Von Felicitas Rabe
Mit der Einführung des Bürgergelds habe die SPD auch das Imageproblem lösen wollen, das ihr seit der Einführung von Hartz IV anhaftet, so die Meinung der Sozialberater einer ehrenamtlichen Bürgerberatungsinitiative aus Nordrhein-Westfalen. Bei ihrem wöchentlichen Austausch sprachen sie mit RT darüber, wie sie die Einführung des sogenannten Bürgergelds im Januar 2023 bewerten und worin sich die neuen Sozialleistungen vom vorherigen Arbeitslosengeld II, bekannt als Hartz IV, unterscheiden.
Seit der Einführung von Hartz IV unter der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2005 habe die SPD ein massives Imageproblem. Auf Sozialhilfe angewiesene Menschen wurden seitdem "gefördert und gefordert", wie es im offiziellen Amtsjargon heißt. In der Praxis wurden sie hingegen häufig wie Bürger zweiter Klasse behandelt und vielfach gedemütigt oder schikaniert, wenn sie sich den Auflagen des Jobcenters nicht fügten. Vielleicht hatten die Sozialdemokraten der Ampel-Koalition bei der Reform von Hartz IV auch noch weiter gehende Verbesserungen für die von Sozialleistungen abhängigen Bürger geplant als die, die schlussendlich mit FDP und den Grünen beschlossen wurden, so die Überlegungen der Sozialberater.
"Hätte die SPD ihre Punkte durchbekommen, wäre das vielleicht eine 'Reform' geworden, aber so haben CDU und Grüne das alles abgeschwächt", meint einer der Ehrenamtlichen.
Schließlich habe die CDU im Bundesrat weiterhin eine Mehrheit und konnte somit wesentliche Verbesserungen durch die geplante Gesetzesänderung abschmettern.
Welche Änderungen waren vorgesehen und was wurde umgesetzt?
Angeblich wurden Bezieher von Bürgergeld durch die Erhöhung des Regelsatzes um 50 Euro im Vergleich zu Hartz IV bessergestellt – diese Erhöhung sei allerdings durch die hohe Inflation schon längst wieder ausgeglichen, kritisieren die Berater, die die Anhebung daher als Schönfärberei bezeichnen.
Zudem wurde das Schonvermögen für Bürgergeldbezieher im ersten Jahr auf 40.000 Euro festgesetzt. Erst ab einem Vermögen, das diesen Wert überschreitet, wird der Anspruch auf Bürgergeld eingeschränkt. Ab dem zweiten Jahr gilt dann eine Obergrenze von 15.000 Euro.
Weiter konnten Hartz-IV-Bezieher sofort sanktioniert werden, wenn sie sich nicht auf die Vermittlungsvorschläge des Jobcenters bewarben. Beim Bürgergeld hingegen dürfen Vermittlungsvorschläge im ersten halben Jahr noch zurückgewiesen werden, ohne dass Leistungskürzungen drohen, sofern der Bezieher eine Ausbildung oder zusätzliche Qualifikation anstrebt.
Anpassung an digitale Kommunikationsmittel
Auch die Meldepflichten und die Erreichbarkeit von Leistungsbeziehern sollen mit dem Bürgergeld "an die digitalen Kommunikationsmittel angepasst" werden. Bei Hartz IV habe dem Jobcenter die einfache postalische Erreichbarkeit genügt. Die Angabe einer Handynummer oder E-Mail-Adresse habe man ablehnen dürfen. Das solle sich nun ändern.
"Offiziell ist man beim Bürgergeld-Antrag verpflichtet, digital zu kommunizieren und seine digitalen Daten preiszugeben", so die Berater.
