsbank immer mehr Reichsmark, mehr als der Leistungskraft der deutschen Wirtschaft entsprach.

Das Wachstum der Geldmengen blieb nicht ohne Folgen für die Außenhandelsbeziehungen. Die Reichsmark verlor an Vertrauen an den internationalen Märkten. Denn die Handelspartner waren sich nicht mehr sicher, ob sie für eine bestimmte Menge Reichsmark später noch dieselbe Warenmenge bekommen würden wie zu dem Zeitpunkt, als sie diese Geldmenge erhalten hatten.

Die Austauschverhältnisse der Reichsmark verschlechterten sich rapide gegenüber den anderen Währungen. Dadurch wurden Importe nach Deutschland immer teurer, sodass deren Preise im Inland explodierten. Aber mit diesen Preisen konnte die Entwicklung der Löhne nicht Schritt halten. Die Waren des täglichen Bedarfs wurden unerschwinglich. Unvorstellbare Armut und Verelendung griffen um sich. 

Die Inflation von 1923 war nicht durch eine schwindende Leistungskraft der deutschen Wirtschaft verursacht. Diese blieb weitgehend stabil im internationalen Vergleich. Allein das Austauschverhältnis zwischen der deutschen und den anderen Weltwährungen verfiel massiv. Deshalb war das Problem auch durch wirtschaftliche Maßnahmen nicht zu lösen. Es mussten politische Entscheidungen getroffen werden, die das Vertrauen in die Reichsmark wiederherstellten. Damit schlug die Stunde der US-Amerikaner und ihrer wachsenden Einflussnahme auf die europäische Politik.

Im Young- und im Dawes-Plan wurden die deutschen Reparationen neu geregelt. Das Deutsche Reich wurde durch das Begeben internationaler Anleihen rekapitalisiert. Dafür wurden deutsche Vermögenswerte – wie etwa die Reichsbahn – verpfändet und die staatliche Souveränität über die Finanzen eingeschränkt. Besonders aber wurde die Bevölkerung durch die weitere Absenkung des Lebensstandards zur Ader gelassen.

Quasi über Nacht waren Geldmengen allein durch politischen Beschluss plötzlich kein Geld mehr, sondern Altpapier. Damit widerlegt gerade der Verlauf der Inflation von 1923 die Theorie der Geldmengen als Ursache einer Inflation. Auch die Vorstellung von der Schaffung des Geldes aus dem Nichts und die damit verbundenen Ängste erweisen sich als grundlos. Zwar waren Geldmengen aus dem sogenannten Nichts geschaffen worden, aber sie kehrten durch ihre Vernichtung auch wieder dorthin zurück.

Neuere Inflationen

Die deutsche Inflation von 1923 kann noch in ihrem Entstehen als von wirtschaftlichen Faktoren getrieben angesehen werden. Die neueren, die ähnliche Dimensionen erreichen, sind besonders seit dem Ende des Kalten Krieges meist das Ergebnis politischer Ereignisse, hauptsächlich westlicher Sanktionen als Tatsache oder allein schon deren Androhung. Diese verunsichern die Anleger, die sich wegen erwarteter negativer Auswirkungen auf ihre Kapitalanlagen von diesen Märkten zurückziehen oder diese von vornherein meiden. Beispielhaft hierfür sind Iran, Russland, die Türkei, Venezuela und Zimbabwe, um nur die bekanntesten zu nennen.

Deren wirtschaftliche Probleme waren eine Folge von politischen Einwirkungen sowie der dadurch verursachten Entkopplung der Währungen von der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungskraft. Als beispielhaft für eine politisch verursachte Inflation soll hier die Türkei näher betrachtet werden.

Deren Inflationsratenblieben zwischen 2004 und 2016 weitgehend stabil bei acht Prozent, neigten vielleicht eher sogar zum Sinken. Ab 2016 stiegen die Werte sprunghaft an und verdoppelten sich innerhalb von nur zwei Jahren. Dabei lag das Wachstum der türkischen Wirtschaftsleistung 2016 bei beachtlichen 3,32 Prozent und die Verschuldung des Landes nur bei 29 Prozent, wofür die USA, Japan und jeder EU-Staat die Türkei hätten beneiden können. Also kann es an den wirtschaftlichen Daten nicht gelegen haben, dass die türkische Währung so plötzlich an Wert verlor.

Um es kurz zu machen: 2016 scheiterte ein Putsch von Teilen des türkischen Militärs gegen Erdoğan. Dieser hatte sich in seiner Syrien-Politik immer weiter vom Westen entfernt und sich stattdessen zunehmend mit Russland arrangiert und dorthin auch die wirtschaftliche Zusammenarbeitvertieft. Die Konflikte mit dem Westen blieben nicht aus und nahmen stetig zu – bis hin zu Sanktionsdrohungen. Anleger wurden nicht nur zurückhaltender mit ihren Geldanlagen in der Türkei, es floss auch Kapital ab. "Erste Anleger zogen sich bereits direkt nach der Verhängung des Ausnahmezustands aus der Türkei zurück."

Hatten ausländische Direktinvestitionen2015 noch bei circa 20 Milliarden US-Dollar gelegen, so brachen sie im Folgejahr um etwa ein Drittel auf 14 Mrd. US-Dollar ein. Es floss also weniger Kapital in die Türkei, was die Nachfrage nach der türkischen Lira sinken ließ und damit auch ihren Preis gegenüber dem US-Dollar. Zusätzlich stieg der Druck auf die Lira durch den Abzug von ausländischem Kapital, da bei diesem Vorgang Lira in Dollar oder Euro getauscht werden. Dollar und Euro waren gefragt.