Allerdings seien die Regelung und die mögliche Verpflichtung, sich per Smartphone "auszuweisen" noch schwammig und unklar. Seit Beginn des Jahres lägen noch zu wenige Erfahrungen vor, um abzuschätzen, wie die Kommunikation auf digitalem Weg durchgesetzt werden soll. Viele Fragen seien nach Auffassung der Beratungsinitiative noch nicht geklärt:
"Wird jeder Bürger, der einen Antrag auf Bürgergeld stellt, ein Smartphone erhalten? Wie wird man verpflichtet, für seine Kommunikation mit den Ämtern ein digitales Gerät zu nutzen? Muss der Bürger zur Erreichbarkeit das Gerät immer mit sich tragen?"
Wie viel Geld dürfen Betroffene behalten, wenn sie arbeiten gehen?
Eine fadenscheinige Verbesserung stelle auch die Erhöhung der Freibetragsgrenze bei zusätzlichem Einkommen dar. Zuvor galt die Regel, dass Hartz-IV-Empfänger sich in Minijobs bis zu 100 Euro hinzuverdienen durften. Lag der Zuverdienst höher, wurden 80 bis 90 Prozent mit den bezogenen Leistungen verrechnet.
Nach der Bürgergeldregelung dürfen Betroffene zwar bis zu einem Zuverdienst von 520 Euro 20 Prozent behalten und von allem darüber hinausgehenden Einkommen 30 Prozent. Das komme jedoch in der Praxis nur selten vor – daher hätte diese Verbesserung in der Breite kaum Auswirkungen.
Auch beim Wohnraum werde man unter der Neuregelung im ersten Jahr von einer Überprüfung der vom Jobcenter akzeptierten Wohnungsgröße pro Person und der damit verbundenen Mietkosten verschont. "Nach Ablauf von zwölf Monaten im Sozialleistungsbezug fangen dann aber die Probleme mit den Behörden an."
Neu sei beim Bürgergeld – und das sei eine tatsächliche Verbesserung –, dass einmal pro Jahr der Inflationsausgleich im Voraus geschätzt und auf die Leistungen aufgeschlagen werde. Zu den Verbesserungen gehöre aber auch, dass für die betroffenen Menschen mit der Einführung des Bürgergelds der Anspruch auf eine Ausbildung oder eine Qualifikation Vorrang vor der Vermittlung in einen Job habe – der sogenannte Vermittlungszwang wurde abgeschafft, erklärten die ehrenamtlichen Sozialberater.
Umstellung aller Sozialleistungen auf Bürgergeld bis Ende 2023
Die Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld sei in den Jobcentern insofern unproblematisch verlaufen, als für den Bürgergeldbezug kein gesonderter Antrag gestellt werden musste – der Bewilligungsbescheid für den Bezug von Hartz-IV-Leistungen galt automatisch auch für den Bezug von Bürgergeld. Auch das Formular habe sich kaum geändert.
Laut dem Newsletter des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles e.V. vom 29. Januar hätten sich beim Bürgergeld inzwischen einige Rechtslücken aufgetan, die Tacheles auflistet. Bei der Reform sei das ein oder andere Thema "schlichtweg übersehen" worden. Tacheles fordert die Politik daher auf, entsprechend der von dem Verein aufgestellten Liste zügig Änderungen am Sozialgesetz vorzunehmen: "Es wäre hilfreich, wenn 'die Politik' einfach mal die Liste nähme und ein kurzfristiges Korrekturgesetz veranlassen würde", so Tacheles.
Inwieweit andere Sozialleistungen, wie zum Beispiel die bisherige Grundsicherung für arbeitsunfähige Menschen oder die Aufstockungsleistung zur Rente von der Einführung des Bürgergelds betroffen seien, sei noch nicht klar. Die Grundsicherung bleibe in einer Übergangsfrist von sechs bis zwölf Monaten erhalten, so der aktuelle Wissensstand der Berater. Nach bisherigen Informationen "sollen im Laufe dieses Jahres alle Sozialleistungen auf einheitliches Bürgergeld umgestellt werden, sodass alle die gleiche Geldsumme zur Verfügung hätten".
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