Aufgrund des Währungsverfalls hätten ausländische Anleger Wertverluste hinnehmen müssen, wenn in Lira ausgezahlte Dividenden und Zinsen in Dollar und Euro umgetauscht und ausgezahlt würden. Das beschleunigte die Flucht aus türkischen Anlagen, da zudem die türkische Notenbank der Forderung ausländischer Anleger nicht nachkam, die Leitzinsen zu erhöhen.

Trotzdem führten die Weigerung der Notenbank und der damit verbundene Abzug von Kapital nicht zu einer Schwächung der türkischen Wirtschaft. Vielmehr hätte die Erhöhung der Leitzinsen eine zusätzliche Belastung für die türkische Wirtschaft bedeutet – wegen der höheren Zinskosten für türkische Unternehmen. So stieg der Index der türkischen Börse von etwa 750 Punkten im Jahr 2016 auf über 5.000 zum Ende des Jahres 2022.

Die Inflation ging zwar einher mit einer Verfünffachung der Geldmengenseit 2015, ging aber Ende 2022 wieder zurück von 85 auf 65 Prozent – ganz entgegen der Geldmengen-Theorie, denn die Geldmengen sanken nicht. Einer der wesentlichen Gründe für diese Entwicklung dürfte der starke Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Türkei als Folge der westlichen Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland sein.

Inflation in der EU

Wieder anders verhält es sich dagegen bei den heutigen Preissteigerungen im Westen. Diese sind nicht durch den Ukraine-Krieg verursacht, sondern eher durch die Sanktionen gegenüber Russland. Denn bisher hatte das frühere ausgedehnte Sanktionsregime des Westens gegenüber vielen Staaten der Welt kaum erkennbare Auswirkungen auf die Preise in Europa gehabt. Der aktuelle Preisanstieg in der EU rührt in erster Linie vom selbst auferlegten Verzicht auf russisches Öl und Gas. 

Energieträger verzeichnen nicht nur die stärksten Preisanstiege, sie sind gleichzeitig auch von ihren Mengen eine so bedeutende Größe, dass sie gesellschaftliches Gewicht haben. So würde ein starker Preisanstieg etwa für kubanische Zigarren aufgrund ihrer geringen Marktbedeutung nicht zu einem solchen Inflationsschub führen wie der von Gas und Öl. Denn diese sind die Grundstoffe und Energieträger der Industrie. Verteuern sich diese, strahlt das aus auf die Preise sämtlicher Folgeprodukte.

Der scharfe Preisanstieg für Energie hatte aber gar nicht erst mit dem Krieg und den westlichen Sanktionen begonnen, sondern bereits zuvor mit der Unterwerfung der westlichen Regierungen und der EU-Kommission unter die Forderungen der Klimabewegung. Dieser Bewegung haben die Führungskräfte der westlichen Gesellschaften politisch und argumentativ wenig entgegenzusetzen. Die Klimabewegung ist schließlich "Fleisch vom eigenen Fleische" der Werte-Missionare, nur dass sie die Werteorientierung ausweitet und noch radikaler fortsetzt als ihre Lehrmeister. Die westlichen Ideale sind mittlerweile zum Aushängeschild, aber auch Bindemittel der sogenannten "Wertegemeinschaft" geworden.

Im Kampf für die westlichen Werte sind sich deren Erfinder wie auch deren Klima-Jünger mittlerweile ebenso einig wie in der Auflistung der Staaten, die sie zu gemeinsamen Feinden ernannt haben. Die Klimabewegung ist die Vertreterin dieser Werteorientierung in einem gesellschaftlichen Milieu, das mit der etablierten Politik bisher eher im Konflikt lag. Mit dem gemeinsamen Eintreten für das Klima und für die westlichen Werte sind diese Kräfte zusammengerückt.

Das führt aber auch dazu, dass die politischen Führungskräfte die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Bewegung aufgegeben haben. Sie haben die Sichtweisen der Klima-Aktivisten weitgehend widerstandslos übernommen, weil ihnen selbst das Rüstzeug fehlt, sich kritisch mit deren Ansichten auseinanderzusetzen. Mittlerweile ist diese Verschmelzung so weit gegangen, dass man weitgehend das macht, was die politischen Vertreter der Klimabewegung fordern. Und diese Forderungen verursachen gewaltige Kosten wie die Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen.

Diese Maßnahme hatte bereits 2021 zu einem starken Preisschub bei den Energieträgerngeführt. Zusammen mit der sogenannten Liberalisierung des Gasmarktes sind eben diese politischen Entscheidungen für den Anstieg der Inflationsrate verantwortlich – und zwar schon vor dem Ukrainekrieg und vor den Ausweitungen der Sanktionen gegen Russland. Aber diese jüngere Vorgeschichte ist unter dem Eindruck des derzeitigen Preisanstiegs öffentlich bereits völlig in Vergessenheit geraten.

Die Inflation in der EU geht zurück auf politische Entscheidungen wie die CO₂-Bepreisung, die Russland-Sanktionierungen und den Verzicht auf russische Energieträger, nicht auf wundersame Geldmengen. Besonders seit dem Ende des Kalten Krieges führen Sanktionen und Zölle zu Verwerfungen im Austauschverhältnis der Währungen. Die Politisierung besonders des US-Dollars verursacht die Preissteigerungen in den Ländern, gegen die sich diese Maßnahmen in der Regel durchaus gezielt richten.

Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse.

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